Helene Schäfer ist das Nesthäkchen einer überaus sportlichen Familie. Die 16-jährige gebürtige Saarländerin gilt als eines der größten Turn-Talente Deutschlands. Dabei folgt sie den Fußspuren ihrer großen, bekannten Schwester, der Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline.
Seit August 2013 lebt und trainiert Helene Schäfer wie ihre große Schwester Pauline (seit 2012) in Chemnitz. Vor Kurzem zog sogar Bruder Moses nach, um in Chemnitz zu studieren. Neben den Geschwistern Pauline (21 Jahre) und Moses (22 Jahre) hat Helene noch zwei Brüder: Elias (24) und Arthur (19). Alle Schäfer-Geschwister sind als Ringer und Kampfsportler echte Sportskanonen. Als es Helene aus Blieskastel-Bierbach nach Sachsen zog, war sie gerade einmal zwölf Jahre alt und wechselte ans dortige Sportinternat. „Weil Pauline hier ist, war es für mich die einzige Option. Wäre sie nicht schon hier gewesen, wäre ich nicht hierhin gewechselt", gibt Helene rückblickend zu. Die Bindung vor allem zu ihrer Schwester, aber auch zu ihren Brüdern ist sehr eng. Statt von sich spricht sie viel häufiger von „wir" oder „uns". „Die Bedingungen sind hier einfach perfekt. Das viele Training und auch die Kombination mit der Schule haben von Anfang an sehr gut funktioniert. Auch mit der Trainerin habe ich mich schon immer gut verstanden. Ich könnte es mir nicht besser vorstellen." Trotzdem: Als Zwölfjährige muss man fernab der Familie erst einmal klar kommen. Auch wenn die große Schwester nur ein paar Zimmer weiter wohnt. Mittlerweile hat Pauline eine eigene Wohnung, und Helene wird mit Bruder Moses zusammenziehen. „Das war damals schon eine große Umstellung. Organisatorisch war das für mich kein Problem. Das einzige, was mir schwergefallen ist, war es, soweit vom Rest der Familie entfernt zu sein", erinnert sie sich. Damals brauchte Schäfer über ein Jahr, bis sie sich an die neuen Verhältnisse gewöhnt hatte. Das Rezept, um mit der großen Entfernung umzugehen, hat sich kaum verändert: „Wir versuchen, so oft nach Hause zu fahren, wie es geht", sagt sie. Wegen Wettkämpfen, Lehrgängen und sonstigen Terminen, die für die Sportlerin viele Wochenenden belegen, sind diese Zeiten jedoch rar gesät. An Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten gibt es für die Schäfer-Geschwister jedoch keine Alternative zur Heimfahrt ins Saarland.
Eine Alternative zu ihrem großen Hobby, das sie quasi wie einen Beruf betreibt, gibt es ebenfalls nicht. Für andere Hobbys fehlt ihr schlicht die Zeit. „Da ist man froh, wenn man mal nichts vorhat und sich erholen kann", gibt Helene zu. Am liebsten verbringt sie ihre freie Zeit – wenig überraschend – bei Schwester Pauline oder Bruder Moses. Klassischen Geschwisterstreit kennen die insgesamt fünf Schäfer-Geschwister offensichtlich nicht. „Wir haben ja alle von Anfang an auf engstem Raum zusammengewohnt. Klar gab es da mal Streit, aber nie größere Probleme. Wir verstehen uns alle gut und halten zusammen." Dieser Zusammenhalt führte sie schon zum Turnsport. „Ich bin schon von klein auf immer überall herumgehüpft und wusste nicht wohin mit meiner Energie. Also habe ich wie Pauline schon im Kindergarten im Verein angefangen", erklärt Helene. Ihre bisher größten Erfolge sind die Finalteilnahmen im Einzel (6. Platz am Balken, 7. am Stufenbarren) und mit der Mannschaft (7.) bei den Junioren-Europameisterschaften 2016. Damals hatte sie sich als einzige Deutsche für das Einzel-Finale qualifiziert. Im gleichen Jahr wurde sie Deutsche Junioren-Meisterin, ihr persönlich wichtigster Erfolg, und holte bei der „Jesolo Trophy", einer Weltcup-Veranstaltung in Italien, die Bronzemedaille. Ein eigenes Turnelement wie Pauline es mit dem mittlerweile weltweit bekannten Schäfer-Salto kreierte, schwebt ihr noch nicht vor. „Ich lerne erst einmal nach und nach neue, schon existierende Elemente, um meine Übung aufzustocken. Ich habe schon ein paar Vorstellungen, aber es gibt ja schon fast alles. Da ist es schwer, etwas Neues zu erfinden", findet Helene, kündigt aber selbstbewusst an: „Irgendwann fällt mir etwas ein, und dann werde ich das machen."
Gemeinsam mit der Schwester nach Tokio
Vorerst ist dies allerdings nebensächlich. Von Geburt an macht eine Hüft-fehlstellung der jungen Turnerin zu schaffen. Der Leistungssport und die damit verbundene Überbelastung hat eine Operation notwendig gemacht, der sich Helene im Februar dieses Jahres unterziehen musste. „Das halbe Jahr davor konnte ich nur mit Schmerzmitteln turnen", erinnert sich die 16-Jährige, die am 1. April 17 Jahre alt wird: „Als herauskam, dass ich operiert werden muss, war das ein ziemlich harter Schlag. Ich habe es während eines Lehrgangs erfahren. Pauline hatte es auch mitbekommen, und wir fingen sofort an zu weinen." Drei Wochen vor der OP war das. In den Trainingseinheiten danach kam die Erschütterung über die Diagnose immer mal wieder hoch und viele Tränen wurden vergossen. Die Operation lief dann „so gut, wie sie eigentlich gar nicht hätte laufen können", stellt Helene glücklich fest, „Seitdem ging es relativ schnell aufwärts." Schon drei Wochen nach dem operativen Eingriff startete sie das Reha-Training und damit den harten Weg zurück an ihre geliebten Turngeräte.
Ihr großes Ziel hat Helene Schäfer schon länger vor Augen: Zusammen mit ihrer großen Schwester an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio teilzunehmen. „Das ist nach wie vor unser Ziel. Es kommt jetzt natürlich darauf an, wie schnell ich wieder fit werde", weiß Helene. „Das Problem ist, dass die anderen weitertrainieren und Fortschritte machen können. Sich da wieder an die Frauenmannschaft ranzukämpfen, ist wahnsinnig schwer." Zumal die erfahrenen Konkurrentinnen aus der Altersklasse ihrer Schwester – oder „die Großen", wie sie Helene liebevoll nennt – ebenfalls noch Ambitionen für Olympia 2020 hegen. Geht es nach Helenes Motivation, hätte sie ihren Platz im Olympiateam schon sicher. Ihr Leitsatz lautet: „Ich habe bei Weitem noch nicht das erreicht, was ich erreichen will. Das motiviert mich", sagt sie. Natürlich trägt auch die große Schwester ihren Teil bei: „Sie ist für mich eine große Motivation. Wir verstehen uns saugut und haben immer auch was zu lachen. Das macht das Training einfacher", beschreibt Helene. Im Moment treibt sie aber etwas anderes besonders an: „Nach der Zeit an den Krücken freue ich mich einfach total, mich wieder richtig bewegen zu können. Das macht mir so viel Spaß – da brauche ich gar keine zusätzliche Motivation."