Klimawandel olé! Und ein Hoch auf Sommer, heiße Busse und U-Bahnen. Auf nicht-klimatisierte Räume sowieso. Die Hitze ist Esther Ramos Freund. Dann hält die Spanierin auf ausgewählten Märkten und im Netz mechanische Abhilfe gegen Hitze bereit – schlichte wie prächtige Handfächer.
Einfarbige Stoffe mit oder ohne Bemalung überspannen Holz-Rippen. Mit Lasercut geschnittene Vögel ziehen im Flug durch das schwarze Fächerunterteil. Auf transparentem, weißem Stoff verbreitet sich eine gleichfarbige Blütenwiese und kühlt später womöglich eine Braut. Vielleicht begleitet ein Brandenburger Tor, aufgemalt von ruhigen Händen in einem valencianischen Atelier, eine Berlin-Besucherin als Souvenir nach Hause. In jedem Fall sind die aus Spanien bezogenen und in Berlin verkauften Fächer ein schmuckes, nützliches und alltagstaugliches Accessoire.
Esther Ramos, gebürtige Madrileña und seit mehr als 20 Jahren Berlinerin, bringt zusammen, was unüblich, aber auf den zweiten Blick folgerichtig scheint. Eine traditionelle spanische Kulturtechnik, die auch unter mittel- bis nordeuropäischen Bedingungen schlicht, preiswert und kunstvoll ihren Zweck erfüllt – durch Wedeln Verdunstungskälte auf der Haut zu erzeugen und Menschen zu erfrischen. Der schwunghafte Fächerhandel findet von Juni bis August etwa samstags am Hackeschen Markt oder bei Tango-Festivals statt; in der übrigen Zeit des Jahres im Online-Shop. Die 43-Jährige startete mit Mitbringseln aus der spanischen Heimat. „Ich habe immer Fächer verschenkt", erzählt sie. So mussten nur noch eine Berufspause wegen der Kinder, innere Unruhe, der immer größer werdende Vorrat an Fächern und die zündende Idee bei der Reiseveranstalterin zusammenkommen. Das Resultat: die Gründung von „Canela –
Spanische Handfächer" im Jahr 2014. Ein erster Stand auf dem Winterfeldtmarkt und das praktische Wissen darüber, was Kundinnen und Kunden wünschen, folgten rasch.
„Die Menschen im Norden Deutschlands mögen eher schlichte Stoff-Fächer und nicht so auffällige Farben", beobachtete Esther Ramos. Beige, Schwarz und Royalblau seien die Klassiker. Mittelbraunes Birnbaumholz oder schwarz lackierte Hölzer im Gestell, fertig ist das gute und häufig einzige Stück. „Im Süden wird es bunter, und es werden Fächer mit Mustern und Blumen gekauft." In jedem Fall sind jeder Frau interessierte Blicke gewiss, wenn der „Abanico", so der spanische Name, mit einer einzigen Handbewegung aufgeschlagen wird. Das will ein bisschen geübt werden: Der Fächer wird vom Körper weg energisch nach unten fallen gelassen. Die Seite, auf der die Rippen sichtbar sind, wird zum Körper hin gewandt. „Manche Leute können das nicht ohne Weiteres", weiß Esther Ramos. „Eine Frau hatte drei Fächer bestellt und wenig später teilte sie mir mit, dass zwei einen Konstruktionsfehler hätten." Eine Nachfrage per Mail und der Hinweis auf den „Canela"-Youtube-Kanal mit einem Anleitungsvideo für die richtige Handhabung sorgten für Abhilfe. Ebenso hilfreich, wenn der Fächer nicht will wie seine Trägerin: „Man kann erst mal probieren, ihn gemütlich mehrfach in die andere Richtung zu öffnen."
Der leicht gebieterischen Geste des Aufschlagens – wie auch der des gekonnten Zuklappens – wohnt eine gewisse Exzentrik inne. Ein doppelter Hingucker ist aber immer noch ein Mann, der seinen Fächer öffentlich benutzt. „30 Prozent meiner Berliner Kunden sind Männer", sagt Esther Ramos. In der Clubszene wurde die Do-it-yourself-Belüftung für alle salonfähig. So mancher Anzugträger weiß inzwischen deren Vorteile in nicht-klimatisierten Besprechungsräumen zu schätzen. So verschieden die Fächer, so verschieden die Vorlieben und die individuelle Passung. Das hat mit Armlänge und Proportionen zu tun, aber auch mit Vorlieben in der Aufbewahrung und Fächeltechnik. Männer in Spanien nutzen etwa gern kurze Modelle mit 19 Zentimetern Länge, weiß Esther Ramos. Diese können problemlos in der Brusttasche des Hemdes verstaut werden und bleiben diskret. Deutsche Männer dagegen bevorzugen solche Varianten mit 23 Zentimetern Länge, die klassische „Handtaschenvariante", oder sogar Modelle mit bis zu 27 Zentimetern. Und sie denken effizient „wie Ingenieure", findet Esther Ramos. Ihr Mann merkte zu einem mit kunstvollen Motiven im Holz durchbrochenen Fächer pragmatisch an: „Da geht doch mehr Wind durch." Für ihn empfähle sich durchgängig geschlossener Kork-Holz-Fächer „mit Windstärke sechs". Die Devise bei deutschen Frauen sei „Einer für alles". In Spanien dagegen ist eine eigene Kollektion üblich: „Frau kann besser mit den Farben, Mustern und Materialien zu Kleidung, Handtasche und anderen Accessoires spielen."
Esther Ramos verkauft Fächer von spanischen Lieferanten und Manufakturen. „Alle denken, dass Fächer in Andalusien hergestellt werden", sagt sie. Das liege am Flamenco, stimmt aber nur bedingt. In der Region Valencia stehen die Fabriken, in denen Rohlinge und einfachere Fächer gefertigt werden. In der Region werden traditionell Möbel gebaut. Die Fächerhersteller verwenden die restlichen Holzabschnitte. „Die Fächer werden teils nach Andalusien geschickt und von den Künstlern dort in ihren Ateliers bemalt." Die filigrane Ausgestaltung auf den unterschiedlichen und beweglichen Materialien erfordert Können, Präzision und Erfahrung. Bei aufwendigeren Modellen werden kostbarere, aber dennoch leichte und robuste Hölzer wie Amaranth, Bokapi oder Kosipo verwendet. „Ich kaufe diese Tropenhölzer nur lizensiert", sagt Esther Ramos. So entstehen Fächer mit unterschiedlicher Haptik und in kleinen Auflagen nach ihren Wünschen. Einzig die Kinderfächer im Sortiment sind aus Plastik. „Das ist die Rettung für Mamas Fächer", weiß Esther Ramos, nicht zuletzt aus eigener Erfahrung mit ihren beiden Söhnen.
In Spanien in Handarbeit hergestellt
Um die 400 Modelle sind bei „Canela" vorrätig. Esther Ramos nimmt Bestellungen im Online-Shop ausschließlich per Mail an. „Die Bestände können sich von Tag zu Tag durch die Märkte sehr ändern", sagt sie. „Und so ist es doch schöner. Man sieht, es steht ein Mensch dahinter." Sie könne so besser beraten, etwa wenn ein Fächer verschenkt werden soll. Oder wenn ein Etui gebraucht wird. Ihre Herangehensweise ist dieselbe, mit der sie bereits in der Tourismusbranche gut fuhr: „Was mir gefällt und was guttut, kann ich gut verkaufen."
In Madrid gibt es traditionsreiche Geschäfte wie etwa die „Casa de Diego" seit 1858, in denen die Señoras ihre „Abanicos" kaufen. Dort werden ebenso wie bei „Canela" unter anderem Fächer angeboten, auf denen das Signet „AEA – Abanico Español" eingeritzt ist. Das Gütesiegel des Verbandes der Handfächermeister, der „Asociación Española de Abaniqueros", garantiert, dass diese Fächer ausschließlich in Handarbeit in Spanien hergestellt wurden. Damit werden aber keineswegs nur traditionelle Fächer ausgezeichnet. Ein schwarzes Modell mit stilisierten Bling-Bling-Totenköpfen taucht bei „Canela" online in der Kategorie „AEA" ebenso auf wie in „Modern". „Ich arbeite nur mit Unternehmen in Spanien zusammen, die schon lange in Familienbesitz sind", erzählt Esther Ramos.
Teils sind ganze Familien beschäftigt: „Bis zu zwölf Hände stellen einen Fächer her." Es herrscht Arbeitsteilung: Der eine ist geschickt mit den Gestellen, der Bespannung oder der Lackierung. Die andere ist Expertin für die Bemalung oder für das Anbringen des „Dorns" und der hufeisenförmigen Bügel, mit denen die Fächer früher an den Trachten befestigt wurden. Viele sind Frauenhände, Heimarbeit ist durchaus üblich. Mögen die Fächer noch so traditionell oder beliebt sein, zwei Sorten kommen bei „Canela" wohl in den Verkauf, aber nicht in die Auslage: „An meinem Stand werden Sie nie Spitzen oder Punkte ausgestellt sehen." Die mag Esther Ramos nämlich einfach persönlich nicht.