Mit ihren Arkadengängen und den beiden Türmen erinnert sie an ein mittelalterliches Bauwerk. Die Oberbaumbrücke zieht sich über die Spree, verbindet Berlins Stadtteile Kreuzberg und Friedrichshain und verwandelt sich zweimal im Jahr in eine riesige Open-Air-Gallery.
Das Wetter könnte besser sein – dicke Wolken hängen ziemlich tief über der Oberbaumbrücke. Der Stimmung tut das aber keinen Abbruch: Mehr als 100 internationale Künstler präsentieren sich beim ersten Teil der 16. Open-Air-Gallery, die vom Statdtteilausschuss Kreuzberg e.V. veranstaltet wird. Und weder Organisatoren noch Künstler können sich über mangelndes Interesse beklagen. Dicht an dicht schlendert, nein, schiebt man sich an den Ständen vorbei. Schließlich können Anwohner und Touristen im Rahmen der besonderen Ausstellung auch die Straße selbst einmal ganz anders erleben – seltsam ruhig und entspannt geht es auf der sonst oft von Fahrzeugen komplett verstopften Brücke zu. Nur das Rattern der oben entlangfahrenden U-Bahn erinnert daran, dass es sich hier um eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen zwischen dem früheren Ost- und dem Westteil der Stadt handelt.
Kreuzberg und Friedrichshain wurden 2001 im Rahmen der Verwaltungsreform zu einem Bezirk zusammengelegt, erinnert sich Stadtplaner Ümit Bayam. Hintergrund waren Sparmaßnahmen. Was die Bevölkerung davon hielt, interessierte die Initiatoren dagegen nicht so sehr. Zunächst sei es wirklich schwierig gewesen, die Kreuzberger dazu zu bringen, hinüber nach Friedrichshain zu laufen und umgekehrt, sagt Bayam. Die 1,3 Kilometer lange Brücke sei tatsächlich die einzige Verbindung zwischen beiden Stadtteilen. Allein schon deswegen sei für ihn relativ schnell klar gewesen, dass sich gerade hier ein gemeinsamer Raum etablieren müsse.
Gedacht, getan: Bayam machte sich daran, Ideen für einen Ort mit Aufenthaltsqualität und Platz für Begegnungen zu sammeln. Am besten mit Kultur und Gastronomie, aber auch mit sportlichen Angeboten. Das Brückenfest, das es damals gab, wollte er in seiner bestehenden Form nicht fortführen. Der Zufall kam zu Hilfe: Zur gleichen Zeit suchte sein Freund Kani Alavi, Künstler und Initiator der East Side Gallery, nach neuen Orten, um einer möglichst breiten Öffentlichkeit Kunst zu präsentieren.
Wider den Berliner Kommerz-Betrieb
Die beiden planten gemeinsam weiter. Es sollten niedrigschwellige Angebote sein, möglichst außerhalb des klassischen Galeriebetriebs. Locker sollte es zugehen, keiner „sollte sich verpflichtet fühlen, die Kunst kommentieren zu müssen", erzählt Bayam. Außerdem wollte der Stadtplaner die Brücke wenigstens für einen Tag von Autolärm und Abgasen befreien und so die Aufenthaltsqualität für die Bevölkerung erhöhen. Die Idee der Open-Air-Gallery war geboren.
Wenn öffentlicher Raum so für die Bevölkerung zugänglich gemacht würde, habe das auch eine stadtpolitische Dimension, sagt Käthe Bauer, selbst Künstlerin und Mitarbeiterin im Büro des Stadtteilausschusses in Kreuzberg. So komme ein Austausch ganz unterschiedlicher Menschen aus dem Bezirk zustande – was Veranstalter und Künstler gleichermaßen schätzten. Für die Aussteller ist es wichtig, dass die Besucher mit ihnen unkompliziert ins Gespräch kommen können, über ihre Kunst – oder auch über ganz andere Themen. Gerade wer sich sonst wenig mit zeitgenössischer Kunst beschäftige, könne hier so einiges erfahren, meint Bauer, über Ansätze und verschiedene Arbeitstechniken beispielsweise. Hilfreich sei da sicher auch, dass kein Eintritt verlangt werde.
Wer sich für Kunst unterschiedlichster Art an dem ungewöhnlichen Ort interessiert, kann also einfach vorbeikommen. Die teilnehmenden Maler, Grafiker, Bildhauer allerdings müssen vorab ein paar Hürden nehmen. Denn vor dem Ausstellen der Werke steht die fristgerechte Bewerbung. Eine Jury wählt dann anhand der eingereichten Unterlagen aus, wer sich einen ganzen Tag lang mit seinen Arbeiten auf der Oberbaumbrücke vorstellen kann. Bei der Auswahl achte man genau darauf, dass verschiedenste Genres der bildenden Kunst vertreten sind, sagt Mitorganisator Bayam. Das Rahmenprogramm biete zusätzlichen Raum für Aktionen, Performances und musikalische Darbietungen.
Natürlich gehe es dem Auswahlgremium zuallererst um Niveau, betont Käthe Bauer vom Stadtteilausschuss. So gebe es bei jeder Ausgabe der Open-Air-Gallery professionelle Künstler, aber auch engagiert und kreativ arbeitende Amateure. Und dazu natürlich „Originale", die die Veranstaltung „ungemein bereichern".
Doch ganz egal, ob man seinen Lebensunterhalt mit der künstlerischen Arbeit bestreitet oder nur nebenbei als Künstler tätig ist – für alle Beteiligten ist die Open-Air-Gallery zu einem wichtigen Termin im Ausstellungsjahr geworden. „Für manche bringt sie einen bedeutenden Teil der Jahreseinnahmen", sagt Bauer. Zwar stehe der Verkauf nicht unmittelbar im Vordergrund, dennoch sehe sie immer wieder, wie auch großformatige Bilder den Besitzer wechselten. Die Galerie-Besucher seien gut vorbereitet und kämen ganz gezielt, um Kunst zu sehen – und vielleicht auch, um ein Kunstwerk zu erwerben. Und wer dieses nicht gleich vor Ort tun wolle, habe die Gelegenheit beispielsweise einen späteren Atelierbesuch zu verabreden. „Auch Galeristen nutzen gerne die Open-Air-Gallery", berichtet Bayam. Denn hier könne man unter den vielen Ausstellenden neue Talente entdecken, die möglicherweise gut ins eigene Konzept passen.
Treff für Künstler, Publikum, Galeristen
Viele Möglichkeiten also für noch unbekanntere Künstler, um auf sich aufmerksam zu machen. Und die Standgebühr von 110 Euro sei doch im Verhältnis dazu moderat, meint Ümit Bayam. Er fügt hinzu, dass etwa ein Drittel der Stände bei jeder Ausgabe für Künstler „von außerhalb" reserviert sind – schließlich wolle man ja die Internationalität fördern. So sind in diesem Jahr zum Beispiel Kreative aus Georgien, Italien und sogar Uganda vertreten. Aber auch soziales Engagement wird gewürdigt: Die Open-Air-Gallery bietet gemeinnützigen Vereinen die Möglichkeit, sich und ihre Arbeit an einem Stand mietfrei zu präsentieren.
Ümit Bayam und seine Mitstreiter engagieren sich fast komplett ehrenamtlich. Nur die Mitarbeiterin im Projektbüro erhält eine Bezahlung. Die Veranstaltung könne überhaupt nur deswegen zweimal im Jahr stattfinden, so Stadtplaner Bayam, weil sich so viele dafür einsetzen.
Noch denkt er nicht daran, „sein Projekt" in andere Hände zu übergeben. Auch wenn der Arbeitsaufwand enorm ist. „Die Open-Air-Gallery soll ihren Charakter behalten und nicht im Kommerz, den man in Berlin oft genug zu sehen bekommt, untergehen", ergänzt er. Für die Zukunft wünscht er sich nicht nur eine finanzielle Sicherung der Open-Air-Gallery. Ein Problem für das Event könnte auch die Wiederbelebung der Straßenbahnlinie M 10 werden: Sie soll künftig Friedrichshain von der Warschauer Straße aus wieder mit Kreuzberg verbinden – was Fragen zum Fortbestand der Veranstaltung aufwirft. Gut wäre da eine klare Positionierung der Stadt, so Bayam. Und vor allem, dass eine Verbesserung der Infrastruktur in diesem Fall kein Aus für die Kunst bedeutet.
Die nächste Open-Air-Gallery findet am 1. Juli statt. Weitere Informationen unter: www.openairgallery.berlin