Heftige Debatten um die Verteilung knapper Mittel gehören zum politischen Geschäft. Wenn die unter dem Eindruck bevorstehender Wahlen ausgetragen werden, wird der Streit umso heftiger. Das ist eigentlich logisch, wird von Bürgerinnen und Bürgern aber überhaupt nicht geschätzt.
Seit Tagen dasselbe Bild: Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP), darüber ein mahnender Olaf Scholz (SPD). Man möge interne Uneinigkeiten bitte auch intern austragen. Sagt der Kanzler – natürlich wiederum in einem Interview. Das Bild der Ampelkoalition in der öffentlichen Wahrnehmung hat sich im Sommer nicht gerade zum Besseren gewandelt.
Nun gibt es viele Interpretationen, warum sich das so entwickelt. Eine sicher nicht ganz von der Hand zu weisende ist der Blick auf den nahenden 8. Oktober, den wichtigsten Wahltermin in diesem Jahr mit der Doppelwahl in Bayern und Hessen. Dass sich Parteien und Politikerinnen und Politiker vor Wahlen noch mal deutlich in der medialen Landschaft bemerkbar machen wollen, gehört zum politischen Geschäft in einer medial geprägten Demokratie dazu. Und die Konstellation am 8. Oktober hat es ja aus vielen Blickwinkeln auch in sich.
Für die Ampel-Koalitionäre ist Hessen besonders spannend, wo derzeit eine schwarz-grüne Koalition regiert. Die SPD setzt mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Spitzenkandidatin auf einen Wechsel und kann deshalb Koalitionsstreit in Berlin nicht sonderlich gut gebrauchen. Auch wenn Faeser an diesem Streit nicht direkt beteiligt ist, wirkt öffentlicher Dauerzoff auf Wählerinnen und Wähler bekanntermaßen abschreckend, und das färbt dann auf den gesamten Politbetrieb ab. Aktuelle Studien belegen das schwindende Vertrauen erneut.
Die Grünen, zumindest in Form von Familienministerin Lisa Paus, setzen auf klare Kante, auch gegen die beiden Koalitionspartner. In der Partei reagiert man zunehmend nervös. Sinkende Umfragewerte sind das eine, inhaltliche Zerreißproben das andere. Robert Habeck, einst der große grüne Star, scheint auch innerparteilich angezählt. Zu wirtschaftsfreundlich und angepasst kommt er inzwischen vielen Parteifreunden vor. Auch die mit starken Worten auf internationaler Bühne gestartete Außenministerin Annalena Baerbock hat einiges vom Anfangsglanz verloren. Krieg, Energie- und Wirtschaftskrise mit allen Folgeauswirkungen hinterlassen Spuren in der Realpolitik.
Ringen um Profilierung und Prioritäten
Die FDP hatte sich nach verlorenen Landtagswahlen ähnlich kämpferisch gegen die Koalitionspartner versucht zu profilieren. Aus Parteisicht mag das eine erfolgreiche Strategie sein und kann möglicherweise auf die eigenen Mitglieder und eine Kernwählerschaft abzielen. Aber dass sie darüber hinaus Erfolge zeitigt, darf aller Erfahrung nach bezweifelt werden.
Menschen erwarten zu Recht von Regierungsparteien, dass sie an Lösungen für aktuelle Probleme arbeiten. Und da zeigt sich dann ein Dilemma.
Bei Profilierungsversuchen in Wahl- und Machtkämpfen wird allzu leicht in den Hintergrund gedrängt, was Menschen im alltäglichen Leben an ernsthaften Sachfragen umtreibt.
Im konkreten Fall geht es um den Kampf gegen Kinderarmut sowie das Ringen um Verbesserungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Es liegt auf der Hand, dass beides gleichermaßen drängende Herausforderungen sind. Die Entwicklung von Armut und Armutsgefährdung von Kindern und Jugendlichen ist ein seit Langem ein bekanntes Problem. Viele Einzelmaßnahmen der Vergangenheit haben daran im Grundsatz nichts geändert. Eine Kindergrundsicherung ist folglich längst überfällig.
Ähnliches gilt für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Vieles von dem, was jetzt zur Entscheidung ansteht, ist schon lange von der Wirtschaft und Experten angemahnt worden.
Das eine tun ohne das andere zu lassen, hilft dabei als gut gemeinter Ratschlag nicht weiter. Die Krisen der letzten Zeit, deren Auswirkungen mit massiven finanziellen Anstrengungen abgemildert wurden, haben das Land in seiner Leistungsfähigkeit eben auch an Grenzen gebracht. Dass Deutschland ein reiches Land ist, das sich alles, was notwendig erscheint, auch leisten kann, gilt nicht mehr in dem gleichen Maße wie vor der Pandemie und vor Russlands Überfall auf die Ukraine. Damit wird das Ringen um knappe Ressourcen naturgemäß nicht einfacher. Unterschiedliche Interessenlagen und politische Prioritäten treten schärfer hervor, wenn Kompromisse angesichts knapperer Mittel nicht mehr leicht zu organisieren sind.
Der Streit darüber ist also nicht ungewöhnlich, eher im Gegenteil. Ein Konflikt wie der zwischen Chancen für Kinder durch eine Kindergrundsicherung und Chancen für die Wirtschaft (Wachstumschancengesetz) polarisiert, auch weil er emotional stark aufgeladen ist.
Es ist aber längst nicht der einzige Konflikt, in dem sich die regierenden Ampelkoalitionäre befinden, wie die Auseinandersetzungen um den nächsten Bundeshaushalt zeigen. Dass die angekündigte Vorlage dazu vom Finanzminister verschoben werden musste, ist ein ziemlich einmaliger Vorgang, der auf den Ernst der Lage hindeutet. Die Eckdaten sehen durch die Bank Kürzungen vor. Vor allem geplante Kürzungen im sozialen und gesellschaftlichen Bereich haben für massive Kritik gesorgt. Kürzungen bei Bundeszuschüssen für die Renten- und Pflegeversicherung, beim Elterngeld sowie in den Bereichen politischer Bildung und Freiwilliges Soziales Jahr haben heftige Kritik ausgelöst. „Ein starker Sozialstaat ist das Fundament unserer Gesellschaft, wir dürfen nicht zulassen, dass es zu bröckeln beginnt und zerbricht“, betont Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK.
Knappe Kassen und kaum Kompromisse
Die Konfliktlage zeigt zwei Zahlen: Ursprünglich hatten die Ministerien rund 70 Milliarden Euro mehr für ihre Aufgaben und Projekte gefordert, der Entwurf sieht aber 40 Milliarden weniger vor als in diesem Jahr. Für besondere Aufgaben (Pandemie, Bundeswehr) sind bereits sogenannte „Sondervermögen“ neben dem Kernhaushalt eingerichtet, ebenso für Klimaschutz und Transformation. Ein politisches Ziel, für das es gute Gründe gibt, ist nicht, immer weiter Schulden zulasten der nächsten Generation zu machen, also wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Zugleich aber lehrt der inzwischen allerorten unübersehbare Investitionsstau aufgrund von Einsparungen oder nicht erhöhten Etats in der Vergangenheit, dass uns die Folgen ziemlich teuer zu stehen kommen können. Und Kürzungen bei Zuschüssen im Sozialbereich dürften über kurz oder lang eine Erhöhung von Beiträgen unvermeidlich werden. Wobei die Abgaben- und Steuerlast ebenfalls ein Dauerthema ist. Dabei gibt es etliche Vorschläge zu Absenkungen – auch als Beitrag, die Folgen der Inflation abzumildern.
Bliebe also noch die Möglichkeit, die Einnahmenseite durch spezielle Maßnahmen zu verbessern, zum Beispiel die viel diskutierte Vermögenssteuer. Doch die ist bislang an dem Hinweis gescheitert, der größte Teil der Vermögen in Deutschland sei das betriebliche Vermögen in mittelständischen Betrieben. Damit werde „Investition in die Modernität unseres Landes“ finanziert, betont Finanzminister Christian Lindner.
Wenn die Politik über Geld diskutiert, wird dabei auch immer um Prioritäten gerungen. Und Letztere sind nun mal bei den Partnern der Ampel-koalition heterogen. In normalen Zeiten könnte das eine Basis sein, durch Kompromisse unterschiedliche politische und gesellschaftliche Interessenlagen auszugleichen. Die Zeiten sind aber bekanntermaßen alles andere als normal, heftige Debatten die logische Folge.