Die Angst vor einem erneuten Wahlsieg des Republikaners war gerade in Deutschland groß. Das Worst-Case-Szenario ist eingetreten. Aus anfänglicher Sprachlosigkeit scheint über Nacht eine politische Lähmung der deutsch-amerikanischen Beziehungen geworden zu sein.
Ein Sinnbild für die Verzweiflung über den Sieg von Donald Trump waren die Wahlpartys in der Nacht seines Sieges in vielen deutschen Städten. Nicht anders auch beim Aspen Institute (US-amerikanischer Thinktank) in Berlin. Ab 3 Uhr morgens in der Wahlnacht wurde deutlich: Die in Deutschland zu gut 90 Prozent favorisierte Kamala Harris wird nicht die 47. Präsidentin der USA, sondern der gerade in Deutschland gefürchtete Konkurrent Donald Trump macht das Rennen. Viele Besucher der Wahlparty waren nicht mal mehr schockiert, sondern verfielen eher in eine Depression. Sie zogen ihren Mantel an und gingen einfach nach Hause. Keine hitzigen Debatten der Besucher bis zum Sonnenaufgang an diesem kalten, vernebelten Novembermorgen im Berliner Tiergartenviertel.
Ein Grund für die Sprachlosigkeit war der deutliche Wahlsieg, den Trump mit seinen Republikanern eingefahren hatte. Von dem in den Medien immer wieder prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen keine Spur. Vielleicht ein Beleg für die sehr unterschiedliche deutsch-amerikanische Wahrnehmung des Geschehens. Während die US-Fernsehsender an diesem Morgen längst den Wahlsieg Trumps als gegeben akzeptierten, versuchten sich ihre deutschen Kollegen damit, doch noch gewisse Wahlchancen von Harris in die aktuellen Zahlen hinein zu interpretieren. Mediale Seelenmassage für die Zuschauer diesseits des Atlantiks, bis das ultimative Ergebnis nicht mehr wegzudiskutieren war.
„Was wir jetzt brauchen ist ein im Auftreten starkes Europa, und wir Deutschen müssen da vorangehen. Ich befürchte zum Beispiel, dass Trump aus den Pariser Klimaabkommen wieder aussteigen wird, und da müssen wir dann entsprechende Gegenmaßnahmen finden, wie das verhindert werden kann, oder wir dann zumindest adäquat reagieren“, sagt die Historikerin Hedwig Richter von der Münchner Bundeswehr-Universität. Aber wie dieses „adäquat“ in der Praxis aussehen könnte, darüber hat auch sie noch keine konkreten Vorstellungen.
Kanzler Scholz ist nur noch eine „Lame Duck“
Auch auf der politischen Bühne kamen die Reaktionen auf Trumps Wahlsieg nur schleppend. Bundeskanzler Olaf Scholz konnte sich in seiner Gratulation zu einem Angebot der engen Zusammenarbeit durchringen, „um Wohlstand und Freiheit auf beiden Seiten des Atlantiks zu fördern“. Was sollte der Kanzler auch anderes sagen, dessen herzliches Verhältnis zu Trumps Vorgänger der neuen US-Administration nicht entgangen ist? Joe Biden wurde zwei Wochen vor der US-Wahl noch von Kanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier mit allen erdenklichen Ehren als letzter „Transatlantiker“ in Berlin verabschiedet.
Was die Beziehungen zur neuen US-Führung nicht einfacher macht, nachdem man so klar Partei für eine Seite ergriffen hat: Keine zwölf Stunden, nachdem Trumps Wahlsieg offiziell bestätigt wurde, war die Ampelregierung auch schon Geschichte. An ihre Stelle ist eine rot-grüne Koalition ohne eigene Mehrheit im Parlament getreten. Damit ist Kanzler Scholz als Regierungschef für die amerikanische Seite politisch nur noch eine „Lame Duck“, alles andere als ein starker deutscher Partner in Europa.
Stolz verkündete das Trump-Team, dass der zukünftige US-Präsident innerhalb eines Tages bereits mit über 70 Staats- und Regierungschefs dieser Welt telefoniert hätte. Auf der Telefonliste fehlte allerdings die internationale Vorwahl +49. Ganz offensichtlich steht der zukünftige US-Präsident für eine Regierung auf Abruf in Berlin nicht zur Verfügung. Damit dürften die deutsch-amerikanischen Beziehungen innerhalb von 24 Stunden für die kommenden Monate bis nach den vorgezogenen Neuwahlen in den Standby-Modus gewechselt sein, was den Umgang mit Donald Trump auf politischer Ebene nicht einfacher macht.