Volk, Heimat, „Remigration“ – mit diesen Begriffen im Zentrum ihrer Kampagne hat die rechtsextreme FPÖ die Nationalratswahl in Österreich gewonnen. Ob sie jedoch in Regierungsverantwortung gelangt, ist unklar.
Österreich ist nun mit dem konfrontiert, was in Deutschland bislang noch nicht denkbar ist: eine rechtsextreme Partei als stärkste Kraft. Die rechtsextreme FPÖ hat die Parlamentswahl mit rund 29 Prozent der Stimmen gewonnen. Die konservative ÖVP erlitt einen starken Stimmenverlust und landete mit 26 Prozent auf Platz zwei. Auch hier zeigte sich: Vor allem junge Wähler wählten bevorzugt rechts, wie in den Landtagswahlen in Deutschland in diesem Jahr. Nun debattieren gemäßigte liberale Kräfte in den Parteien, vor allem in der noch regierenden ÖVP, wie eine Koalition der Mitte zu bilden sei – aus ÖVP, SPÖ und liberalen Neos beispielsweise, doch die Sozialdemokraten sind sich noch nicht einig darüber, ob Platz drei einen Regierungsauftrag darstellt. Rein rechnerisch würde es knapp für eine ÖVP-SPÖ-Koalition reichen, komfortabler wäre eine Dreiparteien-Koalition. Auch die Grünen wollen in eine neue Regierung, trotz des schwierigen Verhältnisses in der aktuellen schwarz-grünen Koalition. Die populistischen Töne von Kanzler Karl Nehammer brüskierten die Partei ein ums andere Mal. Dennoch will der amtierende Kanzler den Rechtsextremisten den Vortritt lassen. „Aus meiner Sicht ist es gute Tradition, dass der, der die Wahl gewonnen hat, auch den Sondierungsauftrag erhält“, sagte der konservative Regierungschef nach einer Parteisitzung. Eine Koalition mit der FPÖ sei nur dann denkbar, wenn Kickl selbst kein Regierungsamt übernehme, so Nehammer. Dieser hat jedoch den Kanzleranspruch nach der Wahl bekräftigt – oder, um seine eigene Wortwahl zu zitieren, „Volkskanzlerschaft“, ein Begriff aus altem Nazi-Jargon. Alle anderen Parteien schließen eine Koalition mit der FPÖ völlig aus.
Koalition ohne FPÖ ist möglich
An der ÖVP als Teil einer Regierung und Mehrheitsbeschafferin kommt auch die FPÖ nicht vorbei, will sie regieren. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen legt traditionell den Fahrplan zu einer neuen Regierung fest. Van der Bellen hat bereits am Wahlabend klargestellt, dass die rechte FPÖ nicht nur andere Parteien, sondern auch ihn überzeugen muss. Dabei werde er unter anderem auf die Einhaltung von demokratischen Werten und Menschenrechten achten, sagte der Präsident.
Mit der FPÖ ist dieser Anspruch nicht vereinbar. Wie auch die deutsche AfD ist die Partei mit der rechtsextremen und demokratiefeindlichen Identitären Bewegung vernetzt, unterhält enge Kontakte zu dem intellektuell auftretenden neurechten Milieu auch in Deutschland. Was in der „Remigrations“-Konferenz in Potsdam, die von Reportern des Recherchenetzwerkes Correctiv veröffentlicht worden war, besprochen wurde, ist längst Parteiprogramm von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Er selbst sagte in einem Interview im ORF, man könne ja Staatsbürgerschaften entziehen, wenn jemand sich „gesellschaftsfeindlich“ verhalte. Überhaupt steht Patriotismus bei der FPÖ im Vordergrund – ein völkisch-nationalistischer Patriotismusbegriff, in dem vor schleichender Islamisierung gewarnt und „Remigration“ gefordert wird, ähnlich wie in Deutschland. Rechtsextreme Kampfbegriffe werden in der politischen Diskussion so oft verwendet und wiederholt, bis die Empörung darüber abklingt und sie folglich als Teil der Debatte funktionieren – eine Methode, die den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts verschiebt und derer sich auch die deutsche AfD bedient.
Über Jahre hinweg war die FPÖ in der ein oder anderen Form bereits fünf Mal Teil österreichischer Regierungen, zuletzt in einer Koalition mit dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz, der über die sogenannte Ibiza-Affäre strauchelte. Das hat sie und ihre Positionen im politischen Leben Österreichs auf lokaler wie nationaler Ebene normalisiert. Dies ist in Deutschland anders. Dennoch, auch hierzulande bröckeln die „Brandmauern“ in der lokalen Politik. Wie die Normalisierung rechtsextremer Narrative in nationaler Politik aussieht, ist am Beispiel Österreichs zu besichtigen. Eine entsprechende Mauer gegen Rechtsaußen hat es dort nie gegeben. Daher wäre auch diesmal eine konservativ-freiheitliche Regierung denkbar. Dass Herbert Kickl den Weg für eine FPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung freimacht und auf ein Amt verzichtet, gilt jedoch Stand heute als unwahrscheinlich.
Besonders russlandfreundlich
Eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung hätte für außenpolitische Belange Österreichs weitreichende Folgen. Konstantin Kuhle, FDP-Vize und Mitglied im Geheimdienstausschuss des deutschen Bundestages, sowie CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter warnen vor einer Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. „Ein Regierungseintritt der FPÖ würde bedeuten, dass auch Deutschland seine nachrichtendienstliche Kooperation mit Österreich auf den Prüfstand stellen muss“, so Kuhle gegenüber dem „Handelsblatt“. Die FPÖ gilt von allen rechtsextremen Parteien Europas als eine der russlandfreundlichsten. Gegen billiges Gas aus Russland hat Herbert Kickl trotz des Krieges nichts – noch immer bezieht das Land 83 Prozent seines Gases von dort. Als Innenminister der Regierung schwächte Kickl 2018 den österreichischen Inlandsgeheimdienst durch eine verfassungswidrige Polizeirazzia. Doch schon damals galten die österreichischen Geheimdienste als abgekoppelt vom Rest der Nachrichtendienste in Europa – gerade weil in zahlreichen Nachbarländern die Befürchtung herrschte, dass die russische Einflussnahme auf Österreich ein zu großes Sicherheitsrisiko darstellte. Das Gleiche könnte nun wieder passieren.
In Europa gratulieren die Vertreter des Lagers Rechtsaußen dem Wahlsieger Kickl: Autokrat Viktor Orban aus Ungarn, Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National aus Frankreich, die AfD aus Deutschland. Le Pen sprach von einem „Triumph der Völker“. Die Implikationen für die nächsten Jahre in Europa sind spürbar. Schon jetzt rückt die Brüsseler Politik ab von einem ganz grünen „Green Deal“ ohne Kompromisse, man spricht sich für mehr Wettbewerb aus. Noch kann Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen durch eine Koalition der Mitte die neu gegründete rechtsextreme Fraktion „Patrioten für Europa“, die jedoch weniger für ein einiges Europa denn vor allem für eine engere Kooperation mit Russland steht, von EU-Ämtern ausschließen. Weitere Wahlerfolge der Rechtsextremen in den kommenden Monaten und Jahren dürften diese Haltung weiter erschweren.
In Österreich selbst aber stehen schwierige Koalitionsverhandlungen an. FPÖ-Chef Kickl bekräftigte noch einmal, als Kanzler eine mögliche Regierung anführen zu wollen. Da als Koalitionspartner dafür nur die ÖVP infrage kommt, hängt es nun an Karl Nehammer und seiner Partei, sich den Rechtsextremen zu öffnen. Gegen eine solche Konstellation haben bereits vergangene Woche 25.000 Menschen in der österreichischen Hauptstadt Wien demonstriert. Die öffentlich bekannten Linien der österreichischen Parteien sind klar. Herbert Kickl von allen Ämtern fernzuhalten reicht nicht aus, um den Rechtsextremismus auch aus einer künftigen österreichischen Regierung mit FPÖ-Beteiligung herauszuhalten.