Selten war eine Wahl in Luxemburg so spannend. Es gibt weder große Begeisterung für die Fortsetzung der bisherigen Koalition, noch eine ausgemachte Wechselstimmung. Umfragen zeigen ein knappes Rennen und neue Möglichkeiten.
Luxemburg ist nicht gerade dafür bekannt, politisch besonders experimentierfreudig zu sein. Jahrzehntelang hatte die CSV (Christlich Soziale Volkspartei, vergleichbar der CDU) quasi ein Abonnement auf das höchste Regierungsamt. Jean-Claude Juncker war von 1995 bis 2013 Premierminister, damit länger an der Regierungsspitze als Helmut Kohl und Angela Merkel, die es jeweils auf 16 Jahre brachten. Nach 18 Jahren Juncker hielten aber auch die sonst so beständigen Luxemburger einen Wechsel für angebracht.
Der damals gerade 40 Jahre junge Xavier Bettel sollte frischen Wind bringen. In den zwei Jahren vor der Wahl 2013 hatte er sich bereits als Bürgermeister der Landeshauptstadt bekannt gemacht, zuvor war er mit gerade mal 26 Jahren als jüngster Abgeordneter ins Parlament, die Abgeordnetenkammer (Chamber) gewählt worden.
Nicht nur sein vergleichsweise junges Alter, seine politischen Überzeugungen (Bettel hatte sich schon als Vorsitzender der Jungen Liberalen hervorgetan), sondern auch seine persönlichen Lebensverhältnisse weckten bei vielen Hoffnung auf einen neuen Aufbruch. Bettel lebte bereits vor seiner Wahl zum Premierminister in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, und heiratete schließlich seinen Lebenspartner. Er war damit der erste verheiratete homosexuelle Regierungschef. An Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft mangelt es ihm offenbar nicht.
Bei der Wahl vor zehn Jahren wurde seine DP (Liberale Partei) zwar nur drittstärkste Kraft, aber Bettel schließlich Premierminister. Er nutzte eine ungewöhnliche Konstellation. Die CSV von Juncker hatte massive Verluste hinnehmen müssen (minus 4,3 Prozentpunkte, blieb aber mit 33,7 Prozent stärkste Kraft). Verluste gab es auch für die damals mitregierende LSAP (Sozialistische Arbeiterpartei, 20,3 Prozent, minus 1,3). Die DP legte um 3,3 Punkte zu, kam auf 18,3 Prozent. Wegen des Wahlrechts errangen aber LSAP und DP jeweils 13 Sitze, zusammen mit den zehn Sitzen der Grünen reichte es für eine Mehrheit eine Gambia-Koalition gegen die CSV. Die war folglich stinksauer, sprach von einer „Piraterie am Wählerwillen“. Xavier Bettel störte es wenig. Die LSAP, obwohl in „Gambia“ stärkste Partei, hatte ihm den Vortritt gelassen im Respekt vor dem Wählerwillen. Schließlich hatte die LSAP an Zustimmung verloren, die DP deutlich gewonnen.
Fünf Jahre später, bei der letzten Kammerwahl, hatte sich die Parteienlandschaft Luxemburgs weiter deutlich verändert. Der Abstieg der Jahrzehnte unangefochtenen konservativen Regierungspartei CSV setzte sich fort. Mit 28,3 Prozent erzielten die Christsozialen das bis dahin historisch schlechteste Ergebnis. Auch die traditionsreiche Arbeiterpartei LSAP schnitt mit 17,6 Prozent (minus 2,7 Punkte) so schlecht ab wie noch nie seit knapp 100 Jahren (genauer gesagt seit 1925). Auch Bettels DP ließ etwas Federn (minus 1,3 Punkte), aber 16,9 Prozente reichten für eine zweite Amtszeit. Die Grünen hatten einen kräftigen Sprung nach vorne gemacht, kamen auf 15,1 Prozent (plus fünf Punkte), damit verfügte „Gambia“ über die hauchdünne Mehrheit von 31 der insgesamt 60 Abgeordneten.
Stabile Koalition mit zahlreichen Minister-Wechseln im Kabinett
Deutlich bemerkbar machten sich auch die Piraten. Während sie in vielen anderen europäischen Ländern nur ein kurzes Zwischenhoch erlebten, etablierten sich die Piraten in Luxemburg, kamen auf knapp 6,5 Prozent, ein Plus von 3,5 Punkten und damit zwei Abgeordnetensitze.
Wie in vielen europäischen Nachbarländern entwickelte sich am rechten Rand eine neue Partei, die ADR (Alternativ Demokratesch Reformpartei), eine rechtspopulistische, national eingestellte Partei. Sie zog mit vier Abgeordneten (8,3 Prozent) in die Kammer ein.
Überhaupt sieht das aktuelle luxemburgische Parlament recht bunt aus. Auch die Linke schaffte es mit 5,5 Prozent auf zwei Sitze, somit liefern sich sieben Parteien im Parlament einen munteren Debattenaustausch.
In der zweiten Amtszeit, also den zurückliegenden fünf Jahren, hat die Gambia-Koalition einiges von den angekündigten Projekten in die Tat umgesetzt. Das auch für auswärtige Besucher der Landeshauptstadt Auffälligste ist der kostenlose ÖPNV. Ein Kernstück dabei ist die neue Tram in Luxemburg City. Eröffnet wurde der erste Teil von 8,5 Kilometern Länge 2017, derzeit wird der zweite Teil auf dann 16 Kilometer ausgebaut, unter anderem direkt zum Flughafen Findel. Es ist ein Kernstück eines gesamten Mobilitätskonzepts. Luxemburg profitiert von den Pendlerströmen, gleichzeitig sind die nur noch mühsam zu bewältigen. Stau ist Routine.
Ansonsten hatte Luxemburg wie alle anderen Länder erst unter der Pandemie zu leiden und dabei als Land mit den größten Pendlerströme noch einige zusätzliche Probleme. Anschließend beherrschten die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, Energiepreise und Inflation, weitgehend das Tagesgeschäft.
Zehn Jahre Regierung Bettel klingt nach Stabilität. Die Regierungsmannschaft selbst war aber in diesem Jahrzehnt in einem ständig munteren Wechsel. Das „Luxemburger Tageblatt“ hat versucht, die Chronologie der Wechsel im Kabinett zusammenzustellen, die sich durch die Wahl 2018, durch Wechsel von Ministern zu anderen Aufgaben, etwa in der Privatwirtschaft, Rückzug aus gesundheitlichen Gründen oder Rücktritte nach Skandalen ergeben haben.
Übrig bleiben trotzdem einige Konstanten: Xavier Bettel (DP) selbst, der als Premierminister auch noch für Kommunikation, Digitales und Verwaltungsreform zuständig ist; Jean Asselborn (LSAP), der als Außenminister auch für Immigration verantwortlich ist; und schließlich François Bausch (Grüne), dessen Ministerium für Infrastruktur und nachhaltige Entwicklung zwischenzeitlich zum Mobilitätsministerium umbenannt wurde. Zu den Konstanten luxemburgischer Regierungspolitik zählen zwei weitere Liberale: Corinne Cahen, zuständig für Familie und Großregion, sowie Claude Meisch (Bildung und Hochschule). Außerhalb des Landes ist vor allem Außenminister Jean Asselborn neben dem Regierungschef selbst eine bekannte Größe. Der heute 74-Jährige ist bereits seit 2004 im Amt und damit dienstältester Außenminister der EU.