Der Mond ist weitaus mehr als ein schöner Himmelskörper. Die Astrophysikerin Dr. Sandra Unruh vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn spricht über seine stabilisierende Funktion, darüber, inwiefern er die Erde abbremst und wie in naher Zukunft die bemannte Raumfahrt den Erdtrabanten weiter erforscht.
Frau Dr. Unruh, wenn wir uns darüber bewusst werden, welch großen Einfluss der Mond auf die Erde und auf unser Leben hat, kommt man nicht umhin, festzustellen, dass er etwas sehr Kostbares, für uns Lebensnotwendiges ist …
Das ist absolut richtig. Der Mond ist super kostbar, und zwar nicht nur aufgrund seiner Ästhetik, sondern auch weil er nach unserem heutigen Kenntnisstand einzigartig ist. Im Verhältnis zu seinem Mutterplaneten ist er recht groß. Das kennen wir von anderen Planeten und ihren Monden nicht. Er stabilisiert auch die Neigung der Erdachse. Daher ist es keine Übertreibung zu sagen, wenn es den Mond nicht gebe, würde es kein Leben auf der Erde geben.
Der wohl bekannteste Einfluss des Mondes ist, dass er die Gezeiten hervorruft. Können Sie uns erklären, welche Kräfte des Mondes auf die Erde wirken?
Es ist so, dass sich alle Körper mit einer Anziehungskraft gegenseitig beeinflussen. Je schwerer ein Körper ist, desto mehr Einfluss kann er ausüben. Das heißt, die Erde als der für uns nächste schwere Körper hält uns am Boden. Aber der vergleichsweise große Mond hat auch noch einen gravitativen Einfluss auf die Erde als Ganzes und sorgt dafür, dass sich Wassermassen, die sich in Mondnähe befinden, zum Erdtrabanten hinziehen, sodass an den Küsten das Wasser steigt oder sich zurückzuziehen beginnt.
Ist die Kraft, die der Mond auf die Erde ausübt, auch eine Gravitationskraft?
Ja.
Gravitationskraft des Mondes
Gibt es darüber hinaus weitere Kräfte, die sich auf die Gezeiten auswirken?
Nein, nur die Gravitationskraft – allerdings auch die der Sonne. Während Voll- und Neumond wirken die Gravitationskräfte von Mond und Sonne zusammen, was zu stärkeren Gezeiten, den sogenannten Springfluten, führt. Ein interessanter Nebenaspekt ist noch, dass sich nicht nur das Wasser bewegt, selbst die Erdkruste auf der wir stehen wird durch die Schwerkraft des Mondes leicht angehoben.
Inwiefern wirkt sich das auf Menschen und Tiere aus?
Die Anhebung der Erdkruste ist für unser alltägliches Leben relativ irrelevant. Ich vermute, dass dieser Umstand am ehesten für unsere GPS-Systeme ein leichtes Problem darstellt. Weiter würde ich stark vermuten, dass sich manche maritime Lebewesen an den Ebbe- und Flutrhythmus angepasst haben.
In der biodynamischen Landwirtschaft orientieren sich Landwirtinnen und Landwirte am Mondzyklus. Inwiefern beeinflusst er – wissenschaftlich belegt – das Pflanzenwachstum?
Soweit ich weiß, geht man Pilze suchen, wenn Vollmond ist, weil sie dann wohl gut wachsen. Ob das wissenschaftlich belegt ist, kann ich nicht sagen. Demeter ist ein Anbauverband, dessen Mitglieder danach handeln. Ich würde sagen, dass es möglich ist, ich halte es allerdings nicht für zwingend wahrscheinlich.
Was bewirkt das Perigäum, also wenn der Mond in größter Nähe zur Erde steht?
Tatsächlich hat der Mond eine kaum elliptische, eher fast kreisförmige Umlaufbahn. Deswegen ist der einzige erkennbare Unterschied für uns, dass er alle paar Monate mal ein bisschen größer am Himmel wirkt.
Spricht man in diesem Zusammenhang vom Supermond?
Genau. Der Supermond entsteht immer, wenn der Mond, der sich auf einer elliptischen Bahn um die Erde herumbewegt, zufällig genau dann seine Vollmondphase hat, wenn er uns am nächsten ist. Der Mond braucht 29,5 Tage, um die Erde einmal zu umkreisen.
Wie oft können wir den Supermond am Himmel beobachten?
Ein Supermond tritt ungefähr einmal pro Jahr auf. Den nächsten Supermond können wir am 5. November 2025 beobachten.
„Der Mond stabilisiert die Erdachse“
Mit der wichtigste Einfluss des Mondes auf die Erde ist seine klimastabilisierende Funktion. Wie schafft er es seit vier Milliarden Jahren, das Klima auf der Erde stabil zu halten?
Die Erde dreht sich um sich selbst, eine vollständige Erdumdrehung dauert 24 Stunden. Allerdings ist die Drehung einer Kugel im freien Weltall nicht besonders stabil. Die sich drehende Erde ohne Mond würde über einen längeren Zeitraum, also über viele Hunderte Millionen Jahre, anfangen, deutlich zu schwanken. Laut Berechnungen des französischen Astronomen Jacques Laskar könnte sich die Erde über Jahrmillionen anstelle von wie bisher 23,5 Grad auf bis zu 85 Grad neigen. Der Mond hingegen zieht aufgrund seiner Gravitation kontinuierlich an der Erde und stabilisiert die Erdachse, wodurch die Orientierung der Erde im Raum erhalten bleibt. Diese Stabilität ist entscheidend für ein ausgeglichenes Klima und die langfristige Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten.
In welchem Winkel ist die Erdachse geneigt?
Die Erdachse ist um etwa 23,5 Grad gegen die Bahnebene der Erde, die Ekliptik, geneigt. Diese Neigung ist auch für die Jahreszeiten verantwortlich. Der Mond bewegt sich in einer Bahn, die zwar nahe, aber nicht exakt auf der gleichen Ebene liegt wie die der Planeten unseres Sonnensystems. Deshalb erleben wir nur alle paar Jahre eine Sonnenfinsternis, wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt.
Verlangsamt die Rotation der Erde
Welche Rolle spielt die gebundene Rotation?
Es ist ein Fakt, dass uns der Mond nahezu ausschließlich die gleiche Seite zuwendet. Im Lauf eines Mondmonats können wir nur 59 Prozent, also ein bisschen mehr als die Hälfte der Oberfläche des Mondes sehen. Die Rückseite war lange Zeit ein Mysterium des Mondes, bis wir den Satelliten Lunik III 1959 dorthin schickten, um sie zu fotografieren. Die gebundene Rotation entsteht, weil die Rotationsperiode des Mondes um die eigene Achse und die Umlaufzeit um die Erde gleich lang sind, sodass der Mond innerhalb eines Erdmonats einmal um die Erde rotiert.
Heißt also, die erdabgewandte Seite des Mondes bekommen wir nie zu sehen?
Genau, nur über Satellitenaufnahmen.
Noch einmal zurück zur klimastabilisierenden Funktion des Mondes. Wie kommt sie zustande?
Ich finde, die Analogie eines Hammerwerfers veranschaulicht das Zustandekommen sehr gut. Wir können uns vorstellen, dass jemand einen schweren Gegenstand in der Hand hält und anfängt, sich zu drehen. Dabei ist die Verbindung zu dem Objekt quasi die Gravitation. Solange man sich mit Wurfgerät in der Hand schnell dreht, bleibt die Drehung stabil. In dem Moment, in dem der Hammerwerfer die Metallkugel an dem Stahldraht loslässt, kann er sich nicht mehr so einfach stabil weiter um die eigene Achse drehen. Selbst wenn er wollte.
Angenommen die Erde wäre ohne Mond, wie würde sich das auf die Erdrotation auswirken?
Ohne den Mond wäre die Stabilität der Erdachse beeinträchtigt. Die Orientierung der Erdachse würde nicht mehr konstant bleiben und könnte über Hunderte Millionen Jahre hinweg beginnen, sich erheblich zu verändern. Während die Erde sich weiterhin um die Sonne dreht, könnte sie anfangen, in verschiedene Richtungen abzukippen. In extremen Fällen könnte der Nordpol beispielsweise irgendwann direkt zur Sonne zeigen, was zu drastischen Veränderungen in den klimatischen Bedingungen führen würde.
Was für Folgen hätte das Abkippen der Erde?
Die Erde würde sich auch ohne Mond immer noch genauso um die Sonne bewegen. Allein wie die Erde als Kugel auf ihrer Bahn orientiert ist, würde sich ändern. Sie würde anfangen zu kippen, während sie immer noch weiterfliegt. Diese Instabilität könnte zu extremen Schwankungen der Temperaturen und somit zu unvorhersehbaren Auswirkungen auf das Klima und die Lebensbedingungen auf der Erde führen. Wenn wir von Erdrotation sprechen, meinen wir oft auch die Dauer. Indem der Mond dauernd auf uns einwirkt, bremst er die Erde auch ein wenig aus. Als der Mond noch nicht da war, dauerte ein Tag auf der Erde nur fünf, sechs Stunden. In den letzten vier Milliarden Jahren hat sich die Dauer eines Tages auf 24 Stunden erhöht.
Was ergaben außerdem die Berechnungen des Astronomen Jacques Laskar?
Die Rotation der Erde verlangsamt sich auch heute noch, nämlich alle hundert Jahre um 1,7 Millisekunden. Der Mond gibt Energie ab, indem er gravitativ auf die Erde einwirkt, wodurch die Erde in ihrer Rotation langsamer wird. Der Mond seinerseits entfernt sich pro Jahr 3,8 Zentimeter weiter von der Erde.
Das heißt, der Mond hat durch seine Schwerkraft eine abbremsende Wirkung auf die Erdrotation?
Ja, genau. Der Mond wirkt gravitativ, das heißt, er wirkt mit seiner Schwerkraftenergie auf die Erde ein. Das führt zu einer Abbremsung der Erdrotation um sich selbst. Als Ausgleich entfernt sich der Mond jedes Jahr ein wenig
weiter von uns.
Welche neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu, dass der Mond eine Bedingung für die Entstehung des Lebens auf der Erde ist?
So neu ist die Erkenntnis nicht. Die grundlegende Voraussetzung eines Planeten, auf dem Leben entstehen kann, ist, dass er stabil rotiert und nicht stark schwankenden Klimabedingungen über kurze Zeiträume unterworfen ist. Astronomen definieren übrigens kurze Zeiträume als einige Hundert Millionen Jahre. Deshalb ist der Mond essenziell dafür, dass auf der Erde überhaupt erst Leben entstanden ist. Der Mond ist entstanden, als ein marsgroßes Objekt auf die Erde geprallt ist, und er sich aus den Bruchstücken gebildet hat. So in etwa glauben wir heute auch, dass das Leben auf die Erde gekommen ist, nämlich indem ein Meteorit mit komplexen Molekülen auf die Erde geknallt ist.
Was wissen wir noch nicht über den Mond?
Für uns Astrophysiker ist der Mond ein total spannendes kosmisches Fossil. Es ist das nächste in unserer Umgebung, weswegen wir es auch sehr gut erforschen können. In den letzten Jahren haben wir unsere Forschungen sogar noch intensiviert. Vor allem mit der Artemis-II-Mission der Nasa sollen im September kommenden Jahres wieder Astronauten den Mond erreichen. Dabei spielt die folgende Erkenntnis eine entscheidende Rolle: Erst 2009 wurde festgestellt, dass auf dem Mond eine begrenzte Menge Wasser in Form von Eiswasser vorhanden ist. Für die zukünftige bemannte Raumfahrt ist dies sehr wichtig. Auch an den Vorkommen von Helium-3 und an der Beschaffenheit der Mondoberfläche wird sehr viel geforscht.
Helium-3 als Antriebsmittel
Woher kommt das Forschungsinteresse an Helium-3?
Helium ist ein Edelgas und in seinem Kern hat es normalerweise zwei Protonen und zwei Neutronen. Es kommt jedoch auch in einer anderen Variante vor, in der der Atomkern aus zwei Protonen und einem Neutron besteht – sie nennt sich Helium-3. Die Sonne bläst ständig geladene Teilchen ins All und einige lagern sich auf der Mondoberfläche ab. In der Zukunft könnte Helium-3 als Antriebsmittel für die Raumfahrt von Bedeutung sein. Die Fusion von Helium-3 könnte eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle bieten, die keine radioaktiven Abfälle produziert. Insofern halte ich es für eine spannende Frage, die uns in Zukunft beschäftigen wird, wie wir mit den Ressourcen des Mondes möglichst autark und zugleich nachhaltig umgehen können.