Nach Aufkündigung der seit rund 30 Jahren geltenden Beschäftigungssicherung hat die kriselnde Traditionsmarke Volkswagen Ende Oktober mit Plänen zu drastischen Lohnsenkungen und etwaigen Werksschließungen für Empörung bei den betroffenen Mitarbeitern gesorgt.
Dass ausgerechnet der Automobilsektor, der bislang als eines der wichtigsten Standbeine der europäischen Industrie rund sieben Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften konnte, in eine tiefe Krise geraten konnte, wurde der breiten Öffentlichkeit erstmals im Laufe des Jahres so richtig bewusst. Fast wöchentlich gab es neue Meldungen, die sich um Umstrukturierungen, Stellenabbau oder gar um projektierte Werksschließungen drehten. Wobei das größte Problem gewissermaßen hausgemacht war, weil man in der Branche auf den schleichenden Bedeutungsverlust der klassischen Verbrenner-Motoren auf den zentralen Weltmärkten USA, Europa und vor allem China viel zu spät reagiert und den breiten, auch von der Brüsseler EU-Kommission protegierten Umstieg auf die Produktion von preisgünstig-bezahlbaren Elektroautos regelrecht verschlafen hatte.
2023 Nettogewinn von 17,9 Milliarden Euro
Dass auch das europäische Flaggschiff des Automobilsektors, der Wolfsburger Volkswagen-Konzern, der allein in Deutschland in seinen zehn Werken etwa 120.000 Mitarbeiter beschäftigt, von der Krise betroffen sein würde, war daher abzusehen. VW zählt zu den weltweit größten privaten Arbeitgebern und ist – gemessen an Umsatzzahlen – nach wie vor der global größte Automobilhersteller. Dabei verzeichnete VW einen Umsatzsprung von 15,5 Prozent vom Geschäftsjahr 2022 zum Geschäftsjahr 2023 auf das Rekordergebnis von rund 332,3 Milliarden Euro und einem daraus resultierenden Nettogewinn von 17,9 Milliarden Euro 2023. Für das Jahr 2024 veröffentlichte das Unternehmen Ende Oktober eine Umsatzprognose von rund 320 Milliarden Euro und einen wahrscheinlichen Absatz von rund neun Millionen Fahrzeugen.
Von roten Zahlen ist VW daher noch meilenweit entfernt und steht deutlich besser da als die heimische Konkurrenz. Dennoch hatte das „Manager Magazin“ den Konzern im Herbst zu einem „Sanierungsfall“ deklariert, weil der „schwache Absatz in Europa und vor allem in China“ den Autobauer trotz eines europäischen Marktanteils von rund 25 Prozent erheblich belaste. Als Beleg führte das Magazin ein im September abgegebenes Statement von VW-Konzern-Finanzchef Arno Antlitz an: „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Und das hat nicht mit unseren Produkten zu tun oder schlechter Leistung des Vertriebs. Der Markt ist schlicht nicht mehr da.“
Die sich stetig verschärfende Krise beim VW-Konzern, der seit Gründung der Bundesrepublik als Paradebeispiel für den Erfolg der deutschen Wirtschaft gegolten hatte, wird inzwischen symptomatisch für die wachsenden Probleme der hiesigen Industrie angesehen.
Schon Ende 2023 hatte sich der Konzern mit dem Betriebsrat auf ein Sanierungskonzept geeinigt, dessen Kernpunkt ein zehn Milliarden Euro schweres Sparprogramm beinhaltete, das inzwischen um zusätzliche vier Milliarden Euro erweitert wurde. Laut VW-Finanzvorstand Antlitz sind die hohen Fix- und Gemeinkosten sowie eine zu geringe Produktivität der deutschen Werke ein erheblicher Wettbewerbsnachteil. Die Löhne bei Volkswagen sind bekanntermaßen deutlich höher als sonst in der Branche üblich. Zudem waren seit der 1992 geltenden Beschäftigungssicherung betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Anfang September 2024 hatte VW diese Vereinbarung aufgekündigt, wodurch die Job-Garantie ab Juli 2025 wegfallen kann.
Um sich den Freiraum für notwendige Zukunfts-Investitionen schaffen zu können, waren aus Sicht der Konzernleitung drastische Einsparungen bei den Personalkosten alternativlos. „Wir müssen die Kosten senken und die Produktivität steigern, gerade in den deutschen Werken. Wir stehen vor wesentlichen und schmerzhaften Entscheidungen“, sagte Antlitz. Als ersten Schritt auf dem Weg seines Sparkurses hatte der Konzern die eigentlich erst für Ende Oktober geplante neue Tarifrunde einen Monat vorgezogen. Wobei VW auf Senkungen der Personalkosten gedrängt hatte, während die IG Metall dies strikt abgelehnt und einen Lohnanstieg um sieben Prozent gefordert hatte. „Über Werksschließungen und Massenentlassungen ist mit uns nicht zu reden“, sagte Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger. VW-Gesamtbetriebsratschefin Daniela Cavallo hatte beide Maßnahmen als „klare rote Linien“ bezeichnet.
Alle Werke im Land von Kürzungen betroffen
Doch dann schlug dank einer im „Handelsblatt“ vom 27. Oktober publizierten Meldung die Bombe ein: Um Einsparungen im Rahmen von vier Milliarden erreichen zu können, habe das VW-Führungsgremium neben Lohnverzicht auch die Schließung verschiedener Werke in Deutschland ins Auge gefasst. Am folgenden Morgen trat daraufhin Daniela Cavallo vor die Wolfsburger Belegschaft und gab bekannt, dass das Management „mindestens drei“ der zehn deutschen VW-Werke schließen wolle. Welche Standorte gefährdet sind, verriet Cavallo nicht, kündigte aber an, dass auch die übrigen Werke allesamt „schrumpfen“ müssten, betriebsbedingte Kündigungen vorgesehen seien und manche „Abteilungen und selbst ganze Bereiche“ ins Ausland verlagert werden könnten. „Alle deutschen VW-Werke sind von diesen Plänen betroffen. Keines ist sicher“, erklärte Cavallo. In Deutschland stünden daher Zehntausende von VW-Arbeitsplätzen auf dem Spiel.
Generell drohe zudem eine Gehaltskürzung von zehn Prozent, außerdem seien für 2025 und 2026 Nullrunden in Sachen Gehaltsanpassung vorgesehen, etwaige Tarifzulagen oder Boni würden wohl wegfallen. Insgesamt müssten sich VW-Beschäftigte auf Gehaltseinbußen von bis zu 18 Prozent gefasst machen.
VW-Markenvorstand Thomas Schäfer wies hingegen auf die Notwendigkeit einer Kehrtwende hin, weil die Kosten in den deutschen Werken um ein Viertel bis zur Hälfte über dem Level angesiedelt seien, das sich das Unternehmen selbst vorgenommen habe. Zudem machte der Konzern auf ein Absacken des Betriebsergebnisses im dritten Quartal 2024 um 42 Prozent und des Nettogewinns um satte 64 Prozent aufmerksam.
Die Bundesregierung stellte sich an die Seite der VW-Beschäftigten und forderte die Erhaltung der Arbeitsplätze. Auch das Bundesland Niedersachsen dürfte als zweitgrößter Einzelaktionär ein gehöriges Wörtchen mitreden und wohl Werkschließungen in seinem Hoheitsbereich einen Riegel vorschieben wollen. Ministerpräsident Stephan Weil sprach sich daher für „alternative Lösungsansätze“ und für neuerliche Kauf-anreize für E-Autos aus.