Im alpinen Ski-Weltcup haben Comebacks von früheren Topstars Hochkonjunktur. Erst kehrte Slalom-König Marcel Hirscher wieder zurück, und kurz vor Weihnachten will auch Speed-Queen Lindsay Vonn wieder das Abfahrts-Adrenalin fühlen.
Der Berg ruft – und in der angebrochenen Wintersport-Saison offenbar besonders laut die Stars vergangener Jahre. Olympiasiegerin Lindsay Vonn jedenfalls will nun ebenfalls noch vor Weihnachten in St. Moritz auf die Weltcup-Pisten zurückkehren, nachdem das ebenfalls vor fünfeinhalb Jahren abgetretene Idol Marcel Hirscher schon Ende Oktober ganz offiziell sein Wedel-Comeback im Alpin-Zirkus gefeiert hat.
„Ich hoffe“, sagte Vonn bei ihrer weltweit beachteten Ankündigung ihre Rückkehr augenzwinkernd, „ich hoffe, mein Rennanzug passt noch.“
Diese Frage jedoch dürfte eingedenk des nur etwas mehr als sechs Monate zurückliegenden Einsatzes künstlicher Teile in ihr rechtes Kniegelenk zu den unwichtigsten gehören. Sorgen bereiten der 40-Jährigen die einschneidenden Veränderungen ihres Körpers aber offenbar nicht. „Ich habe meine Karriere 2019 ohne die Absicht beendet, jemals wieder zurückzukehren. Aber ich liebe das Skifahren, fühle mich stärker als je zuvor und bin bereit, das Risiko einzugehen“, begründete Vonn ihren zuvor mehrere Wochen als Gerücht gehandelten Entschluss.
Aus medizinischer Sicht halten sich die Bedenken gegen neue Schussfahrten der Abfahrts-Siegerin der Winterspiele von 2010 in Vancouver offenkundig in Grenzen. „Es ist absolut machbar, und ich würde sagen, es ist auch nicht extrem unvernünftig“, erklärte der Münchener Facharzt Dr. Markus Köhne in einem „Spiegel“-Interview über die Pläne der einstigen Speed-Queen.
Wie lange spielt der Körper mit?
Probleme mochte der Mannschafts-Doc des Deutschen Skiverbandes (DSV) allerdings auch nicht völlig ausschließen: Es gebe auf diesem Niveau zwar keine Erfahrungswerte, sagte Köhne weiter, aber „die eine große Gefahr ist, dass das restliche Knie anfängt zu reagieren, und die zweite Gefahr ist, dass es zu einer frühzeitigen Lockerung kommt. Sie kann sicherlich auch in einem oder zwei Rennen wieder voll angreifen. Ob das mit ihrem Knie aber über eine ganze Saison oder gar mehrere Jahre möglich ist, das wage ich zu bezweifeln.“
In der Szene fand die beinahe typisch hollywoodreife Entscheidung des „Glamour Girls des alpinen Skisports“, als das Vonn zeit ihrer fast 20-jährigen Karriere galt, auch nicht nur Beifall. Zwar nutzte Vonns jahrelanger Weltcup-Wegbegleiter Felix Neureuther wie zuvor bei seinen „Freudensprüngen“ wegen der Bekanntgabe des Hirscher-Comebacks die Gelegenheit zur schmachtenden Selbstinszenierung als eloquent-telegener Alpin-Purist („Wenn eine das unmöglich Anmutende schaffen kann, dann die einzigartige Lindsay Vonn“), doch die Reaktionen in der unabhängigen Fachwelt waren doch von deutlich mehr Skepsis geprägt.
Dabei blieb Viktoria Rebensburg, im Riesenslalom wie Vonn vor 14 Jahren Gewinnerin von Olympia-Gold, noch am zurückhaltendsten gegenüber ihrer Ex-Kollegin: „Du musst Dich bei 120 bis 130 km/h total überwinden können. Deswegen kann ich mir eine Abfahrt von ihr aus dem Stegreif nicht vorstellen“, warnte Rebensburg in einer BR-Sendung. Österreichs Ikone Franz Klammer, als Abfahrts-Olympiasieger – und Weltmeister für eine Expertise prädestiniert, erinnerte an Sarajevo-Olympiasieger Bill Johnson (USA), der bei der Vorbereitung eines Comebacks nach sogar elf Jahren schwer stürzte und dadurch bis zu seinem Tod ein Pflegefall geblieben war. „Wenn sie das wirklich macht“, sagte Klammer nun über Vonn, „dann hat sie einen Vollschuss“.
Überhaupt nicht an sportliche Ambitionen der 82-maligen Gewinnerin von Weltcup-Rennen (66 Podestplatzierungen in der Abfahrt) glaubt der deutsche Olympiasieger Markus Wasmeier. Nachdem Vonn seit ihrem Rücktritt voller Elan und Tatendrang an einer Zukunft als Geschäftsfrau und Versilberung ihres Ruhms gearbeitet hatte, hält „Wasi“ die Comeback-Pläne der mehrfachen Gesamtweltcupsiegerin für einen einzigen Marketing-Gag: „Das ist nur Show. Das grenzt an Verarschung.“ Soweit ging in den Kommentaren zu Hirschers Comeback niemand. Im Gegenteil: Hermann Maier, Österreichs kraftstrotzende Ski-Ikone, erklärte seinen zum niederländischen Verband in die Heimat seiner Mutter gewechselten Landsmann umgehend zu einem Podestanwärter: „Für mich ist er in der Lage, aus dem Stand zu gewinnen. Er wird von den ersten Rennen weg zu den Siegläufern gehören“, mutmaßte der „Herminator“ in der Zeitung „Kurier“.
Dazu reichte Hirschers Leistungsvermögen – zumindest vorerst – nicht. Über Platz 23 nach dem Riesenslalom-Finale beim Saisonauftakt in Sölden freute sich der 35-Jährige exakt 2.051 Tage nach seinem zuvor letzten Weltcuprennen wie früher über einen seiner insgesamt 67 Einzelerfolge oder seine beiden Olympiasiege. „Es ist einer der emotionalsten Momente in meiner Karriere. Ich bin echt happy.“
Weniger gute Laune hatte der achtmalige Gesamtweltcupsieger Mitte November im finnischen Levi – womöglich ein Fingerzeig für Vonn – nach Platz 46 und dem damit verpassten Endlauf in seiner persönlichen Königsdisziplin Slalom: „Es ist relativ schnell in eine der schlechtesten Slalomfahrten meines Lebens umgeartet. Das war wirklich eine Plagerei und nicht das, was ich mir erhofft hatte“, bilanzierte Hirscher im Zielraum.
Wenn aber selbst Idole und mehrfache Champions doch nicht so leicht die Zeit zurückdrehen können: Warum tun sich Hirscher oder auch Vonn eben eine solche „Plagerei“ noch einmal an? Wie Vonn nennt auch Hirscher die Leidenschaft zum Skisport als wichtigste Motivation: „Für mich ist es ein Herzensprojekt. Ich hatte ja kein Abschiedsjahr. Mir war 2019 beim Finale nicht klar, dass ich keine Rennen mehr bestreiten würde, das hat sich erst in den weiteren Monaten ergeben. Der Rennfahrer und Kämpfer, der ich einmal war, existiert aber noch immer“, sagte der Altmeister in der Mitteilung eines Sponsors über die faszinierenden Facetten seines Sports.
Noch keine Spitzenresultate
Die Faszination vor allem großer Namen wie Hirscher oder Vonn hatte der zumeist nur mit sich selbst beschäftigte Weltverband FIS als Mittel zur Imagepolitur für sich entdeckt. Statt Negativschlagzeilen über die Auswirkungen des Skisports auf das Klima und umgekehrt oder die dauernden Streitigkeiten der nationalen Verbände mit dem FIS-Boss Johan Eliasch stehen nun „Helden“ vom Kaliber Hirschers und Vonns erneut als Zugpferde für die dringend benötigte Nachwuchsgeneration im Blickpunkt. Die ansonsten strengen Zulassungskriterien für Weltcupstarts hebelte die FIS mit der Einführung von Wildcards aus und lockte damit verdienstvolle und erfolgreiche, aber schon zurückgetretene Stars vergangener Jahre zurück auf die Pisten. Hirscher ging nur allzu gern über diese Brücke – zumal die Niederländer in Ermangelung echter Fahrer von internationaler Klasse geradezu einen roten Teppich ausrollten. „Mir ist klar gewesen, dass ich im österreichischen Team keinen Platz habe und auch keinem jüngeren Fahrer einen wegnehmen will, deshalb habe ich mich für die Niederlande entschieden, und wenn man 99 Prozent seiner Rennen fürs Vaterland gefahren ist, dann ist es doch schön, ein Prozent auch fürs Mutterland zu absolvieren“, schilderte Hirscher die Umstände seiner Rückkehr.
Seine Ambitionen dürften höher sein als das Ergebnis von Levi, doch eine Dominanz wie zu früheren Zeiten erwartet Hirscher auch nicht mehr: „Es ist mein Ernst, dass es mir nicht mehr um Hundertstel geht. Ich genieße das Gefühl, wieder eine Startnummer zu tragen und möchte noch so viele Rennen wie möglich fahren, auch wenn viele jüngere Fahrer bestimmt ‚Der Opa ist wieder da‘ sagen werden.“
Nach Lage der Dinge jedoch will Hirscher am Saisonende die Skier endgültig abschnallen und in die Ecke stellen. „Das Projekt ist auf ein Jahr ausgelegt und war nie länger gedacht“, sagte der ehemalige Slalom-König im österreichischen Fernsehen, ließ sich aber ein Hintertürchen offen: „Sag niemals nie. Ich habe vorher ja auch nie geglaubt, dass ich noch einmal mitfahre.“