Die Parteienlandschaft wird bunter. Lange war spekuliert worden, jetzt ist die Neugründung offiziell. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ hat Linien abgesteckt, ein Programm soll noch folgen.
Kurz nach 21 Uhr fällt Christian Leye in der Vorhalle des ehemaligen Kosmos Kinos an der Berliner Karl-Marx-Allee in Friedrichshain sichtlich ein Stein vom Herzen. Seine Kür ist pannenfrei über die Bühne gegangen. Der 42-Jährige, der diesen Gründungsparteitag vorbereitet hatte, ist jetzt offiziell Generalsekretär der neuen Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)“.
Auf der politischen Bundesebene ist Leye ein ziemliches Greenhorn. Er kam erst im September 2021 für die Linke in den Bundestag, vorher hat der Bochumer auf der kommunalen Ebene Erfahrungen gesammelt. Nun, keine zweieinhalb Jahre später, musste er bereits als oberster Wahlkampfmanager ein Mitgliedertreffen organisieren für eine Partei, die es bislang nur auf dem Papier gibt. „Das ist ja nicht die große Politik, die wir hier beieinander hatten. Das sind viele Menschen aus allen Bereichen des Lebens, also keine Profis, die mal eben einen Bundesparteitag organisieren. Das hat viel Schweiß und auch die ein oder andere Träne gekostet, das war echte Handarbeit, aber es hat sich gelohnt. Wir sind jetzt da“, atmet Leye anschließend im Gespräch mit FORUM tief durch.
Der Gründungsparteitag des BSW ist tatsächlich erstaunlich ruckelfrei gelaufen, wobei das mit den Politikprofis nur für die Etappe der neu gegründeten Partei stimmen mag. Sahra Wagenknecht ist seit fast 35 Jahren in der professionellen Politik, ihr Ehemann Oskar Lafontaine eine gefühlte Ewigkeit. Die Co-Vorsitzende des BSW, Amira Muhamed Ali, sitzt seit fast sieben Jahren im Bundestag. Sie hat zwar zusammen mit acht anderen Bundestagsabgeordneten die Partei und Fraktion Die Linke verlassen, aber ihr Bundestagsmandat behalten.
Im Bündnis Sahra Wagenknecht sind bei der Gründung die männlichen Parteimitglieder deutlich in der Überzahl. Alle der handverlesenen Mitstreiter sind auf dem Gründungsparteitag anwesend, ganze 450 Mitglieder zählt die Partei. Das Interesse ist beachtlich. Zur Gründung sind mehr akkreditierte Medienvertreter anwesend als die Partei Mitglieder hat. Von dieser Quote können andere Parteien nur träumen. Einem Gewerkschafter entfährt in Anbetracht dieser Präsenz nur ein Seufzer: „Ich wünschte, wir hätten bei unseren DGB-Veranstaltungen so einen Journalisten-Auftrieb.“
Im Mittelpunkt des medialen Interesses steht natürlich die Namensgeberin des Bündnisses selber, die dieses Interesse auch über Monate geschickt befeuert hat. Im vergangenen Jahr gab es ein öffentliches Nachdenken und Spekulieren über eine Parteineugründung, das regelmäßig am Köcheln gehalten wurde.
Und wenn sich Wagenknecht selbst oder ihr innerer Zirkel zurückhielten, sorgte das mediale Umfeld dafür, dass das Thema auf der Agenda blieb und es nur eine Frage des Zeitpunktes schien, bis aus den Spekulationen Fakten würden.
Jubel danach: „Wir sind jetzt da“
Zeit, in der im Hintergrund die Vorbereitungen liefen und sich ein personelles Umfeld entwickelte, um überhaupt den Schritt gehen zu können.
Mit dabei sind etliche Ex-Linke wie Astrid Schramm. Sie saß lange Jahre für Die Linke im saarländischen Landtag (2009–2022), war Landesvorsitzende der Partei (2013–2017). Die Saarländerin war 30 Jahre in der SPD, bevor sie bei den Linken ihre politische Heimat gefunden hatte. „Spätestens bei Hartz IV war für mich Schluss mit der Sozialdemokratie, doch das Zaudern und Hadern der Linken mit einer klaren Gegenposition zu den Waffenlieferungen an die Ukraine hat jetzt bei mir das Fass erneut zum Überlaufen gebracht“, begründet sie nun den neuerlichen Parteiwechsel und ihr Engagement für das BSW.
Ihre alte und jetzt auch neue Parteifreundin Kerstin Kühn aus Bernau in Brandenburg pflichtet ihr da nur bei. Sie war 39 Jahre Parteimitglied, kam von der SED über die PDS nach der Fusion zur Linken. Auch sie kritisiert den Anti-Russlandkurs aller anderen Parteien und geht noch einen Schritt weiter. „Wenn Sie so wollen, sind wir, das Bündnis Sahra Wagenknecht, die neue Friedensbewegung.“ Egal, wen man von den 450 Mitgliedern des ausgesuchten Kreises der Neu-Partei befragt, es sind immer wieder die gleichen Antworten auf die Frage, wofür das Bündnis steht.
Ein klassisches Parteiprogramm gibt es allerdings noch nicht, das ist noch in der Mache.