Nach rund einem halben Dutzend Absagen wird Vincent Kompany neuer Trainer des FC Bayern. Eine riskante Wahl. Aber auch eine sehr interessante und vielversprechende.
Als er endlich auf dem Podium saß, um in Vincent Kompany seinen neuen Trainer vorzustellen, schaute Max Eberl mit einem Lachen auf die mehrwöchige Bayern-Show, mit der sein Verein unfreiwillig sämtliche Schlagzeilen gefüllt hatte. „Nach den Gesprächen mit Vincent ärgern sich Christoph Freund und ich uns am meisten darüber, dass wir diese Gespräche nicht schon vor sechs Wochen geführt haben“, sagte der Sportvorstand des FC Bayern München. Und fügte in Richtung der Journalisten an: „Dann hättet ihr nichts mehr zu schreiben gehabt. Dann hätten wir uns damals schon für Vincent entschieden.“
Bayern machte keine gute Figur
Obwohl der Belgier laut Eberl auch schon direkt am Anfang auf der Liste stand, hatten die Münchener aber erst mit einigen anderen, aktuell deutlich namhafteren Trainern gesprochen. Die Wunschlösungen Xabi Alonso und Sebastian Hoeneß verlängerten aber in Leverkusen und Stuttgart bei jenen Clubs, mit denen sie die Bayern nach elf Meistertiteln in Serie diesmal hinter sich gelassen hatten. Ralf Rangnick zeigte sich zumindest interessiert, sagte nach Angaben des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder sogar zuerst zu und dann doch wieder ab. Der frühere Wolfsburger und Frankfurter Oliver Glasner war bei Crystal Palace nicht loszueisen. Julian Nagelsmann blieb lieber Bundestrainer als zu den Bayern zurückzukehren, die ihn noch weniger als anderthalb Jahre zuvor weggeschickt hatten. Und Thomas Tuchel, dessen Abschied schon verkündet war, hörte sich nach der ersten Absageflut einen Vorstoß des Vereins, ob er nicht doch bleiben möge, mit seinem Berater an und verkündete dann selbst, dass man sich nicht habe einigen können.
Bei diesen Namen sind zumindest Gespräche verbürgt. Dazu wurden viele weitere Namen an der Gerüchteküche gehandelt, die dagegen wohl nicht alle kontaktiert wurden. Hansi Flick, Roger Schmidt, Zinedine Zidane, Unai Emery, Julen Lopetegui, Robert De Zerbi, Massimiliano Allegri, Martin Demichelis, Antonio Conte, Marco Rose, jeder Name wurde irgendwann einmal aus der Lostrommel gezogen. Zwischenzeitlich wurde spekuliert, die Bayern würden es vielleicht erst einmal mit einem Übergangstrainer versuchen und den Platz freihalten für 2025, wenn man entweder bei Alonso einen neuen Versuch starten könnte oder Jürgen Klopp bewegen wolle, sein Sabbatical für die Bayern zu beenden.
Die Diskussionen interessierten gefühlt das ganze Land. Und in Zeiten, in denen es im Journalismus ausgewiesene Transfer-Experten gibt, gab es jeden Tag zig neue Schlagzeilen. Mal sprach der Kandidat selbst ganz freimütig über das Interesse der Bayern oder sein eigenes. Mal meldeten sich die Bayern-Granden Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge aus dem Off, um ihre Meinung kundzutun – und die Suche damit wohl nicht zu erleichtern. Mal wurde wohl auch einfach von den Journalisten spekuliert oder von einer interessierten Stelle ein Name durchgesteckt, der eigentlich gar nicht auf der Liste stand.
So bekam auch Sportdirektor Christoph Freund, bis zum vergangenen Jahr noch im relativ beschaulichen Salzburg unter Vertrag, die gesamte Wucht und Größe des FC Bayern zu spüren. „Ich habe von einigen Trainern in den Medien gelesen, dass sie abgesagt haben. Die haben abgesagt, sind aber nicht gefragt worden“, sagte er später in der Heimat bei Sky Austria: „Ich glaube, dass sehr viele Menschen, nicht nur Trainer, den FC Bayern München sehr gerne benutzen, weil sie eine Riesenplattform dabei haben. Jeder schreibt sehr gerne über den FC Bayern München, da kriegt man viele gute Klicks.“ Eberl, der erst nach der feststehenden Trennung von Tuchel dazukam, gab derweil zu: „Ich bin erst zehn Wochen da, es fühlt sich wie zehn Jahre an.“ Und übte sich sonst in möglichst kreativen Durchhalte-Parolen. „Wir werden eine gute Lösung finden“, sagte er: „Ein sehr guter Freund von mir sagt immer: Das Beste kommt zum Schluss.“ Am Ende stellte Eberl fest, man habe sich „das eine oder andere blaue Auge“ geholt, aber nun „den richtigen Trainer für die kommenden Jahre gefunden“.
Kompany ging immer vorne weg
Es soll Vincent Kompany sein. Der galt schon als Spieler als Stratege, als starker, aber auch streitbarer Kopf. Mit 18 wurde er mit dem RSC Anderlecht belgischer Meister und gleich auch Fußballer des Jahres in seiner Heimat. Zwei Jahre später verpflichtete ihn der damals noch in Europa spielende Hamburger SV, weitere zwei Jahre später ging er zu Manchester City, wo er bis auf ein Auslaufen als Spielertrainer wieder in Anderlecht die letzten elf Jahre seiner Karriere verbrachte. Trotz vieler Verletzungen war Kompany bei den Citizens Führungsspieler, Leistungsträger und viele Jahre Kapitän. Bei einer Ansprache an die Spieler des FC Burnley soll er einst gesagt haben, er sei 50 Prozent der Zeit verletzt gewesen. „Aber in den letzten zehn Spielen kam ich zurück und durfte die Trophäe hochstemmen und es sah so aus, als hätte ich eine super Saison gehabt.“
2016 stieß Trainer Pep Guardiola aus München bei Manchester dazu. Und der Trainer-Guru und der Abwehrchef wurden zu dem, was man heute ein perfect match nennt. Beide schwärmten immer schon in den höchsten Tönen voneinander. Das Training unter Guardiola sei wie ein Studium gewesen, sagte Kompany mal: „Fußballtaktik. Raumlehre. Die Nutzung des Raums und dessen Auswirkung auf das Gesamtspiel. Das Managen des Raums ist das Größte, was ich von Pep gelernt habe.“ Guardiola erklärte derweil schon im Herbst 2023, dass Kompany eines Tages Trainer von Manchester City werde. Das sei seine Bestimmung. „Es wird passieren. Ich wette mit dir, was du willst. Ich werde die Wette gewinnen.“
Als der Name Kompany erstmals in München gehandelt wurde, sagte Guardiola: „Ich habe die allerhöchste Meinung von seiner Arbeit, seiner Persönlichkeit, seinem Wissen über das Spiel, wie er mit den Medien umgeht – ganz viele Dinge.“ Auch auf direkte Nachfrage habe er nur von seinem ehemaligen Schützling geschwärmt, erzählte Rummenigge. Was wohl durchaus eine Rolle gespielt hat, dass letztlich die Zustimmung von allen Seiten kam.
Statt Alonso von Leverkusen wegzukaufen, versuchen die Bayern nun also ihren eigenen Alonso zu kreieren. Ganz so unerfahren wie der frühere Bayern-Stratege Alonso beim Start in Leverkusen ist Kompany aber nicht. Er hat in Anderlecht zwei Jahre recht erfolgreich trainiert und war auch zwei Jahre in Burnley. Mit dem dortigen FC stieg er in die Premier League auf – und sofort wieder ab. „Das ändert nichts an meiner Meinung über ihn“, sagte Guardiola. Fakt ist: Es ist immer schwerer, in der Premier League Fuß zu fassen. Erstmals seit rund 30 Jahren stiegen alle drei Aufsteiger direkt wieder ab. Fakt ist aber auch: 24 Punkte waren die schlechteste Ausbeute, die Burnley je in der Liga aufzuweisen hatte. Der Fußball war aber tatsächlich weiter sehr ansehnlich. Vorstandschef Jan-Christian Dreesen erklärte vielleicht etwas hochtrabend: „Vincent Kompany ist der eine für alle.“
Straßenkicker aus Brüssel
Dennoch ist die Erfahrung für einen Bayern-Trainer noch überschaubar. Für Eberl war es „das Einzige“, was gegen Kompany gesprochen hätte, aber es sei letztlich ein „verschwindend geringer“ Faktor. Der dreifache Familienvater zeigte sich bei seiner Vorstellung zudem als Malocher. „Ich habe keinen Lifestyle außerhalb der Arbeit“, sagte er: „Arbeit ist mein Lifestyle – all in. Fußball ist ein 24/7-Job.“ Und er versprach aktiven und kreativen Fußball. „Ich bin in den Straßen von Brüssel aufgewachsen“, sagte er: „Wir lieben den Ball, wir sind kreativ. Ich mag Spieler, die mutig am Ball sind.“
Was den heute 38-Jährigen auch so besonders macht, sind die verschiedenen Seiten, die er hat. Zum einen hatte er für einen Kader schon als Spieler ein so einendes Wesen, dass sein Mitspieler David Silva erklärte, dass die Uno „einen wie ihn gut gebrauchen könnte“. Doch Kompany, dessen Vater Pierre mit 71 in der Brüsseler Gemeinde Ganshoren zum ersten schwarzen Bürgermeister gewählt wurde, ist nicht nur Diplomat. Er kann auch laut und impulsiv sein.
9,5 Millionen Euro haben sich die Bayern Kompany offenbar kosten lassen. Und glaubt man seinen Weggefährten, sind die gut angelegt. Nicht nur Guardiola schwärmt von ihm. „Obwohl Vincent damals noch sehr jung war, war er bereits außergewöhnlich“, sagte sein HSV-Trainer Huub Stevens dem „RND“: „Er hatte eine schwere Jugend, wirkte aber dennoch schon sehr erwachsen. In gewisser Weise war er wie der „Kaiser“, wie Franz Beckenbauer, und führte das Team an.“
Bayern-Profi Leroy Sané erinnerte sich derweil daran, was ihm Kompany zu gemeinsamen Spieler-Zeiten in Manchester mal zugeflüstert hat. „Er hat gesagt, er wird mal mein Trainer“, sagte Sané lachend: „Ich habe gesagt, das wird nicht passieren. Jetzt ist es leider passiert.“ Das „leider“ war natürlich betont ironisch. Was Sané ernsthaft erzählte: Schon zu Spieler-Zeiten habe Kompany „an seinem Laptop gesessen und sich Spiele angeschaut. Damals wusste ich schon, dass er Trainer wird.“
Nun ist er es beim FC Bayern. Und dass er dabei siebte Wahl ist, kümmert ihn selbst am wenigsten.