In Europa wächst eine neue Trainer-Generation heran. Alle sind maximal Anfang 40, haben eine große Spieler-Karriere hinter sich – und haben unter oder mit Pep Guardiola trainiert. Leverkusens Meister-macher Xabi Alonso ist dabei der Vorreiter.
Xabi Alonso war nur der Anfang. Oder die Speerspitze. Über den Erfolg des Basken wurde in den vergangenen Monaten genug gesagt. Bei seiner ersten großen Trainer-Station hat der 42-Jährige nicht nur das scheinbar Unmögliche möglich und Bayer Leverkusen nach Jahrzehnten des Wartens und Leidens zum Deutschen Meister gemacht. Er holte den Titel mit der Werkself auch ohne eine einzige Niederlage – das hatte es noch nie gegeben in der Bundesliga. Und er gewann obendrauf noch den Pokal und stand mit Bayer im Endspiel der Europa League.
Xabi selbst wurde damit zum aktuell begehrtesten Trainer auf dem europäischen Markt. Seine Ex-Clubs Real Madrid, FC Liverpool und Bayern München warben um den Spanier, der mit diesen drei Groß-Clubs als Spieler zahlreiche Titel holte und es mit dem WM- und zwei EM-Titeln voran auf insgesamt 18 Trophäen brachte. Alonso blieb in Leverkusen. Seine Arbeit dort war noch nicht vollendet. Und er kann davon ausgehen, dass diese Angebote für ihn irgendwann wiederkehren.
Doch weil eben nicht jeder das Original haben kann, hat Alonso einer ganzen Trainer-Generation die Tür geöffnet. Die Bayern probieren es nach einigen Absagen nun mit Vincent Kompany. Einem noch dreieinhalb Jahre jüngeren Belgier, der wie Alonso ein zentraler und dominanter Spieler war – und wie Alonso ein Zögling ist von Pep Guardiola. Der Katalane gilt sowieso als der aktuelle „Godfather“ aller Trainer. Fast alle Spieler wollen unter ihm irgendwann gespielt haben und viele seiner Ex-Profis schlagen danach den Weg als Trainer ein.
Kompany erklärte, Training unter Guardiola, der den FC Barcelona und den FC Bayern trainierte und nun seit 2016 erfolgreich Manchester City coacht, sei wie ein Studium gewesen. Und ehrfürchtig ergänzte er: „Ich würde mich niemals mit Pep Guardiola vergleichen.“ Doch als der mehrfach ausgezeichnete Journalist Christoph Kneer neulich in der „Süddeutschen Zeitung“ den europäischen Trainer-Markt analysierte, kam er zu dem Fazit: „Irgendwie hat immer alles mit Pep zu tun.“ Und inzwischen irgendwie auch mit Alonso, der extra wegen Guardiola einst nach München ging und alsbald schwärmte: „Pep ist seiner Zeit voraus. Er fordert sich und uns alles ab. Das lernst du, sobald du mit seiner Herangehensweise in Berührung gerätst.“
Beide Male nur die Vizemeisterschaft
Aber da gibt es zum Beispiel auch noch Mikel Arteta. Der Spanier, der in der Jugend mit Xabi Alonso beim baskischen Club Antiguoko spielte und ihn heute noch einen „Freund“ nennt, war von 2016 bis 2019 Guardiolas Co-Trainer in Manchester. Anschließend übernahm der heute 42-Jährige den FC Arsenal und führte die Gunners zu neuer Blüte. In der vergangenen wie in dieser Saison durfte der Club aus London lange vom ersten Meistertitel seit 2004 träumen. Doch beide Male blieb am Ende nur die Vize-Meisterschaft hinter Guardiolas City. Und das, obwohl Arsenal in dieser Saison mit 89 Punkten nur einen Zähler weniger holte als in der legendären Spielzeit 2003/04, als sie wie nun Leverkusen ungeschlagen geblieben waren.
Sein Verhältnis zu Guardiola habe sich durch die neue Konkurrenz-Situation zwangsläufig verändert, erzählte Arteta. Die Freundschaft hat offenbar gelitten. Doch er stellte auch klar: „Meine Bewunderung und das, was ich für ihn empfinde, hat sich sicherlich nicht geändert. Meiner Meinung nach ist er der mit Abstand beste Trainer der Welt, und er ist einer der nettesten Menschen, die ich im Fußball getroffen habe.“ Guardiola sei „sicherlich einer derjenigen, mit denen ich am meisten Spaß hatte und am meisten gelacht habe. Das wird auch immer so bleiben.“
Und dann gibt es da auch noch Enzo Maresca. Der Italiener, auch erst 44 Jahre alt, trainierte 2020 für ein Jahr die U23 von Manchester City und wurde Meister in der Nachwuchsliga Premier League 2, eher er nach fünf erfolglosen Monaten bei Parma Calcio zurückkehrte und Co-Trainer von Guardiola bei den Profis wurde. Gemeinsam gewannen sie 2023 das Triple mit dem erlösenden Champions-League-Titel als Krönung. Maresca ging zu Leicester City und führte die Foxes als Meister der 2. Liga souverän zurück in die Premier League. Wo er künftig dann auch direkter Gegner seines Lehrmeisters sein wird. Aber nicht mit Leicester, sondern mit dem FC Chelsea. Denn die Blues haben den Italiener verpflichtet.
Laut des seriösen Fußball-Portals „The Athletic“ hatte übrigens sogar Guardiola einen taktischen Kniff von Maresca übernommen: Den beim Aufbau ins Mittelfeld vorgezogenen Außenverteidiger wendete demnach erst Maresca bei der U23 an, dann Guardiola bei den Profis. Umgekehrt hat der Lehrling aber sicher noch mehr vom großen Meister gelernt. „Es ist leicht zu verstehen, warum so viele Vergleiche zwischen dem neuen Chelsea-Cheftrainer Enzo Maresca und Pep Guardiola gezogen werden“, schrieb die „New York Times“ über die beiden Männer mit Glatze und gepflegtem Vollbart: „Denn abgesehen von ihrem ähnlichen Aussehen hat Maresca eine Fußballphilosophie übernommen, die direkt aus Guardiolas Taktikbuch stammen könnte.“
In Leicester sagte Abwehrspieler James Justin über Maresca: „Ich war schon Mitte 20, als er zu uns kam, und dachte, dass ich schon einiges über Fußball wusste. Aber es stellte sich heraus, dass ich nur die Spitze des Eisbergs kannte.“ Ähnliche Zitate gibt es von Guardiola-Spielern zuhauf.
Und schließlich gibt es da auch noch den logischsten aller Guardiola-Nachfolger: Xavi. Der geniale Spielmacher, neben Alonso und Andres Iniesta der Kopf jener spanischen Mannschaft, die 2010 Weltmeister sowie 2008 und 2012 Europameister wurde. Und vor allem zusammen mit Iniesta und Lionel Messi jener Spieler, mit dem Guardiola in Barcelona einst das Tiki-Taka kreierte. Jenes den Gegner – und im schlimmsten Fall auch Zuschauer – zermürbende Spiel, das den Fußball in ein Davor und ein Danach teilte. Guardiola ist taktisch flexibel genug, sich an die vorhandenen Spieler anzupassen. Oft spielte er mit einer sogenannten „falschen Neun“, in Manchester stellte er das System nach der Ankunft von Erling Haaland direkt auf das mit einem Stoßstürmer um. Doch zwei Dinge sind für ihn unverhandelbar. Sein Team muss topfit sein. Und vor allem wann immer möglich in Ballbesitz sein.
Erik ten Hag als „Mini Pep“
Xavi sollte bei Barca eine ähnliche Ära prägen, doch das gelang nicht. Zum einen ist die Mannschaft aktuell nicht vergleichbar mit der damaligen, zum anderen ist Real Madrid stärker als einst. Wieviel Anteil Xavi, der 2023 zumindest Spanischer Meister wurde und Real damit einmal düpierte, an der insgesamt mäßig erfolgreichen Zeit hat, wird sich noch zeigen. Er wird sicher weitere hochkarätige Trainer-Engagements bekommen. Sein Nachfolger ist mit dem ehemaligen Bundestrainer Hansi Flick übrigens ein ziemlicher Gegenentwurf.
Doch auch bei vielen anderen Trainern hatte Guardiola Einfluss auf die Entwicklung. Erik ten Hag, seit 2022 Trainer von Manchester United, saugte in seiner Zeit als U23-Coach des FC Bayern die Methoden des gleichzeitigen Profi-Cheftrainers Guardiola regelrecht in sich auf. „Mini Pep“ nannten sie ihn damals an der Säbener Straße. „Niemand wird Guardiola jemals vergessen. Er hat viele Trophäen gewonnen – aber es geht in erster Linie darum, wie seine Teams spielen“, sagte ten Hag und erklärte: „Guardiola möchte nur Spiele mit schönem Fußball gewinnen, genau wie sein Lehrer Johan Cruyff.“ Denn so begann wiederum einst alles mit Guardiola. Er war der Kopf des Spiels unter Trainer Cruyff in Barcelona. Der Niederländer war als Coach vielleicht noch revolutionärer denn als Spieler. Und prägte den Leitsatz: „Qualität ohne Ergebnisse ist sinnlos. Ergebnisse ohne Qualität sind langweilig.“
Weil er später selbst so revolutionär war, prägte Guardiola sogar Trainer, mit denen er nicht direkt zusammenarbeitete. Wie Thomas Tuchel, mit dem er einst in einem Restaurant in München begeistert Gläser sowie Salz- und Pfefferstreuer über den Tisch schob, um taktische Manöver zu beschreiben. Wie Jürgen Klopp, der taktisch komplett anders dachte, trotz der gegenseitigen Verehrung aus dem ständigen Zweikampf in Dortmund gegen die Bayern und in Liverpool gegen Man City aber eine große Motivation zog. Und auch, wenn bald der Olympiasieger im Fußball ermittelt wird, wird Guardiola allgegenwärtig sein. In Javier Mascherano (40) bei Argentinien und Thierry Henry (46) bei Frankreich trainieren von ihm geprägte Ex-Profis zwei der Favoriten. Und wollen sich sicher für noch höhere Aufgaben empfehlen.