Ein im Labor aus Stammzellen künstlich gezüchtetes Herzgewebe könnte zum Meilenstein regenerativer Medizin aufsteigen. Gleichzeitig könnte die Innovation eine neue vielversprechende Behandlungsoption der Volkskrankheit Herzinsuffizienz werden.
In der Bundesrepublik leiden laut Angaben der Deutschen Herzstiftung oder der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) bis zu vier Millionen Menschen an Herzschwäche. Damit gehört die sogenannte Herzinsuffizienz zu den Volkskrankheiten. Sie ist hierzulande laut der DGTHG nicht nur die häufigste Einzeldiagnose für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung, sondern zählt auch zu den häufigsten Todesursachen und ist Hauptursache für den plötzlichen Herztod. Wobei die Herzschwäche/Herzinsuffizienz keine eigenständige Erkrankung ist, sondern in der Regel die Folge einer Vorerkrankung. In rund zwei Dritteln der Fälle ist die koronare Herzerkrankung Ursache der Herzschwäche. Dabei sind die Herzkranzgefäße durch Ablagerungen so sehr verengt, dass nicht mehr genügend sauerstoffreiches Blut zum Herzmuskel transportiert werden kann und dadurch die Pumpleistung des Herzens beeinträchtigt wird. Auch Bluthochdruck, Herzklappenerkrankungen oder eine Herzmuskelentzündung können ursächlich sein. Häufig entsteht die Herzschwäche aber erst infolge von Herzinfarkten, sofern es dabei zum Absterben von Herzmuskelmasse und deren Ersatz durch Narbengewebe gekommen ist, das sich nicht zusammenziehen und daher die Herzfunktion nicht mehr unterstützen kann. Bislang gibt es für von einer schweren Herzinsuffizienz Betroffene laut der „Ärzte Zeitung“ drei Behandlungsmöglichkeiten: Herztransplantationen (mit langer Warteliste), mechanische Herzunterstützung und die palliative Therapie, die nicht auf die Heilung der Erkrankung abzielt, sondern vor allem mithilfe von Medikamenten oder regelmäßigen Sauerstoffgaben die Symptome der Krankheit abmindern soll.
Bereits 15 Personen erfolgreich behandelt
Nun könnte mit dem sogenannten Herzpflaster aus mithilfe von Stammzellen gezüchtetem Muskelgewebe eine vierte Therapie-Option hinzukommen. Deren Studien-Präsentation wurde im renommierten Fachmagazin „Nature“ von den bei der Entwicklung des Herzpflasters beteiligten Wissenschaftlern bereits als „Meilenstein für die klinische Anwendung“ bei schwerer Herzschwäche bezeichnet.
Auf Grundlage erfolgreich absolvierter Tierversuche hatte das zuständige Paul-Ehrlich-Institut die Genehmigung für die weltweit erste klinische Studie zur Herzmuskelreparatur mit Gewebeimplantaten erteilt. Der Startschuss erfolgte 2021, inzwischen wurden in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) schon 15 Personen erfolgreich mit dem Herzpflaster behandelt. Bis Ende 2025 sollen 53 Personen in einer ausgeweiteten Studie versorgt werden, um eine aussagekräftige klinische Datenauswertung erhalten zu können. Eine Zulassungsstudie für die neue Therapie mit deutlich mehr Patienten wurde für das Jahr 2026 ins Auge gefasst. Zudem wurde eine Ausnahmegenehmigung für Krankenhäuser eingereicht, um es diesen zu ermöglichen, schwerkranke Patienten auch schon vor der offiziellen Zulassung mit Herzpflastern zu behandeln.
„Bei den behandelten Patientinnen und Patienten konnten positive Effekte auf die Herzfunktion beobachtet werden“, sagt Professor Stephan Ensminger, Direktor der Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie am Universitären Herzzentrum Lübeck des UKSH und chirurgischer Leiter der aktuellen klinischen Studie. Bereits seit 2001 arbeitet er mit Professor Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann zusammen, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der UMG, in Sachen Herzpflaster-Technologie.
Nach Optimierung des Herstellungsprozesses des Herzpflasters und nach zufriedenstellender Datenauswertung erwartet Prof. Ensminger ein großes Anwendungspotenzial für die neue Therapieform: „In den nächsten Jahren könnte das Herzpflaster eine zugelassene Standardtherapie für Menschen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz sein.“
Die Besonderheit des Herzpflasters besteht darin, dass es aus Körperzellen im Labor gezüchtet werden kann. Dabei handelt es sich um ganz spezielle Stammzellen, sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen, in Kurzform iPSC oder iPS-Zellen genannt, die natürlicherweise nicht im menschlichen Körper vorkommen. Sie werden vielmehr durch einen gentechnischen Trick hergestellt, indem die Forscher die Körperzellen im Labor zu iPS-Zellen umprogrammieren, die den natürlichen Stammzellen sehr ähnlich sind. In diesem Stadium können sich die iPS-Zellen dann zu ganz unterschiedlichen Körperzellen weiterentwickeln. Für das Herzpflaster wird aus den iPS-Zellen Herzmuskelgewebe gezüchtet, das sowohl Herzmuskelzellen als auch Bindegewebszellen enthält. Die Herstellung dieses künstlichen Herzmuskelgewebes dauert laut Prof. Zimmermann etwa drei Monate.
Für ein Herzpflaster wird laut den Wissenschaftlern ein Gewebe von etwa 100 Quadratzentimetern mit insgesamt maximal rund 800 Millionen künstlicher Herzmuskelzellen benötigt. Dieses Implantat wird im Zuge eines minimalinvasiven Eingriffes, der rund drei Stunden Zeit erfordert, auf genau die vernarbt-beschädigte Stelle des Herzmuskels aufgenäht. Zuständig für die bislang durchgeführten OPs war Prof. Ensminger. „Das Herzpflaster wird auf den Bereich des Herzens genäht, der nicht richtig pumpt“, sagt die Kardiologin und Oberärztin Dr. Christina Paitazoglou vom UKSH in Lübeck. Erste von den Forschern gewonnene Erkenntnisse seien vielversprechend. So konnten die Wissenschaftler in der „Nature“-Studie von einer Frau berichten, die zunächst ein Herzpflaster (mit dem Resultat einer erhöhten Pumpleistung des Herzens) und einige Monate später eine Herztransplantation erhalten hatte. Bei der Untersuchung des operierten Herzens konnte ermittelt werden, dass das künstliche Herzmuskelgewebe mit dem natürlichen Herzgewebe zusammengewachsen war.
Mit Herzgewebe verwachsen
Bei einem anderen Patienten konnte eine signifikante Steigerung der Herztätigkeit registriert werden. Daraus zogen die Forscher den erfreulichen Schluss, „dass Herzmuskelreparatur durch Herzmuskelwiederaufbau auch im Menschen möglich ist“. Während es laut Prof. Zimmermann noch keinem einzigen Arzneimittel gelungen sei, „dass auch nur eine neue Muskelzelle entsteht“. Der erste Wirksamkeits-Nachweis des Herzpflasters war den Forschern zuvor bereits erfolgreich durch bildgebende Verfahren und Gewebeanalysen bei Versuchen mit Ratten und Rhesusaffen (am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung) gelungen. Wobei diese Tests, die gezeigt hatten, dass die implantierten künstlichen Herzmuskelzellen langfristig erhalten geblieben waren und die Pumpfunktion des Herzens gesteigert hatten, noch mit deutlich weniger künstlichen Herzmuskelzellen auf den Pflastern über drei bis sechs Monate gelaufen waren. „Wir konnten im Tiermodell zeigen, dass die Implantation von ‚Herzpflastern‘ zum dauerhaften Aufbau des Herzmuskels bei Herzinsuffizienz geeignet ist“, sagt Professor Zimmermann.
Damit hat sein Team die ursprüngliche Zielsetzung der Heftpflaster-Technologie weit hinter sich gelassen: eine Alternative zur mechanischen Pumpe in Gestalt einer Herz-Lungen-Maschine zu bieten, um damit die Zeitspanne bis zur oft nötigen Herztransplantation zu überbrücken. Inzwischen kann sich Zimmermann vorstellen, dass das Implantat auch eine dauerhafte Lösung sein kann. Zwar müssten die Behandelten nach dem Eingriff lebenslang Immunsuppressiva einnehmen. Aber laut Prof. Zimmermann gibt es ansonsten keine größeren Nebenwirkungen und kein erhöhtes Tumor-Risiko, auch wenn der Nachbeobachtungs-Zeitraum von bislang knapp vier Jahren noch relativ kurz ist.
Wie erfolgreich ein Eingriff mit Einsatz eines Herzpflasters im Einzelfall verlaufen ist, lässt sich nicht unmittelbar nach der OP feststellen, weil das künstliche Gewebe erst einmal am Herzmuskel anwachsen und von den Blutgefäßen des Herzens durchzogen werden muss, was drei bis zwölf Monate dauern kann.
Dabei muss möglichst auch eine Abstoßungsreaktion des Körpers verhindert werden. Noch ist das Herzpflaster keine offiziell zugelassene Therapie zur Bekämpfung der Herzschwäche. Doch Professor Ensminger ist zuversichtlich, dass künstlich gezüchtetes Herzmuskelgewebe künftig „zu einer Stabilisierung und Verbesserung“ der Herzleistung bei betroffenen Patienten führen kann. Das sollen die weiteren Phasen der klinischen Studie zeigen. Zudem könnten Stammzellen-basierte Therapieverfahren in Zukunft möglicherweise auch bei anderen Krankheiten helfen, wie zum Beispiel bei Parkinson oder auch bei Typ-1-Diabetes.