Die deutsche Pflegeversicherung kann nicht pleitegehen, versichert der Bundesgesundheitsminister, dafür bürge die Regierung. Steigende Kosten und mehr Pflegefälle aber sorgen dafür, dass sie in Kürze teurer werden könnte.

Die Babyboomer-Generation Deutschlands geht nach und nach in Rente. Nicht nur auf die Rentenkassen, die dann mehr Rentner vom Geld weniger Beitragszahler versorgen müssen, kommen neue Herausforderungen zu. Die Rentner müssen auch im Alter gepflegt werden. Die Kosten dafür sind in den vergangenen Jahren schon gestiegen – so weit, dass die Pflegeversicherung der Bundesregierung jetzt teurer werden könnte.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die schlechte Finanzsituation der Pflegeversicherung zwar bestätigt. Pleitegehen könne sie jedoch nicht. In wenigen Wochen will er eine Reform vorstellen, die vor allem die Finanzierung, die Beiträge und die Eigenbeteiligung in der stationären Pflege in den Blick nimmt. Details nannte er bislang keine. Ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) sorgte zuvor in Berlin für Wirbel. Demzufolge wird in der Ampel-Koalition wegen der Finanzlage der Pflegeversicherung fieberhaft an einer „Notoperation“ gearbeitet. Das RND schrieb unter Berufung auf Koalitionskreise weiter, es drohe eine Zahlungsunfähigkeit.
Lauterbach entgegnete darauf, dass die Bundesregierung dafür bürge, dass Pflegebedürftige und Angehörige sich auch in Zukunft darauf verlassen könnten, dass die Pflegeversicherung die Versorgung bezahle. Doch nun muss geklärt werden, woher das Geld dafür kommen soll und wie sehr die Beitragszahler dafür zur Kasse gebeten werden. Eine erste Pflegereform hatte die Koalition schon umgesetzt. Sie brachte Entlastungen für Pflegebedürftige bei Eigenanteilen, die sie im Heim zahlen müssen, aber auch bereits einen höheren Beitrag: Für Menschen ohne Kinder stieg er Mitte 2023 auf vier Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Familien mit mindestens zwei Kindern zahlen – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil – jetzt weniger als zuvor.
Doch die Finanzprobleme der Pflegeversicherung blieben. Das Gesundheitsministerium begründet das nun unter anderem mit eben dieser vorangegangenen Reform, die Pflegebedürftige in Heimen erheblich entlastet habe, und auch damit, dass es mehr Pflegebedürftige als angenommen gebe. 360.000 Menschen sind Lauterbach zufolge im vergangenen Jahr dazugekommen, in diesem Jahr rechne man mit zusätzlichen Pflegebedürftigen. Zudem seien Löhne in der Pflege gestiegen.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der auch die Pflegekassen vertritt, hatte schon im Juni ein Minus von 1,5 Milliarden in diesem und 3,4 Milliarden Euro im nächsten Jahr prognostiziert. Um den Verlust auszugleichen, benötige es eine Beitragsanhebung von 0,2 Punkten zum nächsten Jahr. Nun wird in der Regierung laut RND aber von einem Erhöhungsbedarf von 0,25 bis 0,3 Punkten ausgegangen. Auch der Spitzenverband der Kassen korrigierte bereits auf 0,25 Prozentpunkte nach oben. Wenn andere Reformen ausblieben, sei mindestens so viel notwendig, damit die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung gesichert bleibe.
Auch bei den Krankenkassenbeiträgen wird mit einem Anstieg im nächsten Jahr gerechnet. Der sogenannte Schätzerkreis der GKV empfiehlt derzeit eine Anhebung des Zusatzbeitrages um 0,8 Prozentpunkte auf satte 2,5 Prozent. Zusammen mit dem Pflegeversicherungsplus also bislang hypothetisch etwa ein Prozent Abzüge: Das wären bei einem Brutto von 3.000 Euro grob gerechnet 15 Euro weniger netto im Monat (die anderen 15 Euro zahlt der Arbeitgeber) – aufs Jahr gerechnet also 180 Euro weniger.
Der GKV-Spitzenverband forderte Sofortmaßnahmen, um eine Beitragssatzanhebung in der Pflegeversicherung doch noch abzuwenden. Die Kasse leidet noch unter den Corona-Nachwirkungen, die Versicherung hat demnach während der Corona-Pandemie etwa 5,3 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben müssen, etwa für Tests oder Boni fürs Personal – damit habe der Staat sie allein gelassen und müsse das nun ausgleichen. Außerdem sollte die Pflegekasse nicht Rentenbeiträge für pflegende Angehörige zahlen müssen, dies solle ebenfalls aus Bundesmitteln finanziert werden.
Mit beiden Schritten könnten nach Rechnung des Verbands rund neun Milliarden Euro zusammenkommen. Doch auch die lassen sich nicht einfach aus dem Hut zaubern. Die Ampel müsste politisch entscheiden, solche Summen anderswo zu mobilisieren – und das bei einem engen Haushalt.
Kassen fordern Ausgleich der Corona-Zusatzausgaben
Nun hat die Ampel mit der weiteren Finanzierung von Rente und Altersvorsorge mittels Aktiendepot und dem staatlichen Generationenkapital bereits zweimal bewiesen, dass sie bereit ist, ungewöhnliche Wege zur Finanzierung von Sozialleistungen zu gehen. Zweimal war sie bereit, die Risiken und Chancen des Aktienmarktes zu nutzen, um die Rente zu stabilisieren und die ungeliebte Riesterrente durch ein anderes Modell abzulösen. Eine am Finanzmarkt stabilisierte Pflegeversicherung wäre eine zusätzliche Möglichkeit, in Zukunft steigende Beiträge abzufedern – neben den ohnehin bereits bestehenden Zusatzpflegeversicherungen, die die deutschen Versicherungsunternehmen seit Langem anbieten, um mögliche Versorgungslücken zu schließen. Schon 2020 legten führende deutsche Wirtschaftsforscher, das IW Köln, das DIW, das Ifo-Institut und das Walter-Eucken-Institut eine Machtbarkeitsstudie vor, wie eine kapitalgedeckt finanzierte Pflege aussehen könnte. Darin heißt es: „Demografiebedingt steigende Mehrfinanzierungsbedarfe in der sozialen Pflegeversicherung könnten ab dem Jahr 2040 bei einem ab dann konstanten Beitragssatz dauerhaft aus einem zunächst kreditfinanzierten Fonds kapitalgedeckt finanziert werden– eine langfristig positive Rendite-Zins-Differenz vorausgesetzt.“ Der Kapitalaufbau erfolge über die Ausgabe von Bundesanleihen, die nach 20 Jahren zurückgezahlt werden. „Beihilferechtliche Fragen sprechen gegen eine private Teilhabe, von einer Integration des etablierten Pflegevorsorgefonds ist abzuraten. Für die Anlagestrategie des Fondsvermögens wird eine Struktur ähnlich dem norwegischen Staatsfonds unter Wahrung ethischer Kriterien vorgeschlagen, allerdings bevorzugt als passive Anlage.“

Der norwegische Staatsfonds, der sich vornehmlich aus den Einnahmen des Landes aus Öl- und Gasförderung speist, investiert in Aktien von rund 9.000 Unternehmen weltweit, Immobilien und Erneuerbare Energien. Er gilt als größter Pensionsfonds der Welt – doch dies bedeutet noch lange keine absolute Sicherheit. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verlor der Fonds 1,6 Billionen norwegische Kronen. Ein Jahr später verbuchte er einen Rekordgewinn von 2,2 Billionen Kronen, umgerechnet sind dies 196 Milliarden Euro.
Den Ideen der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute zufolge könnte der Kapitalmarkt den in Zukunft steigenden finanziellen Mehrbedarf in der Pflege in den kommenden Jahrzehnten absichern. In der aktuellen politischen Diskussion angekommen ist diese Idee bislang noch nicht. Je drängender der Finanzierungsbedarf wird, desto eher wird sich dies ändern.