Regionalligist Tennis Borussia plant nach schwachem erstem Halbjahr zweigleisig – Christopher Brauer soll den „Neuanfang“ auf seiner ersten Trainerstation im Männerbereich begleiten.
Wenn einer mit erst 34 Jahren Cheftrainer in der Regionalliga wird, geht man gemeinhin davon aus, dass er einen klaren Karriereplan verfolgt. Nicht so Christopher Brauer, der sagt: „Als Trainer lebe ich mehr im Hier und Jetzt und plane eigentlich nicht über eine Saison hinaus – dazu gibt es im Fußballgeschäft auch viel zu viele Wendungen.“ Das will er auch bei seinem neuen Arbeitgeber Tennis Borussia Berlin so halten, obwohl die Zusammenarbeit tatsächlich über anderthalb Jahre vereinbart wurde. Seit Anfang 2023 ist Brauer Coach der Lila-Weißen und hat dabei, wie er selbst gesteht, eine „Herkulesaufgabe“ übernommen. Nur sieben Punkte aus 16 Partien konnte der Regionalligist in der Nordost-Staffel bis jetzt sammeln und schwebt damit auf dem vorletzten Platz in akuter Abstiegsgefahr. Da traf es sich gut, dass der Verein neben dem simplen Impuls im Kampf um den Klassenerhalt auch auf eine perspektivische Lösung setzte: Bei seiner ersten Station im Männerbereich soll Brauer den Neuanfang wenn nötig auch in der Oberliga begleiten. Die Voraussetzungen sind also denkbar schwer, doch nicht nur deshalb musste er seine Entscheidung für „TeBe“ genauer abwägen – als Co-Trainer von Benjamin Duda beim Ligakonkurrenten Berliner AK (aktuell vierter Platz) fühlte er sich im Team gut aufgehoben. Für jemanden, der dem Prinzip „Loyalität“ eine große Bedeutung beimisst, also in der Tat eine Zwickmühle.
TeBe in akuter Abstiegsgefahr
Den ersten Kontakt mit dem Fußball hatte der gebürtige Weddinger dabei allerdings naturgemäß, in dem er selbst der Kugel beim SV Norden-Nordwest nachjagte. Als Zehnjähriger ging es dann schon zu Tennis Borussia: „Natürlich hat man in dem Alter den Traum vom Profifußball“, sagt Brauer, der dazu die Poelchau-Oberschule besuchte, ein Gymnasium mit dem Schwerpunkt auf Sport. „In meinem Jahrgang spielte auch Jérôme Boateng – der war natürlich damals schon ein Ausnahmetalent“ – eine mögliche Karriere blieb Christopher Brauer jedoch verwehrt. Mit 16 musste er ein Jahr wegen eines Patellasehnenabrisses aussetzen, was „in der Entwicklungsphase natürlich praktisch das Aus bedeutet.“ Hört man Brauer heute über die Zeit sprechen, scheint er damit im Reinen zu sein. Und? Hat er sich von da an akribisch der Fußballtheorie verschrieben? Mitnichten, erst einmal wollte er einfach weiter Fußball spielen („Das ist doch eh das schönste“) und wechselte als noch nicht Volljähriger zum BFC Preussen, praktisch ein bis zwei Etagen tiefer als zuvor. Später, nachdem er das Abitur gemacht hatte, kickte er aus purer Lust im unterklassigen Fußball sowie im Futsal weiter. Im Jahr 2012 – bis dahin gab es wohlgemerkt keinerlei Bestrebungen, es im Trainerbereich zu versuchen – wurde Brauer dann von seinem ehemaligen Jugendcoach Gora Sen angesprochen, ob er nicht als Assistent bei der U14 von Tennis Borussia tätig sein wolle. Er sagte zu, und so nahm die Entwicklung ihren Lauf: 2014 wechselte er als Co-Trainer von Dominik Ludwig zur U17 des Berliner AK, später folgte er ihm erst zu Viktoria und dann zu Hertha 03. „In Zehlendorf habe ich dann zusätzlich auch erstmals verantwortlich trainiert, und zwar die U16.“
Mittlerweile hatte er sich für das Studium der Sportwissenschaft eingeschrieben (inzwischen abgeschlossen) und war dazu für ein Start-up tätig, das sich der digitalen Analyse von Spielern widmet. „Ich war also in der glücklichen Lage, mich den ganzen Tag mit Fußball beschäftigen zu können und damit mein Auskommen zu haben.“ Wann genau die Entscheidung gereift war, sich dem Trainerdasein zu verschreiben, kann Brauer dabei gar nicht genau sagen: „Es war ein fließender Übergang: vom Interesse zur Leidenschaft – und letztlich Berufung.“ Die Erfolge stellten sich auch als verantwortlicher Trainer nach seiner Rückkehr in den BAK-Nachwuchs ein – die A-Jugend führte er erst in die Regional- und 2022 sogar in die Bundesliga. Ein Riesenerfolg für einen Club wie den BAK, Brauer mahnte seinerzeit jedoch die Vereinsführung, dass die Aufgabe sehr schwer würde. Er selbst bekam nach einem personellen Schnitt im BAK-Männerteam zusätzlich noch die Aufgabe als Co-Trainer von Benjamin Duda. „Da habe ich manchmal vier Einheiten am Tag geleitet“, erzählt Brauer, „aber ich habe mir das zugetraut.“ Doch nach dem (von ihm prognostizierten) schwierigen Start der U19 in der Eliteklasse musste auch er eine erste schmerzliche Erfahrung sammeln: Bei einem Punkt aus vier Partien entschieden die Verantwortlichen des BAK, dass Brauer fortan ausschließlich als Assistent der Männer weiterarbeitet. „Die U19 war ja praktisch mein ‚Baby‘ – mit der Entscheidung hatte ich schon erst mal zu tun.“ Doch das Trainerteam und die Arbeit mit der jungen Regionalligaelf fing ihn in der Folge auf, wie er sagt.
„Ich habe mir das zugetraut“
Nach der Beurlaubung des bisherigen Trainers Abu Njie verfestigte sich zum Jahresende 2022 dann aber das Interesse von Tennis Borussia und dessen gerade installiertem sportlichen Leiter Benjamin Borth, der jahrelang mit Brauer beim BAK zusammengearbeitet hatte. So stellte sich die Frage: Bleibe ich dort, wo ich mich sehr verbunden und auch wohlfühle – oder gehe ich den nächsten Schritt? Brauer gibt dabei zu, dass auch die „weichen Faktoren“ eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Die Verbundenheit zu Tennis Borussia, die aus seiner Jugendzeit herrührt, die Arbeit bei einem Traditionsverein mit seinem ganz besonderen, engagierten und emotionalen Umfeld. Die junge Mannschaft der Lila-Weißen darf sich nun auf einen Trainer einstellen, der ihr – wie Brauer es nennt – „detailversessen die Tiefe des Spiels“ erklären will. Der einerseits auf eine gewisse „natürliche Autorität“ setzt, andererseits gerade aus seiner Erfahrung im Nachwuchsbereich weiß, dass Empathie und Kommunikation ganz wichtige Faktoren sind. „Ich kann und will auch nicht alle Spieler gleichbehandeln – es sind schließlich Menschen, die ganz unterschiedlich ticken.“ Zu beobachten ist das Ganze etwa nach einem Testspiel, als ein sichtlich aufgewühlter junger Schützling nach Abpfiff das Gespräch mit ihm sucht – an seiner Gestik ist aus der Ferne zu erkennen, dass er Mühe hat, die Grenzen der Autorität einzuhalten. Doch der Trainer bewahrt die Contenance, lenkt das Gespräch offenbar in die richtige Bahn – minutenlang legt er seine Position dar und klopft dem Heißsporn am Ende versöhnlich auf die Schulter. Dann stellt sich Brauer mit angeschlagener Stimme noch einem Interview.