Von Nigeria und Indien über Panama bis in die Schweiz entstehen einzigartige Bauprojekte aus einem Material, das sonst die Umwelt zerstören würde: Plastik, genauer PET. Das stammt von Tausenden von weggeworfenen Flaschen, die jetzt eine ganze Branche revolutionieren.
Um die Jahrtausendwende gab es erste Projekte in Afrika und Südamerika, bei denen statt Holz und Stein PET-Flaschen aufgeschichtet wurden, um daraus Häuser zu bauen. Eine Idee, die bis heute zahlreiche Nachahmer findet, auch hier in Europa. Doch warum begannen diese einzigartigen Bauten gerade in den Entwicklungsländern zuerst? Ganz einfach, es gibt dort weder umweltgerechte Recyclingsysteme für den Plastikmüll noch strenge Bauvorschriften, die den Erfindern Steine in den Weg legen. Eine Freiheit, die dringend nötig ist.
Rund 450 Jahre vergehen, ehe eine Plastikflasche verrottet. Kein Wunder, dass die Welt im Plastikmüll wortwörtlich ertrinkt. Acht Millionen Tonnen Kunststoff überschwemmen die Weltmeere und richten Schäden an, die unbeschreiblich sind. Die Vereinten Nationen haben hochgerechnet und befürchten, dass es bis 2050 in allen sieben Meeren zusammen mehr Plastik geben wird als Fische dort leben. Trotzdem produziert die Industrie nach wie vor 320 Millionen Tonnen an neuem Kunststoff, von denen es gerade einmal neun Prozent bis ins Recycling schaffen. Schon jetzt macht die Verschmutzung und Bedrohung vor den Pflanzen und Meerestieren keinen Halt. In den USA konnten Forscher kleinste Fragmente von winzigen Kunststoffpartikeln auch in uns Menschen nachweisen. Es reichert sich in unserem Gewebe an und macht uns krank.
Im Haus wird es bis zu 17 Grad kühler
Höchste Zeit, um sich sinnvolle Lösungen für all das Plastik zu überlegen. Eine davon ist die Wiederverwertung des praktischen und kostenlosen Materials für den Bau von Häusern. So lassen sich die Flaschen wahlweise als Ganzes verwenden oder zu Plastikgranulat zerkleinern und dann gezielt einsetzen. Im Grunde genommen ist die Anwendung ganz einfach. Flaschen werden in Afrika zum Beispiel kreisförmig aufgestapelt. Damit das Ganze hält und stabil bleibt, kommt Lehm zwischen die einzelnen Schichten. Er dient auch als Abschluss der Außen- und Innenverkleidung. Das sieht nicht nur schön aus, es sorgt zudem für ein angenehmes Klima. Bis zu 17 Grad kühler ist es im Hausinneren. Und das ist bei den heißen Umgebungstemperaturen auch dringend notwendig. Der Grund für die guten Kühlungseigenschaften ist die schlechte Wärmeleitfähigkeit von Plastikflaschen. In ihrem Inneren befindet sich Luft. Die leitet Wärme nur sehr schlecht. Damit halten die Flaschen die Hitze draußen. Andersherum speichern sie sie im Hausinneren, falls die Bewohner dort an kühleren Tagen heizen. Hier sind nicht einmal teure Klimageräte notwendig und trotzdem stimmt der Wohnkomfort. Inzwischen gibt es ganze Dörfer in Afrika, die aus Plastikflaschen bestehen.
Ein Ziel, welches auch Robert Bezeau in Panama umtreibt. Selbst im grünen Dschungel um ihn herum stapeln sich die PET-Flaschen, denn es fehlt ein vernünftiges Recyclingsystem. Deshalb baut auch er bereits seit 2015 auf 33,5 Hektar Land Häuser aus Flaschen. Anders als in Afrika stapelt sein Mitarbeiter sie zunächst in einzelnen Metallkäfigen aus Draht und zwar so, dass möglichst wenig Raum verschwendet wird und sie dicht an dicht liegen. Anschließend schichten beide die Käfige und füllen sie mit Beton auf. Das macht die Konstruktion stabil. Vorab werden Leitungen für Wasser und Strom zwischen die Käfige verlegt. Zuletzt folgen Dach, Fenster und eine Klärgrube für das Abwasser. Sogar ein Wasserauffangsystem ist vorhanden. Ein ganzes Haus kommt so auf rund 63.000 Euro Baukosten und ist damit nicht nur bestens isoliert, sondern auch erschwinglich. Zudem sind die Gebäude erdbebensicher, ein weiterer Vorteil in gefährdeten Gebieten wie Panama. Die Bauzeit beträgt rund 50 Tage. Entstehen soll ein ganzes Dorf, das sogenannte „Plastic Bottle Village“ mit mehr als 120 Häusern in unterschiedlichen Größen und Bauweisen. Damit schrumpft der Müllberg schon einmal gut zusammen, wenngleich der weitere Konsum von Erfrischungsgetränken unweigerlich dazu führt, dass immer ausreichend Baumaterial vorhanden ist. Für ein einzelnes Haus benötigt Bezeau zwischen 10.000 und rund 25.000 Plastikflaschen.
Recycelter Kunststoff als stabiles Baumaterial
Der Bau folgt dem Motto: „Changing the world, without changing the Earth. One home at a time“. Das Projekt ist ständig auf Spenden angewiesen, die über eine Crowdfounding-Kampagne eingesammelt werden. Das Geld wird insbesondere für die Errichtung einer Cafeteria, eines Bildungszentrums und angegliederten Studentenwohnungen verwendet. Noch ist das Plastikflaschendorf im Bau, einziehen sollen vor allem Familien, die ein günstiges Dach über dem Kopf suchen. Dass mit dieser einfachen Idee auch das Müllproblem im Dickicht Panamas schrumpft, ist ein praktischer Nebeneffekt für ein Material, das ohnehin verfügbar ist, und zwar vollkommen kostenlos.
Und die Flaschen lassen sich nicht nur zum Konstruieren von Häusern verwenden. Im indischen Kaschmir entstehen Spielplätze aus Plastik. Die Idee hierzu hatte eine Stiftung, die vor über 20 Jahren von Schauspieler Peter Ustinov gegründet wurde und seinen Namen trägt. Der war neben seinen berühmten Rollen in Spartacus (1961) und Topkapi (1965) auch fast vier Jahrzehnte als UNICEF-Botschafter aktiv. Nach seinem Tod 2004 übernahm sein Sohn Igor die Stiftung. Inhalt der Stiftungsarbeit ist es, unterschiedliche Projekte für die Bildung umzusetzen. Da kam dem Künstler die Idee, den Plastikmüll sinnvoll zu verwenden und daraus Spielgeräte zu bauen. Und damit die Menschen ein Dach über dem Kopf hatten, könnten daraus ja auch gleich noch Häuser entstehen? Gedacht, getan! Er skizzierte mögliche Lösungen und entwarf daraus reale technische Projekte. Das brachte ihm sogar einen Preis für die beste Erfindung im Jahr 2017 ein. Verliehen wurde der von der Internationalen Föderation der Erfinderverbände (kurz IFIA). In einem Interview, entstanden im Künstleratelier im Schweizer Kanton Freiburg, erklärt Ustinov dazu: „Die Idee ist brillant: Aus recyceltem Kunststoff von PET- oder PET-Flaschen, aus biologisch nicht abbaubaren Polymeren, werden standardisierte Bauprofile wie Balken und Module hergestellt, die wie Lego-Steine zusammenpassen. Danach erhalten diese Strukturen eine Isolation oder eine Füllung, die aus Erde oder einem anderen Material bestehen können.“ Das Material selbst ist nicht nur komplett wiederverwertbar, es ist auch modular in Kuben derart geschichtet, dass sich daraus unendlich viele Stapelmöglichkeiten ergeben. So ist es möglich Gebäude zu bauen, die eine Höhe von bis zu acht Geschossen erreichen.
Bessere Anpassung an die Umgebung
Um die Pläne mehr und mehr in die Realität umzusetzen, holte der Künstler André Hoffmann mit ins Boot. Der ist nicht nur ein guter Freund, sondern auch Vizepräsident von Roche, einem bekannten Pharmaunternehmen. Gemeinsam entstand UHCS. Die Abkürzung steht für Ustinov Hoffmann Construction System. Vier Jahre Forschung brauchte es, um letztendlich vier Patente anzumelden. Der Kunststoff entspricht den internationalen Baunormen ISO und SIA, er darf somit überall eingesetzt werden. Das Ziel der beiden Visionäre ist es nicht nur, der lokalen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, sie möchten auch das Bauwesen verändern. Sand und Holz gehören zu den knappen Ressourcen, während Plastik überall vorhanden und zudem sehr günstig zu haben ist. Die Fertigsysteme in Modularbauweise lassen sich flexibel an die örtliche Architektur anpassen, leicht liefern und sind zudem billig. Das macht Wohnen erschwinglich für ärmere Bevölkerungsschichten. So zumindest die Theorie, denn noch sind die Plastikhäuser nicht in der industriellen Fertigung angekommen, das Start-up sucht weiterhin nach Kooperationspartnern. Dennoch sind die Freunde zuversichtlich, mit ihrer Idee die Basis für eine technologische Welt der Zukunft zu legen, in der Respekt vor Natur und Menschlichkeit im Vordergrund allen Schaffens stehen. Und damit sind sie nicht alleine.
Auch in Deutschland gibt es erste sinnvolle Ansätze, aus Plastikgranulat zumindest einzelne Fragmente von Häusern herzustellen, in diesem Fall die Dämmung. Das Unternehmen Armacell stellte beim HAZ-Klimatalk neuartige Dämmstoffe vor, die aus Plastik bestehen. Die Platten sollen dazu dienen, auf nachhaltige Art und Weise Wärmedämmung in Ein- und Mehrfamilienhäusern zu installieren. Bei der Herstellung sollen PET-Flaschen zunächst geschreddert und das daraus resultierende Granulat dann dazu verwendet werden, Dämmplatten zu pressen. Dazu sind die Kügelchen Hitze ausgesetzt. Sie lässt sie aufschäumen und sich neu verbinden. Die Idee gibt es bereits länger, doch noch sind keine Dämmplatten verfügbar. Deshalb bleibt die Branche weiter gespannt, bis aus Münster wirklich PET-Platten geliefert werden.