Durch Corona-Hilfen und eine ausgesetzte Insolvenzpflicht gingen in den vergangenen Jahren nur wenige Unternehmen pleite. Nach Ende der Maßnahme wächst nun die Zahl, allerdings auf sehr niedrigem Niveau, sagen Experten.
Als die Corona-Lockdowns die Wirtschaft mit voller Wucht trafen, entschloss sich die Bundesregierung, die Insolvenzpflicht bis in den April 2021 auszusetzen. Dies, Kurzarbeit und die staatlichen Corona-Hilfen sorgten dafür, dass Unternehmen in den vergangenen beiden Jahren nicht in der überwiegenden Zahl der Fälle aufgrund der Pandemie und ihrer Auswirkungen in Zahlungsschwierigkeiten gerieten. Jedenfalls nicht sofort. Nachdem die Maßnahmen nun beendet sind, häufen sich die Pleiten. Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland ist nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Juli 2023 um 23,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Im Juni 2023 hatte sie bereits um 13,9 Prozent gegenüber Juni 2022 zugenommen. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen sei im Mai 2023 um 3,7 Prozent geringer gewesen als im Vorjahresmonat.
Vielen Unternehmen machen die Konjunkturflaute, hohe Kosten etwa für Energie und Materialien sowie gewachsene Kreditkosten wegen des Zinsanstiegs zu schaffen. Experten sehen aber keine Pleitewelle, sondern sprechen von einer „Normalisierung“. Von einer Insolvenzwelle könne keine Rede sein, sagt beispielsweise Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Das Insolvenzgeschehen sei in der Pandemie von staatlicher Seite deutlich abgemildert worden, nun sei vor allem eine Normalisierung zu beobachten – ausgehend von einer niedrigen Ausgangsbasis, wie der Verband betont. „Die Zahlen liegen noch unter den Werten des wirtschaftlich guten Jahres 2019.“
Seit August 2022 nimmt die Zahl der Firmeninsolvenzen wieder kontinuierlich zu. Für das laufende Jahr hatten Experten einen Anstieg erwartet, unter anderem weil für viele Betriebe die Rückzahlung von Corona-Hilfen bevorsteht. „Die enormen Kostenbelastungen durch zu hohe Energie- und Materialpreise zeigen Wirkung. Nach Jahren sinkender Insolvenzzahlen hat sich der Trend gedreht“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Verschärft habe sich der Gegenwind auch durch das schlechte Konsumklima. „Die Inflation verunsichert Verbraucher und bremst die Kauflaune deutlich“, so Hantzsch weiter. „Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang. Die Rückzahlungen der Hilfen und teils verschleppte Anpassungen des Geschäftsmodells führen bei dauerhaft steigenden Zinsen in die finanzielle und wirtschaftliche Sackgasse.“
Zahlen liegen unter Werten von 2019
Die meisten Insolvenzen entfielen laut Destatis auf die Branche Verkehr und Lagerei mit 8,7 Fällen je 10.000 Unternehmen, gefolgt von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, etwa Zeitarbeitsfirmen, mit 7,4 Fällen je 10.000 Unternehmen. Die Forderungen der Gläubiger bezifferten die Amtsgerichte auf knapp vier Milliarden Euro. Das war nach Angaben des Statistischen Bundesamts fast doppelt so viel wie im Mai 2022 mit fast 2,2 Milliarden Euro.
Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hatte auf Basis eigener Erhebungen hohe Insolvenzzahlen für den Juli festgestellt. Im Zuge der in diesem Monat gemeldeten Insolvenzen waren demnach allein bei den größten zehn Prozent der Firmen rund 9.300 Arbeitsplätze betroffen, vor allem in Industrie und Handel. In den vergangenen Monaten hatten sich gerade im Mode- und Schuhhandel Pleiten prominenter Namen gemehrt. Die Branche leidet unter der Konsumzurückhaltung der Verbraucher durch die gestiegenen Verbraucherpreise. So musste die Schuhgeschäftkette Reno einen Insolvenzantrag stellen, Görtz befindet sich weiter in Schieflage und will sich zusammen mit einem möglichen Investor und der Aufgabe von Geschäftsstandorten sanieren. Für die Modekette Hallhuber wurde Ende Juli ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet, im Frühjahr rettete sich auch der Modehändler Peek & Cloppenburg unter einen Insolvenz-Schutzschirm in Eigenverwaltung. Die irische Discount-Kette Primark plant weiter die Schließung von Standorten nach Frankfurt und Kaiserslautern, obwohl sich die Nachfrage nach Angaben des britischen Mutterkonzerns ABP erholt hat.
mehr Insolvenzen in den kommenden Monaten erwartet
Niering sieht in den aktuellen Juli-Zahlen keinen Indikator für einen langfristigen Insolvenzanstieg, sondern Nachholeffekte. Viele der jetzt von Insolvenz betroffenen Firmen hätten sich schon vor der Pandemie in Schwierigkeiten befunden. „Durch die Vielzahl staatlicher Hilfen während der Pandemie und des Ukraine-Kriegs wurde bei diesen Unternehmen der Eintritt in die Insolvenz nur aufgehalten. Jetzt sehen wir die Marktbereinigung, die mit einer Insolvenz einhergeht.“
Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich der aktuelle Trend steigender Insolvenzzahlen fortsetzen, so das Inkasso-Unternehmen Creditreform. Patrik-Ludwig Hantzsch dazu: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen bleiben durch die Inflation und auch durch die Zinswende sehr angespannt. Die Zahl der Zahlungsausfälle könnte sich in den kommenden Monaten sogar noch beschleunigen.“