Manchester City greift im Titelkampf in der Premier League auf den deutschen Torhüter Stefan Ortega zurück, weil Stammtorwart Ederson sich verletzte. Der ehemalige Bielefelder genießt hohes Ansehen in England.
Vor zwei Jahren weinte Stefan Ortega bittere Tränen, nachdem sein letztes Spiel mit Arminia Bielefeld abgepfiffen wurde. Sein Herzensclub ist zu diesem Zeitpunkt in die Zweite Liga abgestiegen, Ortega verabschiedete sich von den Fans. Mittlerweile spielt die Arminia in der Dritten Liga gegen den Abstieg – ihr ehemaliger Keeper gewann im vergangenen Jahr das Triple. „Das, was mir in den letzten elf Monaten passiert ist, kann so erst einmal keiner in den nächsten Jahren wiederholen“, sagte er bei DAZN.
Die Entwicklung ist gigantisch, vom Absteiger zum Triple-Sieger mit Manchester City, einem der erfolgreichsten Clubs der vergangenen Jahre. Ortega ist Sohn eines Spaniers und einer Deutschen, kam in Hofgeismar bei Kassel zur Welt. Er spielte in seiner Jugend für Jahn Calden, den KSV Baunatal und Hessen Kassel. Erst in der B-Jugend wechselte er dann nach Bielefeld. Auch wenn er jetzt in der großen weiten Welt des Fußballs unterwegs ist, seine Heimat hat er nie aus den Augen verloren: „Manchmal albere ich mit meinem Bruder ein bisschen rum, dass man irgendwann bei der SG Calden/Meimbressen zusammen kicken könnte. Wobei ich später auf keinen Fall mehr ins Tor möchte, wenn ich in den Amateurbereich gehe“, sagte Ortega gegenüber der Hessenschau.
Charakterliche Weiterentwicklung
Die Entwickelung Ortegas sieht dabei nur aus der Distanz irgendwie unlogisch aus – bei genauer Betrachtung jedoch durchaus logisch. Schon in Bielefeld wurde er mit der deutschen Nationalmannschaft und mit dem FC Bayern München in Verbindung gebracht. Neben seinen Paraden und starken Leistungen in der Bundesliga, zeichnet ihn vor allem seine fußballerische Klasse mit dem Fuß aus – dadurch wurde er zu einem Zielobjekt für Pep Guardiola. Doch die Verpflichtung des Keepers war für City kein Zuckerschlecken – im Gegenteil: „Es war ein langer Weg nach Manchester, weil er am Anfang gar nicht so überzeugt war“, erzählte auch Ortegas Berater Jörg Neblung. „Ich war noch total down vom Abstieg mit Arminia. Das ist mein Verein, ich bin Fan. Auch deshalb waren die Wochen vor meinem Wechsel schwierig und lang. Am Ende habe ich mir aber gesagt: Du machst das jetzt mal, und wenn es dir nach einem Jahr überhaupt nicht gefällt, schaust du nach anderen Optionen“, sagte Ortega im Interview mit „11Freunde“. Sein früher aufbrausendes Temperament, sein Berater nannte ihn mal einen „Testosteronbullen“, hing ihm bei diesen Gesprächen mit City jedoch nicht nach: „Mit 20 oder 21 wäre ich bei einer Anfrage wie der von Manchester City komplett durchgedreht. Ich war extrem ehrgeizig und habe selbst im Training kaum verlieren können. Und wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte, wurde es laut. Zum Glück entwickelt man sich weiter.“
In Deutschland lief Ortega viele Jahre lang unter dem Radar. Das lag daran, dass er mit Arminia Bielefeld nur zwei Jahre in der Bundesliga spielte. Zum Club aus Ostwestfalen wechselte er 2007 als Jugendlicher von Hessen Kassel. 2011 schaffte er es dort in die Profimannschaft. 2014 wechselte er zum TSV 1860 München, kehrte aber nach drei Jahren nach Bielefeld zurück. In der Saison 2020/21, einem seiner Jahre in der Bundesliga, wurde er vom „Kicker“ mit einer Durchschnittsnote von 2,81 hinter dem mehrmaligen Welttorhüter Neuer als zweitbester Torwart der Spielzeit bewertet. So schreiben es die Kollegen der Sportschau. Überraschend kam der Wechsel sicherlich, gelohnt hat er sich dennoch. „Er ist ein typisch deutscher Torhüter. Er macht unglaubliche Handballbewegungen. Er ist ein wirklich, wirklich guter Torhüter“, schwärmt sein Trainer Guardiola. Jeden Tag im Training zeige Ortega, dass „der Club einen tollen Transfer getätigt“ habe. Er sei überragend „in allen Bereichen: im Tor, mit den Füßen und mit den Händen“. Nach einem Sieg im FA-Cup im vergangenen Jahr gegen den FC Chelsea bezeichnete der ehemalige Oasis-Frontmann Liam Gallagher Ortega nach einem Song der Band als „Wonderwall“ – was mit „Schutzwall“, „Bollwerk“ oder auch „Zauberwesen“ übersetzt werden kann. Und die „Manchester Evening News“ erhob Ortega prompt zur „womöglich besten Nummer 2 der Premier League“.
Und nun ist es so, dass Pep Guardiola seine „Wonderwall“ auch in der Liga braucht und nicht wie bisher „nur“ in den Pokalspielen. Nachdem sich die Nummer eins Ederson in der zweiten Halbzeit verletzte, kam Ortega und hielt seinen Kasten dann mit herausragenden Paraden sauber. „Es war ein besonderer Moment, in diesem großen Spiel zu spielen, und die ganze Welt schaut zu. Es war ein schönes Gefühl“, hatte Ortega nach dem 1:1 bei den Reds gesagt. Mehrfach war der Athlet erfolgreich in Erscheinung getreten und hatte gute Chancen von Jürgen Klopps Team vereitelt. Anschließend wurde einmal mehr die Frage laut, ob Ortega nicht auch ein passender Ersatzmann für die Nationalmannschaft wäre, so schreibt es der SID. Dass sich der DFB-Traum angesichts der starken Konkurrenz auch noch erfüllt, wirkt aktuell eher unwahrscheinlich. Doch Ortega bekommt jetzt die Chance, noch stärker für sich Werbung zu machen. Laut Manchester „Evening News“ muss City mit drei bis vier Wochen Ausfallzeit beim am Oberschenkel verletzten Ederson rechnen. Dies bedeutet, dass Ortega wohl neben weiteren Liga-Auftritten auch im nächsten Spitzenspiel gegen den aktuellen Tabellenführer FC Arsenal am 31. März auf einen Einsatz hoffen kann. Das Vertrauen seiner Mitspieler ist ihm dabei sicher. „Unglaublicher Keeper“, sagte John Stones über den Ersatzmann der Citizens und lobte Ortegas intelligentes Torwartspiel.
„Er zeigt mir seine Wertschätzung“
Den Respekt in diesem Star-Ensemble und der kritischen Medien in England hat Ortega sicher, nun schreibt die „Daily Mail“ sogar, dass die Verantwortlichen den Vertrag mit dem deutschen Torhüter gern verlängern würden. Das Ortega gern „noch bis 37 spielen will“, bedeutet aber nicht zwingend, dass das auch bei Manchester City passieren muss: „Im Moment fühle ich mich hier sehr wohl, aber ich habe auch Ambitionen. Lassen wir uns überraschen.“ Denn eins ist klar: Wäre der 31-jährige Ortega eine klassische Nummer zwei, würde City mit dem Gedanken an eine Vertragsverlängerung nicht so offensiv in der Öffentlichkeit hausieren gehen. Im vergangenen Sommer gab es Anfragen anderer Vereine, Guardiola schloss einen Verkauf aus: „Er hat das offensiv thematisiert, das hätte er nicht tun müssen. Aber es zeigt mir seine Wertschätzung“, so Ortega gegenüber „11Freunde“.
Ein wenig befindet sich der deutsche Keeper nun am Scheideweg: Mit starken Leistungen wäre Ortega nämlich durchaus in der Lage, Ederson aus dem Tor zu verdrängen. Guardiola schätzt seine eigentliche Nummer eins jedoch auch sehr, dementsprechend komplex ist diese Situation. Da kommen dann andere Vereine ins Spiel. Torwart bei Manchester City zu sein „ist definitiv etwas ganz Besonderes“, so Ortega, dennoch steht ihm die Tür auch zurück in die Bundesliga, scheinbar offen. Denn wie Medienberichte verlauten ließen, beschäftigt sich der VfB Stuttgart mit der Personalie Ortega. Leih-Nummer-eins Alexander Nübel muss eventuell zurück zum FC Bayern München, die Schwaben könnten für die immer wahrscheinlicher werdende Champions-League-Qualifikation sicherlich ein wenig Erfahrung gebrauchen. Doch Ortega ist dabei nicht der einzige Name, der diskutiert wird.
Alles in allem ist es eine Luxussituation, in der sich der Ex-Bielefelder befindet. Sowohl der aktuelle Verein ist an einem Verbleib interessiert, die wenigen aber durchaus sehr guten Auftritte rufen weitere Vereine auf den Plan, die Ortega zur Nummer eins machen könnten und wollen. Dabei bleibt nur eine Sache festzuhalten: Der Wechsel von Arminia Bielefeld zu Manchester City war ein Novum – in der Retrospektive aber eine absolute logische und schlussendlich richtige Entscheidung.