In der Vorbereitung hat Union Berlin große Probleme mit dem Toreschießen. Nach den ersten drei Ligaspielen ist aber festzuhalten: In der Defensive drückt der Schuh. Hilft einer, der sich gedanklich schon verabschiedet hatte?
Wie in einem Auswärtsspiel fühlte sich Fisnik Asllani nicht. Bei seiner triumphalen Rückkehr zu Union Berlin, wo der Angreifer einst im Nachwuchsbereich ausgebildet wurde, kamen bei ihm sogar wieder Heimatgefühle auf. „Alle waren da. Familie war da. Freunde waren da. Alte Lehrer waren sogar da“, sagte der 23-Jährige: „Deswegen war es wirklich sehr, sehr schön.“ Deswegen – aber auch wegen seiner zwei Tore beim 4:2-Sieg der TSG Hoffenheim in der Alten Försterei. „Gegen alte Freunde“, wie Asllani sagte. Dass der hochtalentierte Offensivspieler bei den Eisernen nicht den Sprung von der Jugend in den Profibereich geschafft hat, dürfte die Union-Verantwortlichen nach diesem Spiel noch mehr geärgert haben. Doch wirklich besorgniserregend war eine andere Sache: die Abwehrfehler, die Asllani und Co. an diesem Nachmittag bitter bestraften.
„Wir müssen Dinge besser machen“
„Vier Gegentreffer zu Hause sind definitiv zu viel. Das tut schon weh. Da müssen wir drüber reden“, sagte Kapitän Christopher Trimmel, der in der Defensive selbst teilweise überfordert wirkte. Konnte das 0:3 eine Woche zuvor auswärts bei Champions-League-Club Borussia Dortmund noch als einkalkulierter Rückschlag verbucht werden, war die Pleite gegen Hoffenheim ein schmerzhafter Nackenschlag. „Uns ist bewusst, dass wir in den letzten beiden Spielen zu viele Gegentore bekommen haben“, sagte Trainer Steffen Baumgart. Von einem „Abwehr-Chaos“, wie zum Beispiel die „Bild“-Zeitung schrieb, wollte er aber nichts wissen: „Es waren individuelle Geschichten.“ Doch auch Baumgart ist sich bewusst: „Wir müssen Dinge besser machen.“ Und zwar schon an diesem Sonntag (21. September) im schweren Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt. Ansonsten droht gegen die hochtalentierte Offensive der Hessen die nächste Klatsche.
Womöglich kann einer helfen, der eigentlich schon auf gepackten Koffern saß. Diogo Leite stand gegen Hoffenheim zwar nicht im Kader, der Portugiese war in der Länderspielpause aber wieder ins Teamtraining zurückgekehrt. Aus dem war er zum Ende der Transferperiode quasi verbannt worden, weil der wechselwillige Innenverteidiger mit dem Kopf nicht mehr so richtig bei Union war. „Er ist nicht verletzt, aber es gibt eine Situation, die wir alle kennen –
und der tragen wir Rechnung“, hatte Baumgart den Trainings-Ausschluss begründet. Doch ein Transfer des 26-Jährigen in eine europäische Top-Liga hatte sich mangels ernsthafter Angebote zerschlagen, einzig ein Wechsel in seine Heimat Portugal, wo das Transferfenster erst am 16. September schloss, war bei Redaktionsschluss noch möglich. Sollte auch von dort kein Millionen-Angebot eingetrudelt sein, will Union seinen langjährigen Leistungsträger wieder normal ins Team eingliedern. Eine Entscheidung mit einem gewissen Risiko, schließlich dürfte das Wechsel-Theater bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen haben. Auf der anderen Seite könnte ein fitter Leite dem Team sehr helfen – und er selbst könnte mit guten Leistungen seinen Marktwert für die Winter-Transferzeit wieder erhöhen.
„Wir wissen, was er leisten kann. Dementsprechend geht es darum, das aufzuholen, was verloren gegangen ist. Er macht alles mit, verträgt alles gut, ist gut dabei. Deshalb ist davon auszugehen, dass er schnell eine Alternative wird“, sagte Baumgart. Wobei die Bezeichnung „Alternative“ nicht ganz korrekt sei, wie sich der Trainer selbst korrigierte: „Wenn er den Fitnesszustand hat, den er verloren hat, wird er mehr als nur eine Alternative sein.“ Bei diesen Worten dürfte Tom Rothe hellhörig werden. In Leites Abwesenheit hatte sich der Youngster auf der linken Position in der Dreier-Abwehrkette festgespielt. Der gelernte Linksverteidiger wurde extra dafür umgeschult – zunächst mit ordentlichem Erfolg. Doch beim 0:3 in Dortmund wurden Rothe die Grenzen aufgezeigt, und gegen Hoffenheim erlebte der 20-Jährige eine wahre Achterbahnfahrt: Zuerst traf er zum 2:3-Anschluss, dann verursachte er im eigenen Strafraum den Elfmeter zum 2:4-Endstand. Für das Foul an Torschütze Tim Lemperle kassierte der Abwehrspieler die Rote Karte und ist damit vorerst gesperrt.
Vorwürfe aus der Mannschaft gab es für Rothe aber keine. „Beim zweiten Elfmeter muss Tom bei der Notbremse eine Entscheidung treffen, das passiert im Fußball“, sagte Kapitän Trimmel: „Wenn er den Gegner laufen lässt, ist es ein sicheres Tor.“ Baumgart kritisierte zwar, dass es ein Foul gewesen sei, „das man einfach nicht machen“ dürfe. Doch der Coach betonte auch: „Einem jungen Spieler kann das passieren.“ Aber klar ist: Rothe muss mit Leites Rückkehr noch stärker um seinen Stammplatz kämpfen. Leite gilt sowohl im Defensivverhalten als auch im Spielaufbau noch als stärker. Dass sein Vertrag am Saisonende ausläuft und alle Bemühungen nach einer Verlängerung von Spielerseite bislang abgeblockt wurden, dürfte zumindest für den Trainer bei der Aufstellung keine große Rolle spielen.
Punkte-Polster umso wichtiger
Seinen Stammplatz auf der rechten Innenverteidiger-Position hat Danilho Doekhi sicher. Auch um den 27-Jährigen hatte es im Sommer Wechsel-Spekulationen gegeben, doch anders als Leite führten diese nicht zur Machtprobe. Doekhi hängte sich weiter in jedem Training rein, sein Wunsch nach einem Vereinswechsel war nicht so stark ausgeprägt wie bei Leite. „Solange ich hier bin, werde ich alles geben“, versprach der Niederländer. Dabei bestätigte Doekhi nach Transferschluss, dass es „ein ernsthaftes Angebot“ gegeben hatte. Mehr Details verriet er nicht. Zuletzt war von einem Interesse der Clubs Besiktas Istanbul, FC Valencia und Feyenoord Rotterdam berichtet worden. Genau wie bei Leite gibt es auch bei Doekhi die Möglichkeit eines Winter-Transfers –
sofern das Angebot und die Perspektive stimmt. „Es ist schwer zu sagen. In jeder Transferperiode kann etwas passieren“, sagte Doekhi: „Ich kann nicht sicher sagen, dass ich nach dem Winter noch hier bin oder weg bin. Es kann in beide Richtungen gehen.“ Auch Doekhis Vertrag läuft im Juni aus. Gleich zwei Abwehrstars, die aktuell zusammen einen Marktwert von 30 Millionen Euro aufweisen (Quelle: transfermarkt.de), ablösefrei ziehen zu lassen, wäre für einen Club wie Union Berlin eine mittelschwere Katastrophe. Im Winter dürften Angebote für Leite und Doekhi dementsprechend wohlwollend geprüft werden. Umso wichtiger wäre es, sich bis dahin in der Bundesliga ein gewisses Punkte-Polster auf die Abstiegsplätze aufzubauen. „Insgesamt ist es trotzdem noch viel zu früh, um sich Sorgen zu machen“, sagte Trimmel betont gelassen. Der Routinier will angesichts der Ausbeute von drei Punkten aus drei Ligaspielen noch nichts von Panikmache wissen. „Wir wussten, dass wir zum Auftakt ein Hammerprogramm haben, bis jetzt haben wir aber auch viel richtig gemacht“, meinte der Österreicher.
Auch Baumgart verzichtete auf eine schärfere Tonart – zumindest öffentlich. „Natürlich wollen wir noch eine Schippe drauflegen, offensiv wie defensiv“, sagte der Trainer. Aber so früh in der Spielzeit sei vor allem Geduld gefragt. „Ich glaube, wir werden uns in einer Saison immer entwickeln müssen. Es wird Rückschläge geben, es wird positive Aspekte geben“, sagte der Trainer. Seine Wunschvorstellung von Fußball sei stark geprägt von Einsatzbereitschaft und Mentalität – „und das bringen die Jungs mit“.