Vom 7. bis zum 18. August findet auf dem Tempelhofer Feld zum zehnten Mal das „Berlin Circus Festival“ statt. Geplant sind 47 Shows.

Wie findet man den Sinn des Todes, um dem Leben Sinn zu geben? Oder: Wie findet man im Leben Sinn, indem man darauf hin trainiert, zu sterben, bevor man tatsächlich stirbt? Klingt nach Fragen aus einem philosophischen oder theologischen Seminar, ist aber die gedankliche Grundlage für eine akrobatische Komödie, eine zirzensische Tragödie in sieben selbstmörderischen Akten für ein Mini-Flugtrapez, drei Darstellerinnen und Darsteller, 25 Kostüme und einen pyromanischen Bühnenmanager. „Masacrade“ heißt das Stück der französischen Akrobatengruppe „Marcel et ses drôles de femmes“.
Größtes Festival für zeitgenössischen Zirkus
„Zwischen Absurdität und Sensibilität verbinden die drei liebenswürdigsten Charaktere der Welt akrobatische Höhenflüge mit theatralischem Flair. Mit großer Sensibilität vertiefen sie sich in die absurden Komplexitäten der menschlichen Existenz und schaffen unerwartete Momente voller Poesie und Schönheit“, verspricht die Leitung des „Berlin Circus Festival“. Dort, auf dem Tempelhofer Feld, wird die „urkomische Show, die sich selbst nicht zu ernst nimmt und humorvoll und doch tiefgründig ist“, vom 8. bis 11. August gezeigt.
Das Festival selbst läuft vom 7. bis 18. August – in diesem Jahr zum zehnten Mal. Es ist das größte Festival für zeitgenössischen Zirkus in Deutschland. An zwölf Tagen, das ist der Anspruch, wird „eine Auswahl der besten Stücke, die der Zirkus zu bieten hat“, präsentiert. Das sind in diesem Jahr 17 Produktionen mit 47 Shows aus ganz Europa. Das Festival ist auch ein Ausstellungsort für Künstlerinnen und Künstler anderer Ausdrucksformen: Bildhauerei, Malerei und Fotografie. In den ausgestellten Werken geht es um „Zirkus, Körper und Stadt“.
Statt wie in den vergangenen Jahren zwei, werden zum Zehnjährigen drei Zelte aufgebaut. Dazu kommt eine Outdoor-Bühne. An den Wochenenden gibt es vor und nach den Shows Konzerte: Funk, Soul, Discosound und Jazz. Angefangen hat das Festival 2015 mit 1.500 Besucherinnen und Besuchern, im vergangenen Jahr waren es 9.000, in diesem Jahr werden 11.000 erwartet. Auch während der Corona-Lockdowns hat das Festival nicht pausiert. Die Shows der Künstlerinnen und Künstler wurden im Internet gestreamt – und rund 38.000 Menschen schauten zu.
Für die Geschäftsführer Johannes Hilliger und Josa Kölbel der Berlin Circus Festival Unternehmensgesellschaft ist der „zeitgenössische Zirkus ein Raum der Freiheit“. Dafür setzt man sich ein: „für die Kunst und ein offenes Miteinander, einen Ort der Begegnung, des Teilens und Erlebens, ein Ort für Toleranz und Vielfalt“. Dabei kommt es auf dem Tempelhofer Feld in diesem Jahr unter anderem zu einem „freudigen Schrei ins Gesicht des Patriarchats“. Das Berliner Frauen-Ensemble „still hungry“ wird ihn ausstoßen, um dazu herauszufordern, „unsere gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber Alter und Weiblichkeit, auf und abseits der Bühne, zu hinterfragen“. „Show Pony“ nennt sich die Performance mit der die drei Berlinerinnen mit Liebe, Lachen und Verrücktheit eine autobiografische Geschichte über das Altern als Artistin erzählen – eine Geschichte über den Zirkus selbst.
Der zeitgenössische Zirkus hat nichts mit Tieren in der Manege zu tun. Wenig mit klassischen Clowns. Aber ist Teil einer Tradition, die die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) im vergangenen Jahr in das immaterielle Kulturerbe Deutschlands und als eigenständiges Genre in die Darstellenden Künste aufgenommen hat. „Dieser Meilenstein“ sei gesetzt worden „durch die jahrelange Arbeit, mit der wir und viele weitere Akteurinnen und Akteure, uns einsetzen für mehr und qualitativen Zirkus in der deutschen Kulturlandschaft und erkennt sowohl die Qualität der Produktionen, als auch die Publikumszahlen der modernen Spielorte an“, sagen die Macher des „Berlin Circus Festivals“ selbstbewusst.
Die deutsche Unesco-Kommission erklärt die Entscheidung so:. „Als Ergebnis eines kreativen Prozesses werden Inhalte vermittelt und Elemente anderer Kunstbereiche wie zum Beispiel Theater, Tanz, Musik, aber auch des Sports und der Technik aufgegriffen. Die Faszination des Zirkus basiert auf spezifischen Fähigkeiten der Darstellenden und ihrer Präsentationen. Beispiele hierfür sind besondere Gelenkigkeit, Balancevermögen oder Fingerfertigkeit. Zum Teil werden auch spezielle Requisiten dabei verwendet, beispielsweise Seilanlagen, Jonglierkeulen oder ein Trapez. Der Zirkus beinhaltet unter anderem auch Akrobatik, Zauberei, Musik, Clownerie und Pantomime. Für das Publikum ist das Live-Erlebnis einer Zirkusvorstellung ein elementares, sinnliches Erlebnis.“
„Für die Kunst und ein offenes Miteinander“

Im Laufe seiner 250-jährigen Geschichte hat sich der Zirkus immer wieder gewandelt. Dabei haben sich unterschiedliche Formen ausgeprägt, die heute parallel und im gegenseitigen Austausch miteinander existieren. Bei kleineren Unternehmen bestreitet nicht selten eine einzige Familie das komplette Programm. Bei größeren ist das Ensemble oft sehr divers. Im Varieté werden Zirkusdisziplinen auf der Bühne präsentiert und klassische Zirkusse, vom kleinen Familienzirkus bis zum Großzirkus, gehen quer durch Deutschland auf Tournee, erklärt die Unesco.
Auch das „Berlin Circus Festival“ spielt mit den Möglichkeiten, die diese Kunstform bietet. Die niederländische Gruppe „House of Circus“ bringt den „carnivale royale“, ein queeres Cabaret, auf die Bühne. Die belgischen Brüder Sander und Jordaan De Cuyper fordern einander zum Beispiel in einem Jonglier-Duell heraus, „komplett mit allen Insignien eines großen Sportereignisses: Heldentum, Fairplay und ja, sogar Dopingskandale“, wie sie ankündigen. Die Brasilianerin Diana Salles verbindet Luftakrobatik mit Tanz und Gesang.
Mal stehen bekannte und erfahrene Künstlerinnen und Künstler, mal Nachwuchstalente auf den Bühnen des „Berlin Circus Festival“. Mal gibt es großes Spektakel, mal leise Poesie. Eröffnet wird das Festival am 7. August mit einer Feier unter dem Motto „This is (not) a party!“ Dazu holen Johannes Hilliger und Josa Kölbel ihre engsten Freundinnen und Freunde aus den vergangenen zehn Jahren zurück nach Berlin – „die Künstlerinnen und Träumer, die die Identität des „Berlin Circus Festival“ mitgeprägt haben“, wie sie sagen. Es gehe darum, die „Vergangenheit zu ehren, die Gegenwart zu feiern und die Zukunft des Zirkus neu zu erfinden“.