Im Jahr 2024 trägt das Salzkammergut den Titel Kulturhauptstadt Europas. Hallstatt gehört dazu. Hoch über der Uferpromenade befindet sich ein außergewöhnlicher Ort.
Der 7.000-Einwohner-Ort Hallstatt am gleichnamigen See ist ein echter Touristenmagnet. Die meisten der Gäste kommen aus Südkorea und China. Schuld daran hat das Fernsehen. Genauer gesagt die Serie „Spring Waltz“ („Frühlingswalzer“), die ein südkoreanischer TV-Sender drehte. Im mehrteiligen Liebesfilm kommen Hallstatt und auch Salzburg als Orte des Geschehens vor. Außerdem halten viele Asiaten das pittoreske Dorf für die bildliche Vorlage des Disney-Films „Frozen – Die Schneekönigin“.
Die ersten Monate des Jahres, wenn Hallstatt noch nicht in den schillernden Farben leuchtet, geht es in den idyllischen Gassen und auf der Seepromenade noch einigermaßen ruhig zu. Obwohl bereits fast alle Plätze auf den verschiedenen Parkplätzen besetzt sind, hält sich die Besucherzahl in Grenzen.
Ein spätgotisches Meisterwerk
Speziell eingerichtete Instagram-affine Fotopunkte, die den Gästen die schönsten Blicke auf Hallstatt zeigen, sind auch jetzt mit Besuchern besetzt. Geduldig warten schon die nächsten auf Gruppenfotos oder Selfies, bis die Aussichtsplattformen über dem See oder am Berghang wieder frei werden. Doch gibt es hoch über der Uferpromenade eine Stätte, die von all dem Trubel innehalten lässt.
Es ist ein stiller und nachdenklicher Ort, das Beinhaus in der Krypta unter der Michaelskapelle. Die Gebeine aus mehreren Jahrhunderten liegen hier, mehr als 600 Schädel sind bemalt und beschriftet. Manche von ihnen tragen nur einen Namen oder Jahreszahlen, andere sind mit Blumen und Kreuzen verziert. Seit Generationen ist es in Hallstatt üblich, dass die Gebeine mancher Familien nach etwas zehn bis 20 Jahren aus dem Grab genommen werden. Nach der Reinigung werden sie zum Bleichen aufgestellt und bemalt. Schließlich wandern sie ins Beinhaus. Das gehörte lange Zeit zum Totenkult, doch heute werden Schädel nur noch nach testamentarischer Verfügung oder auf Wunsch von Angehörigen im Beinhaus beigesetzt. Beinhäuser, im Alpenraum auch „Karner“ genannt, gibt es in vielen Gegenden. Die Bemalung der Schädel ist seit mindestens zwei Jahrhunderten üblich. Der Karner von Hallstatt ist jedoch der einzige in der Welt, in dem von vielen Familien durch Generationen die Schädel lückenlos vorhanden sind. Das örtliche Beinhaus ist also nicht nur eine Stätte der andachtsvollen Betrachtung, sondern auch ein Forschungsobjekt.
Manche sehen in diesen Beinhäusern auch den Rest eines heidnischen Kultes. Allerlei abergläubische Vorstellungen waren damit verbunden: Die konservierten und verzierten Schädel sollten vor Krankheiten bewahren und vor bösen Geistern schützen.
Was viele Instagramer nicht wissen: Eine weitere Superlative findet sich gleich neben dem Beinhaus im Kirchenraum der katholischen Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt. Es ist eines der ganz großen Meisterwerke der spätgotischen Schnitzkunst: Der prachtvolle Flügelaltar entstand in den Jahren 1510 bis 1520 durch einen heimischen Künstler aus der Nähe von Gmunden: Leonhart Astl.
Durch die doppelten Flügelpaare hat der Altar drei Gesichter: Das Bild, das der Besucher im jeweiligen Moment sieht. In der Fastenzeit werden beide Flügelpaare geschlossen und auf den Tafelbildern wird das Leben Christi dargestellt. Dagegen werden zur Advents- und Weihnachtszeit die Außenflügel geöffnet. Zum Vorschein kommen sowohl vier Tafelbilder wie auch vier Reliefs, darunter die Darstellung der Beschneidung Jesu. Der Hauptschrein zeigt Maria mit dem Jesuskind, links die Heilige Katharina und rechts die Heilige Barbara.
Die Tafeln zeigen die Geburt Mariens und Mariä Verkündigung, die Darbringung im Tempel und Mariens Tod. Im sogenannten Gesprenge, also dem geschnitzten Zieraufsatz oberhalb des gotischen Flügelaltars befindet sich Christus in der Mitte, links Johannes, der Evangelist, rechts der Heilige Nikolaus. In der unteren Reihe sieht der Besucher die Heiligen Simon, Dionysius, Wolfgang, Christophorus, Stephan, Andreas und Philipp. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass dieser Altar erhalten blieb. Denn in der Barockzeit wandten sich die Kirchenoberhäupter an die Landesregierung mit dem Ersuchen, den Altar abzutragen und durch einen neuen zu ersetzen. Zum Glück kam man diesem Wunsch nicht nach, denn es fand sich niemand, der die Kosten für die Abtragung übernehmen wollte.
Führung durch 7.000 Jahre Salzgeschichte
Links daneben findet sich ein weiteres Meisterwerk. Im Jahr 1890 wurde es nach dreijähriger Arbeit fertiggestellt: Hallstatts neugotischer Kreuzaltar. Abgesehen von der religiösen Aussage ist das Besondere an diesem Werk, dass es von den Lehrern und Schülern der Hallstätter Holzfachschule geschaffen wurde. Seit dem Schuljahr 1873/74 gibt es die kaiserlich und königliche (k. und k.) Fachschule für Holzschnitzerei und Marmorbearbeitung. Bis heute erfreut sich diese Schule, nunmehr als Höhere Technische Bundeslehranstalt, mit ihren verschiedenen Ausbildungsstätten und Meisterklassen eines hervorragenden Rufes. Hallstätter Fachschüler und Meister wie Tischler, Drechsler, Bildhauer und Musikinstrumentenbauer sind heute nicht nur in Österreich sondern in allen Teilen der Welt erfolgreich tätig. Anlass für das Kreuzigungsthema dieses Altars war die gotische Darstellung, die heute im Vorraum der Kirche zu sehen ist. Sie schmückte bis zur Restaurierung und Regotisierung der Kirche im Jahre 1895 den linken Chorraum. Hier in der Kirche und nebenan im Beinhaus ist es ruhig. Die meisten internationalen Besucher sind mit Bussen angekommen und haben nur ein paar Stunden Zeit, das Unesco-Welterbe Hallstatt zu entdecken, zu fotografieren und sich an österreichischen Spezialitäten zu laben. Dann geht es schon wieder weiter zu den Salzminen und dem Hallstatter Salzbergwerk, wo die Führung durch 7.000 Jahre Salzgeschichte beginnt. Auch dafür sollte man sich mindestens zwei bis drei Stunden Zeit lassen. Doch das ist Stoff für eine andere Geschichte.