Ob Laptop-Tisch, Innensteckdose oder Toter-Winkel-Kamera: Der Kia EV3 ist ein Elektro-SUV mit vielen nützlichen Helfern. Da kann man über die containerartige Optik schon mal hinwegsehen. Dafür überzeugt das Platzangebot im Inneren von der ersten Sekunde an.

Bei meiner ersten Testfahrt im Kia EV3 fahre ich am Bonner Hafengelände vorbei. Während ein Schiffscontainer am Kran baumelt, muss ich unweigerlich schmunzeln: Hier fühlt sich der Kompakt-SUV vermutlich wie zu Hause – nicht, weil Kran und Auto beide elektrisch angetrieben werden, sondern wegen der Optik. Der EV3 sieht genauso eckig aus wie die Fracht, die sich im Hafen stapelt. So „klein“ wie er mit seinen 4,30 Metern auch ist – zumindest für SUV-Verhältnisse –, so auffällig wirkt der koreanische Stromer. Geschmeidig und rund ist an ihm nämlich gar nichts. Stattdessen regieren klare, harte Kanten, schwarze Kunststoff-Elemente und Fenster, die wie mit dem Lineal gezogen wirken. Sogar die Felgen wirken eckig. Wie eine Kreuzung aus Playmobil, Panzer und besagtem Schiffscontainer. Mir gefällt das Design, aber vermutlich schreckt es viele ab, die eher etwas Dezenteres vor der Haustür stehen haben wollen.
Andererseits tut eine gewisse Abgrenzung Not, denn der EV3 tummelt sich in einem heiß umkämpften Segment. Ob VW, Volvo oder BYD: Alle großen Hersteller haben das Potenzial erkannt, das in Elektroautos der Mittelklasse schlummert. Zwar ist der EV3 mit einem Startpreis von 35.990 Euro kein Billigstromer à la Dacia Spring. Dafür verspricht er eine passable Reichweite, ordentlich Platz und somit Urlaubs- und Familientauglichkeit.
Mittelarmlehne wird zum Tisch
Ob das Versprechen auch zutrifft, teste ich auf einer Reise von Bonn nach Halle an der Saale. Mit großem Akku sollte die 500-Kilometer-Tour theoretisch sogar ohne Ladestopp möglich sein. Da mein Testfahrzeug aber über die kleinere Batterievariante verfügt, muss ich mich mit einer Reichweite von 436 Kilometern begnügen – zumindest auf dem Papier. In der Realität, das haben frühere Tests gezeigt, können diese Werte ganz anders aussehen.

Zunächst der Eindruck vom Innenraum. Auch er wirkt, nun ja, eckig. Die Türgriffe sehen aus wie eine Gürtelschnalle, durch die Tür selbst zieht sich eine Art Chrombügel. Billig wirkt das Ganze aber nicht, zumal das Armaturenbrett sogar mit Stoff bezogen ist. Hinzu kommen allerlei innovative Ausstattungselemente wie eine 220-Volt-Steckdose oder Kameras, die beim Abbiegen den toten Winkel in den Tacho projizieren. Während solche Schmankerl extra kosten, ist die besondere Mittelarmlehne immer mit an Bord: Die lässt sich zu einem kleinen Tisch ausziehen, der sich super zum Abstellen von Proviant oder einem Laptop während der Ladepause eignet.
Hoher Verbrauch begrenzt Reichweite
Ansonsten ist auch die Einstiegsvariante „Air“ bereits gut ausgestattet. Hier sind neben diversen Assistenzsystemen auch das Navi, eine Rückfahrkamera, Parksensoren und LED-Scheinwerfer inklusive. Alles, was darüber hinausgeht, ist mit zusätzlichen Kosten verbunden – zum Beispiel die Sitzheizung, eine induktive Handy-Ladestation, eine elektrische Heckklappe oder eine Wärmepumpe. Auch die „Vehicle to Load“-Funktion, die es ermöglicht, externe Geräte (Elektrogrill, Laptop und Ähnliches) an den EV3 anzuschließen, kostet extra.

Das Platzangebot überzeugt mich sofort. Da es keinen Mitteltunnel gibt, kann man sich hinten gut ausbreiten. Eingequetscht wirkt hingegen die Klimaanlagensteuerung auf dem Zentralbildschirm. Diese liegt genau hinter dem Lenkrad verborgen, sodass man die dazugehörige Anzeige ohne Verrenkungen kaum erreichen kann.
Zum Glück setzt Kia zusätzlich auf normale Knöpfe, mit denen man die Temperatur steuern kann, also kein Drama. Navi, Radio und Fahrzeugeinstellungen lassen sich ebenfalls per Knopfdruck aufrufen – alles sehr übersichtlich, sehr intuitiv bedienbar. Allein der Frunk, also der „Front-Kofferraum“ unter der Motorhaube, ist ein Witz. Er ist so klein, dass nicht einmal das Ladekabel hineinpasst. Ich mache den Versuch und bekomme gerade mal meine Schuhe hinein.
Die Fahrt gestaltet sich angenehm und ohne große Überraschungen. Am Anfang geht mir das Gepiepse ein wenig auf die Nerven, das einsetzt, sobald man das Tempolimit auch nur geringfügig überschreitet. Zum Glück lässt sich das System mit einem längeren Druck auf den Lautstärke-Knopf stumm schalten.

Alle anderen Assistenzsysteme arbeiten sehr zuverlässig. Der Spurhalter korrigiert nur dann, wenn es wirklich nötig ist, der Tempomat arbeitet zuverlässig, und die Verkehrsschilder werden fast alle erkannt. Auch beim Ein- und Ausparken gibt es Hilfe: Fährt man zu dicht auf, ertönt wie gewohnt ein akustisches Signal. Tritt man dennoch weiter aufs Strompedal, vibriert das Lenkrad und der Wagen bremst automatisch. Unfreiwillig teste ich zudem den Notbrems-Assistenten. Als an einer Ampel mein Vorgänger zunächst beschleunigt, es sich dann aber anders überlegt, greift der Kia sofort ein. Eine beherzte Bremsung, ein schneller Stopp, so soll es sein.
Halbe Stunde laden bis 80 Prozent
Auf der Autobahn zeigt sich, dass die markante Kastenform auch Nachteile hat. Hier schießt der Verbrauch des EV3 nämlich plötzlich nach oben. Mit seinem geschmeidigen Konzernbruder, dem EV6, kann der kleine SUV nicht mithalten: Die Aerodynamik sorgt dafür, dass die Verbrauchswerte auf bis zu 24 Kilowattstunden pro 100 Kilometer steigen. Da machen auch die automatisch einklappenden Türgriffe den Braten nicht mehr fett. Viel mehr als 300 Kilometer komme ich mit dem kleinen Akku daher nicht. Immerhin muss ich mir keine Sorgen machen, wo und wann ich laden muss, denn diese Aufgabe übernimmt der EV gleich selbst – und wie er das macht! Das Navi lässt sich vorab so einstellen, dass die Routenplanung zu den eigenen Bedürfnissen passt: Nicht nur der gewünschte Ladenetzbetreiber lässt sich wählen, sondern auch die gewünschte Ladeleistung und der Akku-Füllstand am Ziel. Das funktioniert richtig gut. Der einzige „Vorwurf“, den man dem Navi machen könnte, ist eine gewisse Übervorsicht. So plant er für meine Strecke nach Halle zwei Ladestopps ein, obwohl eindeutig nur einer notwendig ist. Geschenkt! Nachdem ich an Bielefeld vorbei bin, berechnet das System neu. Nächster und einziger Ladestopp: Kassel. Normalerweise mache ich mir nichts aus Schnickschnack wie einer 360-Grad-Kamera, allein schon wegen der hohen Aufpreise. Am Autohof in Kassel weiß ich das Kia-System aber wirklich zu schätzen. Dort ist die Ionity-Ladestation dermaßen von Beton-Pollern umzingelt, dass sie eher an einen Gefängnishof erinnert. Erst mithilfe der 3D-Ansicht lässt sich der Wagen problemlos zur Ladestation zirkeln.

Und dann fließt er auch schon, der Strom. Ganz so schnell wie bei seinen Verwandten geht es allerdings nicht. Während andere Kia-Modelle inzwischen über ein schnelles 800-Volt-System verfügen, das im Idealfall Ladezeiten von 18 Minuten ermöglicht, steht mein kleiner Container über eine halbe Stunde an der Strom-Tanke. Ich finde solche Ladezeiten absolut in Ordnung. Wer aber wirklich Strecke machen will, sollte sich nach einem Modell mit höherer Ladeleistung umschauen. Dieser Zugewinn an Ladeleistung hat aber seinen Preis. So kostet der EV6 in seiner günstigsten Variante 9.000 Euro mehr als der EV3.
Am Ende meiner Testfahrt zeigt sich, dass der Kia EV3 den Spagat zwischen Alltagstauglichkeit und Bezahlbarkeit überzeugend meistert. Abgesehen vom recht hohen Verbrauch und der mittelmäßigen Ladeleistung kann er sich wirklich sehen lassen: souveränes Navi, zuverlässige Assistenten, ausreichend Platz und Komfort. Dank Hörbüchern und integrierter Ladeplanung ist die Zeit schnell vergangen. Sechs Stunden nach meinem Start in Bonn komme ich in Halle an – deutlich schneller als in einem echten Schiffscontainer.