Da mindestens ein Viertel der Menschheit unter Mundgeruch leidet, dürfte sich die Entdeckung eines wirksamen Gegenmittels lohnen. Eine Meta-Analyse lenkt das Augenmerk nun auf Probiotika als mögliche Problemlösung.
Mundgeruch ist noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema und ein persönlicher Makel, der den zwischenmenschlichen Umgang extrem stark belasten kann. Viele Betroffene sind sich ihres schlechten Odems gar nicht bewusst, ihre direkten Kontaktpersonen tun sich häufig schwer damit, sie direkt darauf hinzuweisen. Dabei ist das Phänomen inzwischen in der Bevölkerung weit verbreitet. Schätzungen zufolge hat jeder dritte Bundesbürger mehr oder weniger chronischen Mundgeruch. Dieser rangiert zahlenmäßig bei Überweisungen zum Zahnarzt mittlerweile schon an dritter Stelle hinter Karies und Zahnfleischschwund/Parodontitis. Weltweit soll mindestens ein Viertel aller Menschen zumindest zeitweise unter unangenehmem Geruch leiden, bei schätzungsweise sechs Prozent der Betroffenen soll der Mundgeruch ein dauerhaftes Problem darstellen.
Auch wenn Mediziner häufig davor warnen, Mundgeruch auf die leichte Schulter zu nehmen, weil manchmal der üble Atem auch auf mehr oder wenige schwere Erkrankungen des Hals- und Nasenbereichs oder des Magen-Darm-Trakts hinweisen kann, so sind doch in mehr als 90 Prozent der Fälle bakterielle Mikroorganismen dafür verantwortlich. Diese setzen in der Mundhöhle, sprich auf der Zunge, im Zahnbelag, am Zahnfleisch oder in den Zahnzwischenräumen, beim Abbau von Nahrungsresten oder anderen organischen Stoffen schwefelhaltige Verbindungen wie Schwefelwasserstoff (H2S), Methylmercaptan (CH3SH) oder Dimethylsulfid (C2H6S) frei. Auch ein zu geringer Speichelfluss, also ein trockener Mund, kann die Ausbildung unangenehmer Gerüche fördern – mangelnde Mundhygiene mit negativen Folgen wie Zungenbelag oder einer fortgeschrittenen Parodontitis nicht zu vergessen. Der wesentliche Faktor für die Entstehung von Mundgeruch sind jedoch die flüchtigen Schwefelverbindungen, die von Bakterien in der Mundhöhle über komplexe Mikroben-Substrat- oder Mikroben-Mikroben-Wechselwirkungen sowie durch Fäulnisprozesse von organischen Substanzen produziert und im medizinischen Fachjargon als „volatile sulfur compounds" (VSC) bezeichnet werden. Bei deren Vorliegen ist zudem das Gleichgewicht zwischen aeroben und anaeroben Bakterien in der Zusammensetzung des oralen Mikrobioms gestört.
Bakterielles Gleichgewicht gestört
Angesichts der Vielzahl von Betroffenen haben sich über die Jahre diverse Behandlungsmethoden entwickelt. Grundsätzlich kann zwischen einer mechanischen Reinigung (mit Zahnsteinentfernung meist im Rahmen einer professionellen Zahnreinigung oder Abschaben der Zunge) und einer medikamentösen Therapie (mit antibakteriellen Mundwässern und der Verabreichung von Antibiotika) unterschieden werden. Die mechanische Reinigung schafft meist nur kurzfristige Abhilfe. Die medikamentöse Therapie kann nicht allzu lange durchgeführt werden, weil sie auch unerwünschte Nebenwirkungen wie die Dezimierung nützlicher Mundbakterien zur Folge hat und es zudem infolge von bakteriellen Fehlbesiedlungen zu unschönen Verfärbungen von Zunge und Zähnen kommen kann.
In jüngster Zeit wird in der Wissenschaft über einen gänzlich neuen Therapieansatz geforscht und diskutiert, der darin besteht, gewissermaßen „gute" Bakterien gegen die unerwünschten schwefelhaltigen Bakterien in Stellung zu bringen – Stichwort: Probiotika. Es gibt erste Hinweise darauf, dass eine kontinuierliche Verabreichung von Präparaten mit sogenannten probiotischen Mikroorganismen, die weder verschreibungspflichtig sind noch unerwünschte Nebenwirkungen aufweisen und komfortabel in Form von Kaugummis oder Lutschtabletten konsumiert werden können, die Zusammensetzung des oralen Biofilms markant positiv verändern könnte. Allerdings konnte dies bislang wissenschaftlich noch nicht durch entsprechende Studien mit einer ausreichend großen Zahl von Probanden belegt werden. Auch wenn diverse Probiotika-Hersteller das Ganze in ihren werblichen Aussagen schon mehr oder weniger deutlich als Faktum darstellen.
Dabei wäre bezüglich der Probiotika eigentlich Vorsicht angeraten. Einzig verschreibungspflichtigen probiotischen Arzneimitteln könne eine gewisse Wirksamkeit zugesprochen werden: „Möglicherweise können bestimmte probiotische Bakterien im Rahmen einer Therapie von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen hilfreich sein. Dafür gibt es zugelassene probiotische Arzneimittel, die ihre Wirkbehauptungen in Studien belegen konnten", heißt es bei der Verbraucherzentrale.
Damit ist das Thema Probiotika in der medizinischen Forschung aber keineswegs erledigt. Vielmehr gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Untersuchungen, in denen – mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen – das Pro und Contra der Wirksamkeit von Probiotika bei der Bekämpfung von Mundgeruch abgewogen wurde. Noch im Mai 2022 war eine Meta-Analyse von Wissenschaftlern aus Singapur nach Auswertung von acht Studien, die aus 301 potenziell relevanten Beiträgen zu dem Thema ausgewählt wurden, zu dem Ergebnis gekommen: „Die verfügbare Evidenz deutet auf keinen überzeugenden Nutzen für den Einsatz von Probiotika bei der Behandlung von Mundgeruch hin."
Ende Dezember 2022 kam ein chinesisches Forschungsteam um Longjiang Li von der Sichuan University in Chengdu mit einer im Fachmagazin „BMJ Open" publizierten Meta-Analyse zu einem gänzlich anderen Resultat. Dass zwei nur wenige Monate auseinanderliegende Meta-Analysen zu solch unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen konnten, lässt sich eigentlich nur dadurch erklären, dass die jeweiligen Wissenschaftler unterschiedliche Studien als Basis für ihre Untersuchungen herangezogen haben. Das Team aus Chengu hatte aus den medizinischen Datenbanken zunächst 238 Studien herausgefiltert, in denen die Wirkung von Probiotika auf den Mundgeruch überprüft worden war. Für seine Analyse beschränkte sich das Team dann aber auf lediglich sieben Studien mit insgesamt 278 Teilnehmern und jeweils einer Placebo-Probanden-Kontrollgruppe. Für wirklich aussagekräftige Schlussfolgerungen war die Zahl der Probanden eigentlich viel zu klein. Die Teilnehmerzahl pro Studie reichte von 28 bis 68, die Altersspanne lag zwischen 19 und 70 Jahren, die Überwachungszeiträume schwankten zwischen zwei und zwölf Wochen.
Probiotika hemmen Abbauprozesse
In den sieben ausgewählten Studien hatten die Probanden ein- bis zweimal pro Tag ein probiotisches Präparat gegen Mundgeruch oder ein Placebo erhalten. Die Wirksamkeit der Probiotika, die auch in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt, Sauerteigbrot oder sauer eingelegten Gurken vorkommen, wurde zum einen durch subjektive Aussagen der Teilnehmer und zum anderen durch Messung von flüchtigen Schwefelverbindungen in der Atemluft ermittelt. Zudem waren teilweise auch noch Angaben über Beläge auf Zunge und Zähnen festgehalten worden. Nach der statistischen Auswertung der Studienergebnisse konnten die Autoren der Meta-Studie eine deutliche Reduzierung des subjektiv wahrnehmbaren Mundgeruchs bei Probanden konstatieren, die probiotische Bakterien verabreicht bekommen hatten. Die messbaren Schwefelverbindungen verringerten sich ebenfalls, allerdings hielt hier der positive Effekt nur bis etwa vier Wochen nach Beginn der Behandlung an, danach schrumpften die Unterschiede zwischen der Probiotika- und der Placebo-Gruppe wieder. Zahn- und Zungenbeläge konnten durch die Probiotika-Gabe nicht positiv verändert werden.
„Nach den Ergebnissen dieser Arbeit scheint es so zu sein, das Probiotika (zum Beispiel Lactobacillus salivarius, Lactobacillus reuteri, Streptococcus salivarius und Weissella cibaria) Mundgeruch lindern können, indem sie die Konzentration flüchtiger Schwefelverbindungen kurzfristig reduzieren. Aber es gibt keine signifikanten Auswirkungen auf die Hauptursachen von Mundgeruch wie Plaque und Zungenbelag." Laut den Chengu-Wissenschaftlern können die Probiotika die Zusammensetzung der Mundflora positiv beeinflussen, indem sie die Abbauprozesse hemmen, aus denen die übelriechenden Schwefelverbindungen hervorgehen: „Die signifikant niedrigeren Gehalte an flüchtigen Schwefelverbindungen sprechen dafür, dass die Aktivität anaerober Mundbakterien durch die probiotische Behandlung abnimmt." Gerade die anaeroben Bakterien, die ohne Sauerstoff auskommen und daher tief in den Furchen der Zunge oder schwer zugänglichen Bereichen des Mundraums sitzen, sind bislang nur schwer zu bekämpfen. „Gemäß den vorliegenden Studien reduziert die probiotische Therapie die Konzentration von Geruchsstoffen, indem sie den Abbau von Aminosäuren und Proteinen durch anaerobe Bakterien hemmt."
Die Forscher weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass die Probandenzahl der ausgewerteten Studien für sichere Rückschlüsse zu klein und einige Datenbestände zudem noch unvollständig gewesen seien. „In Zukunft sind weitere qualitativ hochwertige randomisierte klinische Studien erforderlich, um unsere Ergebnisse zu verifizieren und die Wirksamkeit von Probiotika bei der Behandlung von Mundgeruch zu belegen."