Immer wieder gibt es neue Ansätze, tierische Materialien wie Leder durch vegane Alternativen zu ersetzen. Die neueste schmeckt sogar richtig gut, denn ein Londoner Unternehmen hat in Bier investiert und daraus etwas ganz Einzigartiges geschaffen.
Eine echte Textilinnovation, die ohne tierische Bestandteile auskommt und dazu noch hilft, weniger Abfall zu produzieren, gibt es seit 2023 in England. Hier ging das Start-up Arda Biomaterials ins Rennen, um die Modewelt in eine neue Richtung zu lenken. Mit was, das erklärte der CEO des Unternehmens, Brett Cotten, in seiner Pressemitteilung wie folgt: „Viele Menschen glauben, dass Leder ein Nebenprodukt von Kühen sei; in Wirklichkeit ist es eher ein Nebenprodukt, das den Fortbestand der Tierhaltung subventioniert. Biertreben aus Brauereien werden in der Regel verbrannt, auf Deponien entsorgt, anaerob zu Gas vergoren oder als billiges Futter an Tiere verfüttert – alles sehr geringwertige Verwendungszwecke. Ich bin begeistert, dass wir die Kuh überspringen können, um ein wirklich neuartiges Produkt zu schaffen, das bisher zu 100 Prozent tier- und plastikfrei war.“ Um den Gedanken in die Realität umzusetzen, musste Arda knapp 1,3 Millionen Euro (1,1 Millionen britische Pfund) sammeln. Zu den Investoren gehören Satgana, Plug & Play Tech Center, Serpentine Ventures und andere. Sie alle spendeten im Rahmen einer Clean Growth Fund Kampagne, weil sie an das Projekt glaubten und dies noch immer tun. Der Clean Growth Fund existiert seit Mai 2020. Er ist ausgestattet mit 101 Millionen britischen Pfund und dient dazu, als Risikokapitalfonds britische Unternehmen zu unterstützen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für ein sogenanntes Clean Growth zu sorgen. Das bedeutet, sie leisten Pionierarbeit, um die Kohlenstoffemissionen zu verringern und diesen Anspruch in unterschiedlichen Segmenten wie Gebäude, Verkehr, Strom, Energie und Abfall umzusetzen. Vom Fonds hat nicht nur Arda mit seinen Ideen profitiert, sondern auch 13 andere Cleantech-Unternehmen auf der Insel.
Tierfreis Leder aus Biertreben
Gegründet wurde das Start-up von Brett Cotten gemeinsam mit Edward TJ Mitchell im Jahr 2022. Kennengelernt haben sich der Doktorand der Chemie, Mitchell, und der erfahrene Cambridge-Absolvent im Bereich der alternativen Proteine, Cotten, über Entrepreneur First, einem global arbeitenden Talentinvestor. Schnell wurde beiden klar, dass sie ihre Erfahrungen koppeln mussten hin zu einer Idee, die einen ganzen Sektor auf den Kopf stellen sollte. Und zwar ausgerechnet mit Bier, genauer mit der Gerste darin. Zu diesem Zweck kooperierte man mit Brauereien auf der Südlondoner Bermondsey Beer Mile. Vor dem Bier gab es hier Lederbrauereien. Mehr als ein Zufall, eher ein Anspruch, es in Zukunft besser zu machen und Leder herzustellen, das wirklich ökologisch ist und sich mit gutem Gewissen tragen lässt. „Das Aufkommen billiger Kunststoffe hat ein Jahrhundert der Innovation bei der Verwendung natürlicher Rohstoffe zur Herstellung von Materialien zunichtegemacht. Jetzt entdecken wir mit Blick auf die Nachhaltigkeit, dass die Natur alle Bausteine bereithält, die für die Herstellung wunderbarer und nachhaltiger Materialien erforderlich sind. Die Herstellung von Leder ist besonders ressourcenintensiv, und die derzeitigen Alternativen sind mit Plastik durchsetzt. Die chemische Zusammensetzung von Getreideabfällen eignet sich hervorragend, um in ein Material umgewandelt zu werden, das viele der Eigenschaften von Leder und mehr aufweist“, erläutert Ardas Technologiechef Mitchell. Das Getreide ist sowieso da, wieso es also nicht nutzen, statt es zu entsorgen? Schon im Jahr 2023 prognostizierten die beiden Gründer eine Phase von etwa 12 Monaten, um ihr bis dahin fertig entwickeltes Material „an den Mann zu bringen“. Und das war scheinbar nicht zu mutig kalkuliert, denn jetzt, 2024, gibt es tatsächlich die ersten Produkte auf dem Markt, die sich sehen lassen können und zu 100 Prozent aus Gerstenleder bestehen.
Co²-Emissionen um 97 Prozent reduziert
Darüber freut sich Cotten: „Jetzt können wir unser Bier trinken und es auch tragen!“ Besser gesagt mit sich herumtragen, denn der erste Fashion-Prototyp aus Gerstenleder ist eine Handtasche. Entwickelt wurde diese vom Designstudio Been London. Die Tasche ist angelehnt an das beliebte Modell Millais, nur dass sie eben aus einem anderen Material besteht. Das haben die Entwickler passenderweise New Grain getauft. Es erinnert optisch an Schlangenleder, hat eine ähnliche Haptik und lässt sich in allen gewünschten Nuancen einfärben. Auch an Robustheit und Widerstandskraft steht das Material Tierleder in nichts nach. Für Arda bedeutet der Release einen Meilenstein, wie der CEO betont: „Es zeigt unsere Fähigkeit, innovativ zu sein und daran zu arbeiten, hochwertige Materialien für Endverbraucher zu vermarkten, die nicht voller tierischer Materialien und Plastik sind. Wir freuen uns darauf, unsere Zusammenarbeit mit Been London fortzusetzen und die Grenzen der nachhaltigen Mode, Haushaltswaren, Sportbekleidung, Spiele und darüber hinaus zu erweitern.“ Die Handtasche bildet einen ersten Vorstoß in einen ganz neuen Markt. Dabei wird es allerdings nicht bleiben. Langfristig sollen Laptoptaschen, Geldbörsen, Handtaschen und andere Accessoires hinzukommen. Darüber freut sich auch Genia Mineeva, Gründerin von Been London: „Diese Partnerschaft ermöglicht es uns, Pionierarbeit bei neuen Materialien zu leisten und eine Vorreiterrolle bei zirkulärem Design und nachhaltiger Mode zu übernehmen. Als Marke, die hochwertige Produkte ausschließlich aus Materialien herstellt, die sonst weggeworfen würden, sind wir von den Möglichkeiten der Innovation von Arda wirklich begeistert.“ Bei Arda ist man derweil damit beschäftigt, das Material weiter zu verbessern, um noch mehr leistungsfähige Optionen bieten zu können. Schon jetzt ist man sich sicher, mit New Grain eine ressourceneffiziente Innovation geschaffen zu haben, die nicht nur eine einzigartige Qualität aufweist, sondern auch so individuell anpassungsfähig ist, wie dies bei tierischen Häuten niemals möglich wäre. Egal, ob unterschiedliche Muster, Farben, Elastizitäten, Dicke oder Gerüche, hier gehören individuelle Anpassungen zum festen Programm. Innerhalb der Produktion verursacht New Grain 97 Prozent weniger CO2-Emissionen und es kann komplett auf den umweltschädigenden Gerbungsprozess verzichtet werden. Schädliches Mikroplastik fällt ebenfalls keines an. Das hält die Natur sauber und das Klima gesund.