Union Berlin will im Stadtderby bei Hertha BSC gewinnen – aber nicht primär wegen der Rivalität, sondern wegen der Aussicht auf die Champions League. Der Status der Nummer eins in der Hauptstadt ist längst gefestigt.
Am Samstag empfängt Bischof Bernhard Felmberg in der Kapelle des Olympiastadions wieder seine Kirchengemeinde, um vor dem Heimspiel von Hertha BSC eine Andacht abzuhalten. Und wohl auch, um für einen Erfolg seiner Hertha zu beten. „Wenn man Fan von Hertha BSC ist, betet man eigentlich jeden Tag und zwar seit Jahrzehnten“, sagte der 57-Jährige scherzhaft. Vor dem Stadtderby gegen Union Berlin dürfte in der Kapelle sicher das ein oder andere Gebet mehr an den lieben (Fußball-)Gott gerichtet werden. Bei aller Rivalität muss Felmberg aber anerkennen, dass die Unioner abseits des Rasens mit dem traditionellen Weihnachstsingen einen Coup gelandet haben.
„Man muss ganz ehrlich sagen, dass vom Weihnachtssingen in der Alten Försterei eine der größten adventlichen und weihnachtlichen Gesangsbewegungen in ganz Deutschland ausgegangen ist“, sagte der Bischof kürzlich dem RBB. Das Angebot eines befreundeten Pfarrers, in der Alten Försterei einmal die Weihnachtsgeschichte vorzulesen, lehnte Felmberg aber ab. „Das geht nicht“, sagte er, „ich bin derart Hertha-gelabelt“. Als blau-weißer Fan hatte Felmberg zuletzt in den Stadtderbys wenig zu lachen – und das soll aus Union-Sicht auch am Samstag so sein.
Die Köpenicker sind die klare Nummer eins
Die Köpenicker gehen als klare Nummer eins der Stadt in das Fußballspiel. Union darf auch in dieser Saison auf den Einzug ins internationale Geschäft hoffen, es wäre das dritte Mal in Folge. Und auch wenn es die Verantwortlichen, Trainer und Spieler nicht so offen aussprechen: Sie wollen die vielleicht einmalige Chance nutzen und die Champions League erreichen. Vor allem deshalb wäre ein Sieg gegen die Herthaner, die auch in dieser Spielzeit gegen den Abstieg kämpfen, wichtig. Das Prestige ist diesmal zweitrangig, zu klar sind die Rot-Weißen den Blau-Weißen inzwischen enteilt.
Dass sich an der Hackordnung so schnell nichts ändern wird, bewies auch der erste Spieltag nach der zehnwöchigen Bundesligapause wegen der Weltmeisterschaft. Hertha verlor 1:3 beim Abstiegskonkurrenten VfL Bochum, Union gewann zur gleichen Zeit 3:1 gegen die ambitionierte TSG Hoffenheim. Fischer war bei dem Spiel aber lediglich mit der zweiten Halbzeit zufrieden, in der seine Spieler eine „unglaubliche Mentalität“, einen „unermüdlichen Einsatz“ und ein „dominantes Spiel“ gezeigt hätten.
Doch Fischer wäre nicht Fischer, hätte er die Schwachpunkte für das Auswärtsspiel bei Werder Bremen nicht auch explizit herausgearbeitet. Sein Team müsse über die vollen 90 Minuten den Gegner „intensiver“ anlaufen und eine bessere Zweikampfführung an den Tag legen. „Das war ein Thema“, gab Fischer zu. Denn auch dem Schweizer ist aufgefallen, dass Union in dieser Saison fiel zu oft einen Weckruf vom Trainerteam in der Halbzeitpause benötigt. Fischer sah darin aber auch etwas Positives. „Das war eine lange Zeit eine Schwäche von uns, dass wir nach Rückständen nicht mehr zurückschlagen konnten. Jetzt haben wir es das ein oder andere Mal geschafft“, sagte Fischer: „Ich glaube schon, dass du das mitnimmst und dass es dir eine gewisse Zuversicht gibt.“ Ein anderer Spielverlauf wäre ihm aber lieber, denn: „Kein Trainer möchte gerne mit 0:1 in Rückstand geraten, weil es nicht so einfach ist, ein Spiel zu drehen.“
Union brauchte auch deshalb eine Aufholjagd, weil Stürmer Jordan Siebatcheu nach knapp einer halben Stunde den Ball bei einem Handelfmeter an den Außenpfosten setzte. „Das muss er verarbeiten“, forderte Fischer anschließend. Im Training habe der Franko-Amerikaner die Elfmeter noch „souverän und kaltblütig“ eingenetzt, „aber ein Training ist eben kein Spieltag“. Der Fehlschuss war auch persönlich bitter für den sechs Millionen Euro teuren Sommer-Neuzugang, der vor dem Spiel bei Werder Bremen auf eine viermonatige Durststrecke zurückblickte. Schon gegen Hoffenheim hatten manche Experten mit Kevin Behrens statt Siebatcheu als Stoßstürmer in der Startelf gerechnet. Als der wuchtige Behrens nach einer Stunde für Siebatcheu eingewechselt wurde, kippte die Partie.
Ryerson-Wechsel überraschte Fischer
Anschauungsunterricht in Sachen Torgefährlichkeit bekam Siebatcheu gegen Hoffenheim ausgerechnet von einem Abwehrspieler verabreicht. Der niederländische Innenverteidiger Danilho Doekhi war bei zwei Standardsituationen zweimal zur Stelle und beeindruckte auch Fischer. „Die Bälle kamen gut“, sagte der Coach, „aber diese Wucht, diese Entschlossenheit, die musst du auch mitbringen, wenn du im gegnerischen Strafraum ein Tor erzielen willst.“ Ob Siebatcheu bei dem Satz mitgehört hat?
Einen Spieler wird Fischer mit seinen Aussagen definitiv nicht mehr erreichen: Ryerson. Der norwegische Nationalspieler wechselte am Ende der Winterpause überraschend zu Borussia Dortmund. Das Angebot vom deutschen Topclub für den Außenverteidiger, der zwar eine solide, aber keineswegs überragende Rolle bei Union spielte, überraschte sogar die sportliche Führung, wie Trainer Fischer zugab. Geschäftsführer Oliver Ruhnert habe ihn vor der Nachricht gefragt, „ob ich sitze“, verriet der Schweizer.
Während sich Ruhnert über die unverhoffte Einnahme von kolportierten fünf Millionen Euro freuen durfte, stimmte Fischer dem Deal nur mit Bauchschmerzen zu. Denn man sei klar „auf dem falschen Fuß erwischt“ worden – sprich: Ein gleichwertiger Ersatz, wie ihn sich ein Trainer bei einem sich anbahnenden Verkauf wünscht, war zunächst nicht in Sicht. „Das passt uns natürlich überhaupt nicht. Damit muss man aber klarkommen“, sagte Fischer. Er weiß um die Gesetzmäßigkeiten im Profifußball: Klopft ein großer Club wie der BVB an und kommt mit einem guten Angebot, ist jeder Spieler in seinem Team verkäuflich. Fischer ist in dieser Hinsicht kein Fußball-Romantiker: „Am Schluss ist es ein Kreislauf.“
Denn mit dem Geld, das Union aus dem Ryerson-Verkauf eingenommen hat, kann der Verein seinerseits auf dem Transfermarkt aktiv werden und dabei vielleicht in ein etwas höheres Regal greifen als sonst üblich. Laut Medienberichten zeigten die Eisernen Interesse an Josip Juranovic von Celtic Glasgow. Die Gespräche mit dem Rechtsverteidiger und dessen Club sollen sich am vergangenen Sonntag in einem fortgeschrittenen Stadium befunden haben. Günstig wäre der Nationalspieler, der bei der WM für Kroatien alle sechs Partien über die volle Distanz bestritten hat, nicht. Schottische Medien berichteten von rund 8,5 Millionen Euro plus Boni, die Celtic gefordert haben soll. So viel Geld hatte Union nicht einmal für seinen bisherigen Rekordtransfer Taiwo Awoniyi locker gemacht.
Ryerson musste nicht lange überlegen, das Angebot des BVB anzunehmen. Die Dortmunder freuen sich auf einen zuverlässigen und vor allem flexibel einsetzbaren Musterprofi. „Sein Profil, sein Charakter und seine Gier, den Platz unter allen Umständen als Sieger verlassen zu wollen, gefallen uns sehr“, sagte BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. Und Ryerson ist kein Stinkstiefel, auch wenn er mal auf der Bank sitzt. Das bewies er bei Union, als der Rechtsverteidiger sich lange Zeit mit der Ersatzrolle für Kapitän Christopher Trimmel begnügen musste. In Dortmund soll Ryerson den verletzten Belgier Thomas Meunier ersetzen, der spielerisch zuletzt nicht den besten Eindruck gemacht hatte.