Nach der Parlamentswahl in Luxemburg steht die neue Regierung vor Problemen: Trotz einer hohen Widerstandsfähigkeit stagniert die Arbeitsproduktivität und die Zahl der Fachkräfte, sagt Carlo Thelen, Geschäftsführer der Handelskammer Luxemburg.
Herr Thelen, welche Themen bewegen die Luxemburger Wirtschaft derzeit besonders?
Die Wirtschaft von Luxemburg hat sich trotz vieler aufeinanderfolgender Krisen als widerstandsfähig erwiesen. Sie erfreut sich weiterhin eines bemerkenswerten Wohlstands mit einem großen Leistungsbilanzüberschuss, der durch Netto-Exporte von Dienstleistungen angetrieben wird. Dennoch lassen manche Themen aufhorchen. Insbesondere mit Blick auf die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen, das sind 99 Prozent der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors. KMU brauchen eine entsprechende Begleitung zum Beispiel bei der Digitalisierung, dem ökologischen Wandel oder dem Zugang zu Beihilfen bei der Unternehmensgründung. Die Handelskammer arbeitet hier mit den staatlichen Stellen zusammen im Rahmen des fünften nationalen KMU-Plans. Ein von der Handelskammer unterstütztes Programm – „Fit 4 Digital Packages“ – ermöglicht auch KMU, ihren digitalen Wandel umzusetzen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Eine große strukturelle Herausforderung ist die Stagnation der Arbeitsproduktivität mit einem durchschnittlichen Wachstum von 0,08 Prozent in den letzten 20 Jahren. Luxemburg ist in dieser Hinsicht einer der schlechtesten Schüler auf europäischer Ebene. Die Arbeitskosten und die Inflation sind ebenfalls zwei zentrale Themen, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit in Luxemburg geht, und gehören zu den Herausforderungen, die von den luxemburgischen Unternehmen in Umfragen regelmäßig genannt werden.
Die Ausbildung und die Anziehung von Talenten sind zwei weitere wichtige Themen vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels, der sich durch viele Sektoren zieht. In einer Publikation hat die Handelskammer kürzlich eine nationale Talent-Strategie skizziert, mit vier Schwerpunkten: Förderung der Lehrlingsausbildung, Aufwertung der Weiterbildung, Ermittlung des gegenwärtigen und künftigen Qualifikationsbedarfs und Einführung attraktiver Steuerregelungen für Arbeitnehmer. Etwa eine steuerfreie Prämie insbesondere zur Förderung der Leistung des Arbeitnehmers. Luxemburg soll sich darüber hinaus bei der „twin transition“ auf dem Gebiet von Umwelt und Digitalisierung hervortun. Qualitatives Wachstum soll eine treibende Kraft sein.

Finanzen und Versicherungen bleiben offenbar angesichts der nationalen Strategie für Wissenschaft und Hightech nicht die einzigen Standbeine. Wohin bewegt sich Luxemburgs Wirtschaft?
Der Finanzplatz bleibt ein wichtiger Wirtschaftssektor in Luxemburg. Er trägt mit mehr als 25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, sichert direkt oder indirekt 130.000 Arbeitsplätze und macht 75 Prozent der direkten Steuereinkommen aus. Luxemburgs Finanzplatz entwickelt sich denn auch zum führenden Anbieter im Bereich Green Finance. Gleichzeitig strebt Luxemburg eine Diversifizierung seiner Wirtschaft an. Als Sektoren mit hoher Wertschöpfung wurden die Bereiche Raumfahrt, Gesundheitstechnologie, künstliche Intelligenz, Fintech, Greentech und Logistik ausgemacht. Mit mehr als 500 Start-ups und einem fest verankerten Innovationsökosystem wurden in den letzten Jahren hier wichtige Weichen gestellt.
Die drängenden verkehrspolitischen Fragen löst Luxemburg derzeit mit großen Projekten, auch grenzüberschreitend mit Frankreich. Welche Schritte wünscht sich die Handelskammer von der saarländischen Landesregierung in dieser Hinsicht?
Raumplanungsstrategien und ihre Ergebnisse spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der sozioökonomischen Entwicklung. Wenn sich Regionen über Prioritäten und Infrastrukturprojekte von gemeinsamem Interesse austauschen, können sie Wege zur territorialen Ko-Entwicklung erkunden. Die Wirtschaftszonen in der Großregion spielen eine wichtige Rolle bei der Anziehung von Investitionen, Unternehmen und Talenten und stellen einen weiteren Bereich für eine mögliche Zusammenarbeit dar. Als Handelskammer wollen wir die Überlegungen für mehr Kooperation unterstützen, insbesondere um dauerhafte Lösungen in der Mobilität zu finden. Letztendlich wird die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Großregion durch die Attraktivität des Gebiets und die Diversifizierung der Akteure gestärkt.
Ein neues Gewerbegebiet in Mertert nahe der Grenze soll vor allem Grenzpendler anziehen. Es gibt jedoch in der Handelskammer auch die Idee zu grenzüberschreitenden Gewerbegebieten. Ist dies bislang nur eine Überlegung oder gibt es dazu bereits Konkretes?
Es handelt sich um Anregungen. Die wirtschaftliche Entwicklung Luxemburgs hat innerhalb der Großregion eine Ausstrahlung, die weit über seine nationalen Grenzen hinausgeht. Es ginge also in erster Linie darum, dass sich Luxemburg und seine Nachbarregionen darauf verständigen können, vorrangige Infrastrukturprojekte zu identifizieren, die über eine gemeinsame Finanzierung entwickelt werden könnten, um eine gemeinsame Raumentwicklungspolitik in den grenzüberschreitenden Gebieten zu haben, die allen zugutekommt. Die Zusammenarbeit innerhalb der Großregion könnte verstärkt in den Bereichen Mobilität, Bildung, wirtschaftliche Entwicklung, Logistik oder Gesundheit erfolgen.