Auch Monate nach ihrer Corona-Infektion litt Isolde Schwarz unter Erschöpfung. Statt sich unter Druck zu setzen, entschied sie sich für Energiemeditationen. Heute teilt Schwarz als Lehrerin für Taiji und Qigong ihren Weg zur Bewältigung von Long Covid.
Asiatische Eleganz und warme Behaglichkeit in einem Altberliner Wohnzimmer. Nichts wirkt überladen. Kein Krimskram. An der Wand eine chinesische Schriftrolle. Die Skulptur eines liegenden Buddhas dekoriert die Kommode aus dunklem Massivholz. Auf dem kleinen Teetisch stehen frische Blumen, daneben ein Tablett mit weißen Schälchen und kleinen Edelsteinen. Isolde Schwarz bereitet mit ruhigen, routinierten Handgriffen eine Gong-Fu-Cha-Teezeremonie. In den Gaiwan füllt sie kostbare Blätter des Dongding Oolong aus dem Hochgebirge von Taiwan, übergießt sie mit heißem Wasser und füllt sie dann in eine zweite Kanne. Der erste Aufguss sei für den guten Duft, der in den allmählich sich entfaltenden Teeblättern zur Wirkung kommt.
Die Lehrerin für traditionelle chinesische Bewegungskünste litt nach einer Covid-19-Erkrankung über mehrere Monate unter extremer Erschöpfung und einer lähmenden Müdigkeit. „Ich war so geschwächt, dass ich tagsüber nur noch auf dem Sofa liegen konnte. Anfangs habe ich noch Pläne gemacht, dachte in ein, zwei Wochen bin ich wieder fit.“
Nach etwa sechs Wochen, als es ihr immer noch nicht besser ging, begann sie ihre körperliche Schwäche anzunehmen. „Ich habe nicht gehadert, habe gelesen, gegessen, meditiert und geschaut, wie es am nächsten Tag weiter gehen wird.“
Jetzt zeigte sich der Wert ihrer 30-jährigen Qigong- und Meditationspraxis.
Die Qigong-Meditation hilft Long-Covid- Patienten dabei, innere Balance zu finden
So schwach ihr Körper auch war, der Geist blieb klar. Ihre Erschöpfung zwang sie, sich nicht zu überlasten, ihre Energie während der Erkrankung nicht für andere Aktivitäten zu verbrauchen. Isolde Schwarz setzte sich nicht unter Druck, so blieb ihr auch ein Rückschlag erspart. „Ich spürte, dass diese totale Schwäche eigentlich eine Durchlässigkeit ist, wie mein ganzer Körper von heilsamen Gedanken durchströmt wird.“ Energiemeditationen und Stilles Qigong gaben ihr die nötige Geduld für die allmählich wieder wachsenden Kräfte. „Ich empfand in dieser schwachen Zeit die Meditationen auch als eine schöne Form der Selbstermächtigung. Ich konnte meine eigene Heilkraft anregen und gut selbst für mich sorgen.“
Der Weg von Isolde Schwarz führte nach 30 Jahren Erfahrung im Praktizieren und Lehren von Taiji, Qigong und Meditation zu MSC, der Lehre des Achtsamen Selbstmitgefühls. Die Zeit des selbst auferlegten Rückzugs während Long Covid nutzte sie und entwickelte dabei eine Qigong-Meditation, die auch anderen geschwächten Menschen nach einer Covid-Infektion darin unterstützt, sich auszubalancieren, um wieder in ein Gleichgewicht zu kommen.
Der Fokus wird auf die drei Energiezentren, den sogenannten Energie- oder Zinnoberfeldern gelegt. Die Chinesen nennen diese Energiefelder Dantian. Das erste befindet sich unterhalb des Bauchnabels im Bauchraum. Das mittlere Dantian, das zweite Energiefeld, ist das Herzzentrum. Das dritte Energiezentrum ist das dritte Auge, der Punkt zwischen den Augenbrauen.
Mit diesen drei Energiefeldern lässt sich leicht spüren, wie sich die Energie sammelt. Man legt die Hände auf den Bauch, atmet dorthin und wenn man das Gefühl hat, in diesem Bereich des unteren Dantians gut geerdet zu sein, lenkt man seine Aufmerksamkeit auf den Herzbereich, legt die Hände auf das Herz und spürt, wie man im Herzen, dem Sitz der Liebe und des Wohlwollens beheimatet ist. Sanft führt die Vorstellung nun zum dritten Auge, dem Tor des Geistes. Der Geist wird klar und ruhig.
Anschließend kann man sich diese drei Energiefelder wie Bälle, sogenannte Energiebälle, vorstellen. Das untere Energiefeld ist das größte, das mittlere Feld ist etwas kleiner und das obere, in der Mitte des Kopfes, ist am kleinsten. Wenn man sich die drei Energiezentren wie Luftballons vorstellt, die verbunden sind mit einem Lotrecht, einem goldenen Seidenfaden, lässt sich die gesamte Gestalt des Körpers, von Kopf, Herz und Bauchraum, auf wunderbare Weise ausbalancieren.
„Und je mehr man das übt, desto mehr spürt man das auch im Alltag, in Situationen, in denen man aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das mag sich wenig anfühlen, aber es ist eine Möglichkeit, wieder ins rechte Lot zu gelangen, auch präventiv, sodass auch im Alter muskuläre Dysbalancen verbessert werden können“, meint Isolde Schwarz. „Diese Übung lässt sich auch im Liegen praktizieren, mit der Vorstellung, dass die drei Dantian hier ausgleichend wie Bojen auf dem Wasser schwimmen.“
Was heute wissenschaftlich belegt ist, stellten schon die alten Chinesen und Schamanen fest, dass sich unser Nervensystem beruhigt, wenn wir uns nicht nur berühren lassen, sondern auch unsere eigene Hand auflegen, auf den Bauch, hin zum Herzen oder den Kopf haltend. Unser System schaltet dann vom Flucht- und Kampfmodus in den Fürsorgemodus. Der Botenstoff Serotonin und das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytocin werden ausgeschüttet. Dadurch verlangsamen sich Atmung und Herzfrequenz. Man fühlt sich entspannt, wohl und geborgen.
„Im Achtsamen Selbstmitgefühl nutzen wir dieses Wissen. Wir legen unsere Hand auf eine Stelle auf, wo uns das guttut. Das kann auch eine liebevolle Umarmung sein, ein Wiegen der Unterarme oder die Hände an die Wangen legen, sich selbst halten. Für einen Moment in dieser Ruhe bleiben, die Wärme genießen und die freundlichen Worte, die ich mir selbst sage.“ Dies sei eine einfache und effektive Methode, die man immer und in jeder Situation anwenden kann, berichtet Isolde Schwarz aus eigener Erfahrung und empfiehlt sie gerade den Menschen, die unter verschiedenen Long-Covid-Symptomen leiden, nicht mehr so leistungsfähig sind, wie sie möchten und tagsüber nur wenig Energie zur Verfügung haben. „In der Praxis des Achtsamen Mitgefühls wird die schwache Energie nicht für den Widerstand verbraucht, sondern der momentane Zustand kann eher akzeptiert werden. Alles, was das Achtsame Selbstmitgefühl einübt, ist für jegliche schwierige Lebenslage gut. Man kann sie gut als persönliche Ressource entwickeln.“
Sie bereitet den zweiten Aufguss in ihrem Kännchen vor. Der sei für den guten Geschmack. Die meditative Teestunde am Morgen ist für sie ein wichtiger Start in den Tag.
Sowohl die Herausforderungen durch Long Covid als auch durch die vielen globalen Krisen, die ständigen Nachrichten von Kriegen und Umweltbelastungen sind anstrengend, ebenso die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, mit schwindenden Kräften. Die 69-jährige Lehrerin spürte, wie wichtig dabei Halt und Orientierung sind. „Etwas, das mir hilft, mein Herz immer wieder zu öffnen. Andererseits aber auch zu erkennen, wie viel Informationen kann ich eigentlich aufnehmen und verkraften. In den extremen Lehrstunden, die wir gerade erleben, gilt es zu üben, wirklich aus seiner Mitte und aus der Ruhe heraus zu agieren, ohne dabei abzustumpfen.
Wenn ich geerdet und zentriert bin, dann spüre ich, dass die Erde mich trägt. Das heißt, ich kann darauf vertrauen, dass mein Handeln genügt. Es wäre Größenwahn, zu glauben, wenn ich an den Kriegen verzweifle, verändert sich die Welt. Ich kann die Aggressionen da draußen nicht beenden, aber ich kann den Krieg in mir befrieden und andere Menschen unterstützen, dass sie ihr Gleichgewicht wieder finden. Buddha sprach in einem schönen Gleichnis: ‚Wenn Du selber im Schlamm versinkst, kannst du dann jemand anderen aus dem Schlamm heraus helfen? Also kümmere dich darum, dass du nicht selbst im Schlamm versinkst.‘“ Der feste Boden unter den Füßen gibt Isolde Schwarz Halt, Stabilität, Sicherheit. „Ich fühle mich innerlich vollkommen ruhig, körperlich getragen und innerlich gehalten. Man kann den Untergrund fühlen mit den Füßen im Stehen, mit den Sitzhöckern auf dem Stuhl oder mit dem ganzen Körper auf dem Bett. Das Erden, das sich Besinnen auf die Verbindung mit dem Boden ist sehr hilfreich, wenn man gestresst ist, sich fürchtet oder unwohl fühlt.“
„Hand aufs Herz zu legen und sich für einen Moment zu halten“
Sich selbst mitfühlend annehmen. Achtsam erkennen, wenn es einem gerade nicht gut geht und sich Ruhe geben. „Das ist ein Punkt, über den wir ganz oft einfach hinweggehen. Wir merken, etwas läuft nicht so rund, und zack, folgt schon die nächste Aktion. Wir gestehen es uns ganz selten zu, dass wir es gerade schwer haben. Da kann es helfen, zunächst nur die Hand auf das Herz zu legen und sich für einen Moment zu halten. Ein Seufzen oder Stöhnen befreit die Lunge, das Herz. Möge ich freundlich zu mir sein, weil ich gerade einen Moment des Leidens habe. Und das kann man in Meditation üben. Gehe ich danach in die gewohnten Aktivitäten, bin ich getröstet, anders, als wenn ich über meinen Schmerz so hinweggehe. Und ich kann mich dadurch auch in andere Menschen besser einfühlen. Das gibt Kraft. Ich liege auf dem Sofa, mir geht es nicht gut und doch fühle ich die Verbundenheit, dass es möglicherweise gleich mir, vielen Menschen zur gleichen Zeit schlecht geht. Mögen sie gut durch diese Zeit kommen.“
Isolde Schwarz ist ausgebildete MSC- und Taiji/Qigong-Lehrerin mit 30 Jahren Erfahrung in Berlin und überregional auf Qigong/Meditations-Retreats. Sie möchte Ruhe in die Welt bringen, indem sie weitergibt, was ihr eigenes Herz in herausfordernden Zeiten beruhigt: die Fähigkeit zur Verbindung mit dem Heilsamen in sich selbst. „Indem wir lernen, gut für uns selbst zu sorgen, werden wir zur Quelle des Friedens auch für andere.“