Halifax sollte man nach der Landung nicht gleich wieder verlassen. Nova Scotias Hauptstadt kann die höchste Kneipendichte Kanadas und das spannende Kulturviertel Queen’s Marque vorweisen.
Wer von euch kommt aus Deutschland? Aus den USA? Kanada?“ Auf jede von Marks Fragen schnellen eifrig Hände in die Höhe. Klarer Fall: Die rund 30 Passagiere des „Halifax Harbour Hopper Bus“ kommen aus vielen Ländern. Typisch für Halifax! Gutes Image, gute Lage, gute Erreichbarkeit. Keine andere Großstadt in Nordamerika ist von Europa aus schneller nonstop erreichbar. Und während es in der Vergangenheit Neuankömmlinge oft vom Airport gleich weiterzog, zieht es sie heute zunehmend erstmal in die Stadt, trägt sie doch gewiss ihren Teil dazu bei, dass Nova Scotia von der Backpacker-Bibel „Lonely Planet“ zu einer der Top-30-Destinationen für 2023 gewählt wurde. In dasselbe Horn stößt ein aktuelles Ranking des nicht minder renommierten „Condé Nast Traveler“, der die größte Stadt Atlantic Canadas zu den sieben meistunterschätzten Städten des Landes zählt. Was die alles so zu bieten hat, lässt sich bestens auf einer zweistündigen Tour erfahren.
Das liegt zum einen am Gefährt. „Ein Boot auf Rädern? Ein Bus, der schwimmen kann? Beides!“, lacht Mark. Auf jeden Fall ist das bunte, tonnenschwere Amphibiengefährt mit dem extrabreiten Passagierdeck eine echte Schau. Das gilt auch für Mark, der wie Kollegin Abigail einen Witz nach dem anderen bringt. Lustig ist auch, wie das ungewöhnliche XXL-Fahrzeug die Straßen hügelauf und hügelab herumtuckert und wie Passanten reagieren: lachend, winkend, knipsend. Derweil erzählt Abigail Anekdoten. Von vielen Studierenden und neuen Mikrobrauereien. Und von der landesweit höchsten Anzahl an Pubs pro Einwohner. Oben auf dem Citadel Hill folgt die Geschichte über die Briten, die 1749 die erste und 1856 die viel größere jetzige Zitadelle fertigstellten. Während der Bus um die Anlage zuckelt, staunt das Publikum über die sich bis heute haltende Tradition des fast täglichen Kanonenschusses. The Boom at Noon!
Ein Knaller ist auch der Blick auf den nach Sydney zweitgrößten Naturhafen der Welt. Abigail: „Dort unten am Pier 21, heute Standort des Canadian Museum of Immigration, landeten allein zwischen 1920 und 1970 eine Million Einwanderer an.“ Einige blieben und trugen dazu bei, dass Halifax zum wichtigen Handels- und Finanzzentrum aufstieg. Einige Türme aus Glas und Stahl dokumentieren den Boom. Aber Wolkenkratzer? Fehlanzeige. Überhaupt sieht man der Stadt seine 415.000 Einwohner nicht an. Das kompakte Zentrum wirkt auch dank manch eleganter Architektur aus dem 18. und 19. Jahrhundert charmant. Kleine Geschäfte neben großflächigen Murals, alte Gebäude wie die St. Paul’s Church von 1750 neben modernen wie der Zentralbibliothek aus übereinandergestapelten Glasquadern von 2014.
Alle Topspots lassen sich gut zu Fuß erkunden. Wahlweise per Amphibienbus. Am Hafen mutiert der zum Schiff, Busfahrer Mark zum Kapitän. Oder eher zum Pilot? Statt im Kriechtempo die Rampe hinabzufahren, gibt er Vollgas, bis das Gefährt mit einem Riesen-Splash ins Wasser klatscht und Richtung Georges Island schippert, die kleine National Historic Site in der Mitte der Bucht. Mehr zu sehen gibt es an der Waterfront: Imbissbuden und Ess-Terrassen, dazwischen Angler, Kajakfahrer, nach Dartmouth querende Fähren. Abigail berichtet sogar von gelegentlichen Tauchern und Schwimmern, die über eine breite Treppe einsteigen. Echt jetzt? Naja, sauber jedenfalls ist das Wasser, aber auch frisch. Maximal 14 Grad, im Winter etwas über null. Im Gegensatz zu anderen Häfen an der Küste friert es hier jedoch nie zu.
Ermutigend: Wer sich in die Fluten traut, der kann sich danach aufwärmen, etwa rund um das 18-Meter-Kunstwerk „Tidal Beacon“, das per raffinierter Illumination den Gezeitenstand anzeigt und mit einem zwölfminütigen Lichtspektakel auf die Höhepunkte von Ebbe und Flut reagiert. Oder in den vielen Cafés, Boutiquen und Restaurants im Queen’s Marque, dem neuen Shootingstar. In dem architektonisch sehr ansprechenden Viertel hat Ende 2021 mit dem „Muir“ das erste Fünf-Sterne-Boutiquehotel der Stadt eröffnet. Im Inneren des Hotels ist die Natur Nova Scotias ganz nah, schließlich fluten die großen Fenster die Zimmer mit Küstenlicht. Die maßgefertigten Möbel stammen allesamt aus Kanada – ebenso die karierte Tartan-Wolldecke am Fußende jedes Bettes, die die Farbtöne der Region abbildet und die kulturelle Verbindung zu Schottland aufleben lässt. Hinzu kommen Original-Landschaftsgemälde lokaler Künstler, die in den Zimmern, den öffentlichen Bereichen und der Kunstgalerie „True Colours“ ausgestellt werden. Letztere können „Muir“-Gäste als exklusiven Veranstaltungsraum nutzen.
Das stylische Restaurant „Drift“ steht auch Externen offen. Während diese auf die Gaumenfreuden des Küchenchefs Anthony Walsh warten, werden Signature Cocktails serviert. Wärmstens zu empfehlen: „The Boom at Noon“. Beim Lupfen der Glocke steigen Rauchschwaden empor … Keine Frage: Hier oder in der wie ein Speakeasy versteckten Bar „BKS“ im selben Haus könnte man versacken. Oder in der nicht zuletzt für ihr Pop-Art-Ambiente vielgerühmten „Bar Sofia“ nebenan. Oder oder oder.
Kanadas größtes Schifffahrtsmuseum
Auch ohne Alkoholgenuss geht es beschwingt am Wasser weiter. Wohin genau? Nordwärts zum Spielcasino? Schöner zu laufen ist es in die andere Richtung. Wer bei den Outdoor-Installationen „Sail“, ein sechs Meter hohes Segelschiff-Drahtkonstrukt, und „The Sirens’ Calling“, vier große archaische Marmorfiguren, auf den Geschmack kommt, sollte den kurzen Weg zur Art Gallery of Nova Scotia einschlagen. Über 18.000 historische und zeitgenössische Werke inklusive des Maud Lewis House versprechen Kunst satt.
Am Ende des Waterfront Boardwalk locken, außer montags, der Halifax Seaport Farmers’ Market, Nordamerikas ältester Bauernmarkt, sowie etwas davor das Maritime Museum of the Atlantic. Zu den Highlights von Kanadas größtem Schifffahrtsmuseum zählen das Forschungsschiff „CSS Acadia“ sowie eine „Titanic“-Dauerausstellung. Warum die weltbeste Sammlung von Holzartefakten des Luxusliners, darunter toperhaltene Eichenschnitzereien, hier untergebracht ist? Nach der Eisbergkollision waren es Retter aus Halifax, die dem sinkenden „unsinkbaren Schiff“ zu Hilfe eilten. Es war der nächstgelegene Hafen.
Fünf Jahre später konnte man selbst Hilfe gut gebrauchen, als sich 1917 die weltgrößte Explosion außerhalb eines Krieges ereignete und ein in Brand geratener Munitionsfrachter weite Teile der Stadt zerstörte. Dass nicht noch mehr als 1.946 Todesopfer zu beklagen waren, verdankt es unter anderem dem Beistand aus Boston. Zum Dank spendet Nova Scotia jährlich einen XXL-Weihnachtsbaum. Mit der US-Metropole bestehen auch anderweitig beste (Kreuzfahrt-)Verbindungen. Im Gegensatz zu anderen Städten legen die Pötte, die meisten davon größer als die „Titanic“, in Halifax mitten in der City an, mit Anschluss zur Promenade. Und mit Gleisanschluss, dank benachbartem Bahnhof. Doch statt den seit über 100 Jahren aktiven „Ocean“-Zug nach Montréal besteigen Kreuzfahrer in der Regel bereitstehende Komfortbusse.
Mit denen geht es dann zu den schönsten Spots im 90-Minuten-Radius. Etwa nach Lunenburg, ein ehemals deutsches Städtchen mit Unesco-Welterbe-Status. Oder nach Peggy’s Cove, dessen Leuchtturm eins der bekanntesten Postkarten- respektive Instagram-Motive der gesamten Küste darstellt. Nachvollziehbar angesichts der Granitfelsen, auf denen man herumklettern oder -spazieren kann. Letzteres geht auch im netten Hafen mit seinen Schuppen, Kähnen, Bergen voller Reusen. Apropos frischer Fang: Noch ein Hummerbrötchen vor „Tom’s Lobster Shack“ in der Sonne, dann geht es zurück nach Halifax, diesmal ausschließlich auf der Straße.