Der Hype um den Wasserstoff ist auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Trotz Krisen und Risiken müssen zahlreiche Projekte, darunter die entsprechenden Ausbildungen, gleichzeitig angepackt werden. Noch fehlen finanzielle Grundlagen.
Zwar elektrisiert Wasserstoff nach wie vor die Großregion und erwärmt zunehmend mehr Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Weiterbildung. Aber mittlerweile hat sich die anfängliche Euphorie ein wenig verflüchtigt und der nüchternen Realität Platz gemacht. Eine Förderkulisse, die seitens der EU auf sich warten lässt, unterschiedliche Regelwerke und Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern, mangelnde Praxiserfahrung am konkreten Projekt und fehlende Fachkräfte sorgen immer wieder für zeitliche Verzögerungendabei, den vielen guten Wasserstoffprojekten in der Großregion den entsprechenden Anschub zu geben. Dabei gilt Wasserstoff als Energie- und Hoffnungsträger der Zukunft und könnte der Energiewende so richtig Beine machen.
Wasserstoff-Ära verzögert sich
2023 sollen den vielen Worten endlich Taten folgen und die Wasserstoffwirtschaft in der Großregion durch verstärkte grenzüberschreitende Kooperationen unter anderem auch in der Ausbildung an Fahrt aufnehmen, so das Fazit der Kick-off-Veranstaltung „Von der Kohle zum Wasserstoff“ des Weiterbildungsträgers Tüv Nord Bildung Ende November in Völklingen. Deren Geschäftsführerin Corina Morsdorf sieht vor allem in der Schaffung grenzüberschreitender Netzwerke eine wichtige Voraussetzung, den Wasserstoffbereich voranzubringen. Die Herausforderung bestehe darin, dass trotz vieler Unwägbarkeiten beim Thema Wasserstoff im Prinzip alles gleichzeitig umgesetzt werden muss, sprich die Kunden müssen her, die Erzeuger und Verteiler müssen die Infrastruktur aufbauen und die Mitarbeiter auf die Zukunft vorbereitet werden, und das möglichst schnell. Kreativität, Flexibilität, Kooperationsbereitschaft und vor allem Mut und Schnelligkeit sind dabei gefragte Tugenden, wenn es mit der Klimaneutralität, dem grünen Stahl und der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen etwas werden soll.
Dabei sei Wasserstoff im Saarland schon viele Jahre ein Thema, wie Dr. Bodo Groß vom Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (IZES) betonte. Angefangen bei ersten Versuchen mit Brennstoffzellen im Industrieunternehmen Festo, bei den Stadtwerken Saarbrücken oder SaarEnergie über die geplante Entwicklung des Saarlandes zu einer H2-Modellregion bis hin zu einer Wasserstofftankstelle bei IZES. Auch gibt es praktische Anwendungsbeispiele im industriellen Umfeld, zum Beispiel bei der Firma Bosch in Homburg. Gleiches gilt beim Blick in die Nachbarländer. So setzt das Luxemburger Unternehmen Paul Würth auf groß angelegte Produktion von Wasserstoff mit schwedischem Partner, wo künftig zwei Millionen Tonnen Stahl mit grünem Wasserstoff erzeugt werden sollen. „Wir brauchen mehr Pilotprojekte auf Industrie- und Ausbildungsseite zugleich, um daraus zu lernen“, fordert Prof. Stefan Maas von der Universität Luxemburg. Dabei müssten alle Ebenen vom Ingenieur über den Monteur bis zum Handwerker einbezogen werden und das grenzüberschreitend, denn trotz aller Unterschiede in den Ländern führe an der gemeinsamen Aus- und Weiterbildung beim Thema Wasserstoff kein Weg vorbei.
Im Saarland will sich beispielsweise das IZES an der akademischen Ausbildung für Wasserstoff am europäischen Projekt Hallie beteiligen. Das sieht Cendrine Marchal vom belgischen Weiterbildungsträger Technifuture genauso. „Die Industrie muss ihren Bedarf formulieren, wir brauchen Partnerschaften und praktische Anlagen zum Üben. Dann sind wir in der Lage, entsprechende Fortbildungsmodule anzubieten.“ In Frankreich engagiert sich das Institut Afpa im Bereich der Aus- und Weiterbildung im Wasserstoffbereich. Clément Maury hat dafür eine grenzüberschreitende Initiative für Wasserstoff-Kompetenzen gestartet, mit dem Ziel, die nationalen Strategien, den Bedarf der Wirtschaft und bereits bestehende Schulungsprogramme zusammenzutragen.
Ein erster Kurs könnte im Saarland bereits im zweiten Quartal 2023 starten. Tüv Nord Bildung und die IHK Saarland haben dafür den Zertifikatskurs „Fachkraft für Wasserstoffanwendungen“ für bis zu 20 Teilnehmer pro Kurs konzipiert, ein Basisseminar mit gut 70 Stunden, das im ersten Schritt Grundkenntnisse über Wasserstoff vermittelt und als Grundlage für drei weitere Aufbauseminare dient. Es wäre zunächst ein regionales Projekt, das aber grenzüberschreitend weiterentwickelt werden könnte, betonte Jürgen Tilk von der IHK Saarland. Schon heute seien rund ein Drittel der Ausbilder beim Tüv Nord zweisprachig ausgerichtet, sieht Sascha Wagner gute Chancen für die Umsetzung in der Großregion.
Dass Fachkräfte für Wasserstoffanwendungen notwendig sind und dass die Weiterbildungsinstitute in Vorleistung gehen müssen, ist bei allen Akteuren unumstritten. Daher unterzeichneten die teilnehmenden Unternehmen und Institute auf der Kick-off-Veranstaltung eine Absichtserklärung, im Bereich Wasserstoff grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Weitere Teilnehmer sind willkommen.
Hohe Ambitionen, hohe Kosten
Doch das Großprojekt „Hydro Hub Fenne“ zeigt, wie steinig der Weg zur Wasserstoffwirtschaft in der praktischen Umsetzung noch ist. Bereits seit 2019 verfolgen Siemens Energy und Steag am Kraftwerksstandort Völklingen-Fenne den Bau eines Elektrolyseurs mit 52 Megawatt Leistung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. „Die Infrastruktur am Standort ist ideal geeignet, darf aber aufgrund der Systemrelevanz des dortigen Kohlekraftwerks zumindest bis zum Frühjahr 2024 für das Wasserstoffvorhaben nicht genutzt werden“, bedauert Standortleiter Dr. Christian Neu. Dabei sollte das Kohlekraftwerk schon längst stillgelegt sein, wurde aber aufgrund der Energiekrise aus der Reserve wieder ans Netz gebracht. Die nun für 2027 vorgesehene Inbetriebnahme des geplanten Elektrolyseurs stehe seiner Meinung nach in den Sternen, sollte sich an der für alle Beteiligten unübersichtlichen Gesetzeslage nichts ändern. Bei Nichtnutzung der vorhandenen Infrastruktur würde der Kostenrahmen von circa 120 Millionen Euro steigen. Außerdem müssten die EU-Fördermittel endlich verbindlich zugesagt werden, schon allein aus Gründen der Investitions- und Rechtssicherheit.
Nicht weniger ambitioniert ist das grenzüberschreitende Infrastrukturprojekt „mosaHYc“ (Moselle Sarre HYdrogen Conversion) der beiden Netzbetreiber Creos Deutschland und GRTgaz zum Transport von Wasserstoff. Über ein rund 100 Kilometer langes Netz – davon 70 Kilometer vorhandene Leitungen – soll Wasserstoff zu den Großabnehmern wie Saarstahl fließen. Beide Unternehmen stehen längst in den Startlöchern und könnten richtig loslegen, aber die Bürokratie in Brüssel, Paris und Berlin hemmt auch hier den dringend benötigten Fortschritt.
Noch sind die Kosten für die Produktion von grünem Wasserstoff extrem hoch, allein die Stromkosten machen weit über 50 Prozent aus; auch der Ausbau des Stromübertragungsnetzes in Deutschland für den Transport von regenerativ erzeugtem Strom von Nord nach Süd dümpelt vor sich hin, von den 3.200 benötigten Kilometern wurden seit 2010 nur 700 Kilometer gebaut aufgrund von Bürgerprotesten und langwierigen Genehmigungsverfahren. Noch kennen viele Unternehmen gar nicht ihren künftigen Bedarf an Wasserstofffachleuten, aber eines steht fest und ist unumstritten: Wasserstoff wird den Transformationsprozess in der Wirtschaft beschleunigen und die Menschen müssen darauf vorbereitet werden.