Die Bürgerbewegung Pulse of Europe (PoE) hat schon vor der letzten Europawahl auf sich aufmerksam gemacht. Ein Schwerpunkt liegt für Knut Engler vom PoE-Team Saarbrücken auf der jungen Generation. Schließlich darf diesmal bereits ab 16 gewählt werden.
Herr Engler, zuerst einmal: Wofür steht Pulse of Europe?
Pulse of Europe ist eine europaweite Bürgerbewegung, in Deutschland organisiert als eingetragener Verein mit Sitz in Frankfurt. Bei der Gründung 2016 hatte man damals dieselben Anliegen wie wir heute. Es geht darum, Europa positiv zu positionieren. Europa steht ja häufig im Kreuzfeuer der Kritik: Zu teuer, zu bürokratisch, und Europa diktiert den Ländern und Regionen Entscheidungen und nimmt Autonomie weg, wird gesagt. Außerdem geht in Europa alles zäh, weil es in vielen Bereichen ein faktisches Vetorecht gibt. Wenn nicht alle mitziehen, wird es oft schwierig, Entscheidungen zu finden.
Die Kritik am Einstimmigkeitsprinzip gibt es schon lange, auch und teilweise gerade von überzeugten Europäern.
Diese Bedenken bestehen teilweise ja zu Recht, wir wollen auch nichts beschönigen. Aber wir wollen dem eine andere Grundhaltung entgegensetzen: Man muss sich immer bewusst sein, dass die EU das größte Friedensprojekt ist. Wir hatten noch nie so lange Frieden auf dem Boden der EU. Europa bringt uns viele weitere Vorteile, wirtschaftliche Prosperität durch den großen Binnenmarkt, Freizügigkeit, Rechtsstaatlichkeit, das Erasmusprogramm und dass man überall in Europa studieren kann. Außerdem die Entwicklung von Bürgerrechten. Die Datenschutzgrundverordnung zeigt, dass Europa eine kritische Größe hat, die in der Lage ist, global Maßstäbe zu setzen. Gerade die Datenschutzgrundverordnung wirkt ja weit über die Grenzen der EU hinaus, weil viele Länder sagen: Das haben die Europäer gut gemacht, das ist ein guter Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Nutzung der Daten und Schutz der Privatsphäre der Menschen, dem schließen wir uns an. Oder ganz aktuell das Lieferkettengesetz, das ein großer Beitrag zum Schutz der Menschenrechte global sein soll. Oder der Green Deal zum Klimaschutz. Das sind Dinge, die kein Land allein machen könnte. Das geht nur gemeinsam. Und aktuell beim Thema Ukraine geht es um ganz existenzielle Fragen, nämlich um Krieg und Frieden. Da müssen wir heilfroh sein, dass wir die EU haben. All denen, die das nicht so sehen, muss man sagen: Redet die EU nicht kaputt, macht sie nicht schlecht, sondern macht euch bewusst, welche Vorteile die EU für euch und euer Leben bringt. Und das ist häufig in Bereichen, die wir gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, weil sie – zum Glück – selbstverständlich geworden sind.
Die jüngste Jugendstudie hat nun gezeigt, dass über ein Fünftel der jungen Menschen in Deutschland eine Partei wählen würde, die europaskeptische bis europafeindliche Haltungen vertritt. Was bedeutet das für die Europawahl?
Es gibt auch noch eine weitere Studie, die auf den ersten Blick ein befremdliches Ergebnis zeigt, nämlich dass die Menschen in der Grenzregion auch nicht europafreundlicher sind als die Menschen in anderen Regionen ohne direkte Grenzen. Was man daraus lernen kann, ist: Erst recht mit diesen Menschen reden. Das ist ja auch gerade unsere Zielgruppe. Wir wollen ja nicht die bekehren, die sowieso eher positiv zu Europa stehen, sondern auf die zugehen, die Europa kritisch gegenüberstehen oder indifferent sind, die man aber noch überzeugen kann. Einen eingefleischten AfD-Wähler oder Front-National-Wähler von Europa zu überzeugen, ist, glaube ich, eine Illusion. Wir haben unter den Jugendlichen sehr viele, die sich in der Corona-Zeit aus dem gesellschaftlichen Leben zurück in die Privatsphäre gezogen haben. Die sind eher apolitisch und interessieren sich nicht so sehr dafür, was die eine oder andere Partei erreichen will. Diese Menschen wollen wir aktivieren, zum Nachdenken anregen. Die zentrale Botschaft: Setzt euch mit dem Thema auseinander und vor allem: Geht zur Wahl!
Bei dieser Wahl können in Deutschland erstmals junge Menschen bereits ab 16 an der Europawahl teilnehmen. Verändert das die Wahl?
Wir haben durch die Herabsenkung des Wahlalters sieben Jahrgänge, die erstmals zur Urne gehen. Deswegen ist vor allem wichtig, dass sich die Jugend klar macht: Was für ein Leben möchten wir in Zukunft führen, und welche Weichen müssen wir dafür heute stellen? Wollen wir die Sicherheit haben, dass wir auch in Zukunft in einer Demokratie leben, mit Meinungs- und Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz, mit Freizügigkeit und den vielen anderen Vorteilen, die die EU bietet? Oder wollen wir das alles aufs Spiel setzen und uns dann vielleicht in ein paar Jahren so ärgern, wie sich heute die Mehrheit der Briten ärgert, dass sie aus der EU ausgetreten sind. Wir geben keine Empfehlung für eine Partei, wir fordern dazu auf: Seht euch an, welche Partei eher europafreundlich ist und welche europaskeptisch ist oder die EU tendenziell von innen demontieren will. Und da muss sich jeder selbst überlegen, ob ihm das was nutzt, und was man für sich selbst möchte.
Sie verweisen auf die europäischen Aspekte dieser Wahl. Nun wird aber der Wahlkampf sehr mit innenpolitischen Themen bestritten. Das ist kein neues Phänomen, trotzdem: Wie problematisch ist das?
Das ist ein ganz grundlegendes Problem, das Europa noch hat. Die meisten Bürger orientieren sich zunächst einmal an den nationalen Parteien, weil wir auch nur nationale Wahllisten haben, keine europaweite Listen. Da zeigt sich, dass Europa noch viel Entwicklungsbedarf hat. Wenn wir versuchen, die Menschen für Europa zu begeistern, tun wir das nicht in einer Blauäugigkeit, dass in Europa alles Friede, Freude, Eierkuchen und gut wäre, Wir sagen auch: Es gibt sehr viele Dinge in Europa, die sich strukturell verbessern müssen. Um das zu erreichen, braucht es aber Rückenwind, auch dadurch, dass viele zur Wahl gehen. Das Europäische Parlament ist die einzige Institution, die von Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt wird. Dem könnte mehr Autorität durch eine hohe Wahlbeteiligung verschafft werden und vielleicht auch mehr Kompetenzen, zum Beispiel, dass man das Parlament mit mehr Rechten ausstatten muss, etwa einem Initiativrecht. Das sind erfahrungsgemäß keine Dinge, die von heute auf morgen gehen. Europa hat aber bisher schon einen langen Atem bewiesen, alles in allem ist es eine riesige Success Story, die aber immer weiter entwickelt werden muss.