Die Machtstellung der Frauen auf dem Bissagos-Archipel vor Guinea-Bissau beeindruckte schon die ersten europäischen Seefahrer. Noch heute haben hier auf einigen Inseln nicht die Männer das Sagen.
Kokospalmen, weißer Sand und strohgedeckte Gäste-Bungalows – auf den ersten Blick unterscheidet sich Kéré nur wenig von kleinen Strandhotels, wie man sie rund um Afrika findet. Von dem kleinen Eiland im Atlantik blickt man auf die nahen Nachbarinseln, vor denen Einheimische in traditionellen Langbooten auf Fischfang unterwegs sind – ein vertrauter Anblick fast überall an der nahen Küste Westafrikas. Doch die Inselgruppe, die Kéré umgibt, birgt einige Geheimnisse.
„Wir suchen uns die Männer selbst aus“
„Warum auch sollten die Männer im Leben allein bestimmen?“, fragt Tania Carlos und lacht. „Das ist eine merkwürdige Vorstellung auf unseren Inseln.“ Die 29-Jährige hat sich die langen, pink gefärbten Rastazöpfchen zu einem Knoten hochgebunden. Mit ihrem grellfarbenen Haar und dem kobaltblauen Kleid setzt die Guinea-Bissauerin einen leuchtenden Kontrast zu den sattgrünen Mangrovenbüschen hinter ihr, deren rote Luftwurzeln nach dem Atlantik greifen. Kéré, das Hotelinselchen, auf dem sie arbeitet, ist eine von 88 Inseln des Bissagos-Archipels, die der westafrikanischen Küste zwischen Senegal und Guinea vorgelagert ist. „Hier wie auf der ganzen Inselgruppe sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Sollte es nicht überall auf der Welt so sein?“, fragt Carlos. Auf Kéré ist sie Teil eines gemischten Teams, das sich um die wenigen Touristen kümmert, die auf dem weltabgeschiedenen Archipel stranden.
Der Bissagos-Archipel, eine Gruppe meist flacher Inseln, die hauptsächlich von Savanne, Mangroven- und Palmwäldern bedeckt sind, verwunderte schon die ersten portugiesischen Entdecker, die die Küste Westafrikas bereits im 15. Jahrhundert erkundeten. Sie berichteten von Königinnen, die hier die Macht hatten. „Die Frauen bauen Häuser, bestellen die Felder und erledigen all die Arbeiten, die anderswo Männer übernehmen“, schrieb der kapverdische Seefahrer und Schriftsteller André Álvares de Almada im 16. Jahrhundert.
„Es ist nicht so, dass hier allein die Frauen an der Macht sind“, sagt Carlos, „aber sie sind eben nicht weniger einflussreich als die Männer. Wir suchen uns hier die Männer auch selbst aus. Das ist in Westafrika schon etwas Besonderes.“
Etliche der zahlreichen Völker entlang der Küste zwischen Mauretanien und Nigeria traten bereits vor Jahrhunderten zum Islam über oder passten ihre traditionelle Stammeskultur den Lehren christlicher Missionare an. Einige davon, wie die Serer im Senegal und die Akan in Ghana und der Elfenbeinküste weisen teils heute noch matrilinear geprägte Strukturen auf. Sie haben sich aber über die Jahrhunderte abgeschwächt oder sind inzwischen ganz verschwunden.
Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und ihrer relativen Unabhängigkeit bewahrten sich jedoch einige der 23 bewohnten von insgesamt 88 Bissagos-Inseln, die heute zu Guinea-Bissau gehören, weitgehend eigenständige Stammesgesellschaften. Anders als die meisten anderen Kulturen der Region sind sie noch heute vorwiegend animistisch geprägt.
Verschwindend wenig Urlauber
„Wir haben hier zwar kein wirkliches Matriarchat“, sagt Sónia Marques Durris, „aber die Machtstellung der Frau ist auf den Bissagos-Inseln durchaus bemerkenswert. Sie nehmen sowohl in religiösen Fragen als auch im Alltagsleben führende Rollen ein.“ Die Portugiesin kam als Mitarbeiterin einer Nichtregierungsorganisation (NGO) nach Guinea-Bissau, lebt inzwischen seit mehr als 13 Jahren in Westafrika und erforscht die Kultur des Volks der Bijágos. In den vergangenen zehn Jahren hat sie gemeinsam mit ihrem französischen Mann Laurent auf Kéré eine Lodge aufgebaut. Er hatte bereits 1998 zum ersten Mal die Bissagos-Inseln besucht und sich dort später niedergelassen. Das winzige Eiland im Norden des Archipels wird hauptsächlich von Sportfischern besucht. Fast alle Mitarbeiter der Insel sind Einheimische von den umliegenden Inseln.
Das seit 1973 von Portugal unabhängige Guinea-Bissau ist eines der ärmsten und touristisch am wenigsten erschlossenen Länder der Welt. Der Bissagos-Archipel wird selbst im bei ausländischen Reisenden ohnehin kaum bekannten Westafrika nur von verschwindend wenigen Urlaubern besucht. „Wer durchstrukturierte Ferien nach westlichen Standards sucht, ist hier fehl am Platz“, sagt Marques Durris, „für viele Touristen ist es aber gerade besonders, das Gefühl zu haben, fast als Erste einen Ort zu erkunden.“
Auf einigen der Bissagos-Inseln sehen sich auch heute noch Frauen als Oberhäupter der Familien und verfügen über den Besitz. Einige Inseln werden noch immer von Königinnen, portugiesisch Rainhas, beherrscht, die gleichzeitig Priesterinnen sind. Sie gelten als Hüterinnen der Geister der Ahnen.
Indes belohnt nicht nur ihre einzigartige Kultur, auch eine bemerkenswerte Natur Touristen, die ihren Weg auf die entlegenen Inseln finden. Nur mit dem Boot gelangt man in die verästelten Wasserwege im Orango-Nationalpark. Schillernde Haubenzwergfischer, Nektarvögel und Bienenfresser bringen Farbe in das üppig grüne Labyrinth, das hier eines der größten Mangrovengebiete Westafrikas bildet. Aus den Baumwipfeln spähen Schreiseeadler nach Beute. Palmgeier kreisen über dem Wald. Einzigartig sind die Flusspferde, die hier bisweilen im Salzwasser mit Seekühen und Meeresschildkröten planschen. In der Trockenzeit ziehen sie sich jedoch in verbleibende Tümpel tief im sumpfigen Inselinneren von Orango zurück.
„Der Tanz gehört zur Inselkultur“
Weiter im Norden auf der Insel Caravela haben Einheimische aus dem Dorf Anipoco Sónia Marques Durris und eine Gruppe Touristen zum traditionellen Tanz eingeladen. Das Eiland hat einen breiten, von Dschungel und Ölpalmen gesäumten Strand, auf dem ein paar einsame Kühe herumtrotten. Ansonsten lässt seine Küste kaum erahnen, dass sich in seinem Inneren gleich mehrere Dörfer verbergen. „Noch heute spielt sich das Leben eher abseits des Meeres ab“, sagt Marques Durris. „Vermutlich auf der Flucht vor den muslimischen Beafada kamen sie erst im 12. oder 13. Jahrhundert hierher und gründeten ihre Dörfer abgeschirmt im Wald, wo sie vor Angriffen vom Meer aus geschützter waren.“
Ins Dorf führt ein Waldweg vorbei an verstreuten Cashew- und mächtigen Kapokbäumen. „Cashew-Kerne werden von Guinea-Bissau heute hauptsächlich nach China und Indien ausgeführt. Sie sind das wichtigste Exportgut“, erklärt Marques Durris. „Die Kapokbäume spenden nicht nur Schatten und schützen die Dörfer vor dem Wind, die Insulaner glauben auch, dass sie von Geistern bewohnt werden, die die Gemeinschaften beschützen. Überhaupt gelten hier noch immer etliche Orte und ganze Inseln als geweiht.“
Als der Wald sich langsam lichtet, werden strohgedeckte Lehmhütten sichtbar. Auf dem zentralen Platz hat sich bereits eine Gruppe junger Männer versammelt. An ihre Arme und Beine haben die Tänzer Gras- und Blätterbüschel gebunden. Auf dem Kopf tragen sie Helme mit ausladenden Kuhhörnern. „Auf den Bissagos ist diese Repräsentation von Tieren typisch“, sagt Marques Durris, „der Tanz ist dabei keine Touristenattraktion, sondern Teil des Dorflebens und besonderer Ausdruck der Inselkultur. Sie sind stolz darauf, ganz wie die Portugiesen auf ihren Fado.“
Auf dem Dorfplatz setzt das laute Hämmern der traditionellen Trommeln ein. Mit dem Auftritt der Tänzer wirbelt Staub über die Strohdächer der Hütten ringsum. Eine Gruppe Frauen in bunt gefärbten Baströcken schließt sich den rhythmischen Bewegungen der Männer mit den Kuhhörnern an. Dutzende Kinder verfolgen das Geschehen. Die eben aufgetauchte Touristengruppe betrachten sie neugierig und amüsiert. Jedoch bettelt kein einziges um Geld, wie dies in anderen Teilen Westafrikas sonst häufig ist. Die Ausländer werden hier weit weniger misstrauisch beäugt als auf anderen Stationen ihrer Reise. Auch der König und die Königin von Anipoco sind gekommen. Die Dorfvorsteherin unterscheidet sich in ihrem bunten Kleid nur wenig von den anderen Frauen. Aufmerksam beobachtet sie die Tänzer und Touristen.
„Die Königinnen der Bissagos-Inseln sind gleichzeitig Ansprechpartnerinnen in politischen, gesundheitlichen und spirituellen Fragen“, sagt Marques Durris. Sie werden sowohl von Frauen als auch von Männern um Rat gefragt. Anders als auf Caravela haben auf einigen der Inseln die Herrscherinnen und Priesterinnen keinen männlichen Gegenpart. Einige wie Okinka Pampa, die 1930 im Alter von angeblich über 100 Jahren auf Orango starb, nahmen im Kampf gegen die portugiesischen Kolonisatoren eine wichtige Stellung ein. Gemeinsam mit einem Rat aus zehn Frauen und fünf Männern schaffte sie die Sklaverei ab und baute die Vormachtstellung der Frauen auf Orango noch weiter aus. Es ist wohl auch ein Verdienst ihrer Königinnen, dass die Inseln nie gänzlich fremdbeherrscht wurden.
Königin kämpfte gegen Kolonisatoren
Die Bijágos beteiligten sich im 16. und 17. Jahrhundert rege am Sklavenhandel. Gerieten sie selbst in die Fänge portugiesischer Sklavenjäger, rebellierten sie und überlebten häufig nicht lange. „Sie glauben, dass sie an den Ort, an dem sie sterben, nach ihrem Tod zurückkehren“, schrieb der guinea-bissauische Pater und Schriftsteller Marcelino Marques de Barros 1882, „daher begehen sie Selbstmord, indem sie sich erhängen, so rasch, als habe ihnen der Teufel dabei geholfen.“
Als der Trommelwirbel verstummt, machen sich die Touristen auf den Weg zurück durch den Wald. Unter der verschwitzten Haut hämmert noch lange der pulsierende Herzschlag nach. Ihr Bootsausflug nach Caravela hat sie für ein paar Stunden in eine Welt versetzt, die mit ihrer mystischen Fremdheit jeglicher Zeit entrückt scheint. Ihr Boot legt ab, umringt von planschenden Kindern. Ein Fischadler kreischt. Blauwangenspinte segeln als leuchtende Farbtupfer über dem Uferdickicht. Ein Vogelschwarm zieht durch die tiefstehende Sonne, als die Silhouetten der Inseln langsam am Horizont verschwimmen. Ein rätselhafter Zauber liegt über dem Abschied von den Inseln der Königinnen.