Dieter Hecking und der VfL Bochum – das scheint zu passen. Aus einem hoffnungslosen Fall formte Hecking eine Mannschaft, die tatsächlich noch Chancen auf den Klassenerhalt hat. Wie hat er das geschafft?

Als Dieter Hecking Anfang November das Ruder beim VfL Bochum übernahm, stand der Traditionsverein mit einem einzigen Punkt nach neun Spieltagen am Abgrund. Die Mannschaft wirkte desolat, der Glaube an den Klassenerhalt schwand – selbst eingefleischte Fans sahen das Unvermeidliche auf den Verein zukommen. Der Kader war im Sommer radikal umgebaut worden, nachdem der VfL in der Vorsaison in der Relegation erst in letzter Sekunde den Abstieg vermieden hatte. Doch die Neuzugänge brachten nicht die erhoffte Qualität, und die Saison drohte ein Debakel zu werden. Der Trainer musste gehen, der VfL war eigentlich schon als sicherer Absteiger in diesem Jahr vermerkt. Doch dann kam Dieter Hecking.
Fünf Monate später hat sich das Blatt gewendet. Der VfL ist nicht nur wieder konkurrenzfähig, sondern kämpft mit neuem Selbstbewusstsein und einer beeindruckenden Mentalität um den Verbleib in der Bundesliga. Hecking, ein erfahrener Fußballlehrer mit klarem Blick für Strukturen und Mentalität, brachte die wohl wichtigste Eigenschaft mit, die in dieser schwierigen Phase benötigt wurde: Ruhe. Während der Club nach einer 2:7-Klatsche bei Eintracht Frankfurt im freien Fall schien, stellte der 60-Jährige sachlich fest: „Die Lage war vermeintlich hoffnungslos, nun wird der Klassenerhalt wieder realistischer.“ Er sprach in seiner ersten Pressekonferenz sogar vom Gewinnen – etwas, was der VfL zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr kannte. Gewinnen musste diese Mannschaft erst wieder lernen.
„Der Weg ist noch nicht zu Ende“
Der Umschwung kam nicht über Nacht. Hecking krempelte das Team nicht um, sondern setzte auf Stabilität, Härte und Zusammenhalt. „Dass wir keinen Champagner-Fußball sehen würden, war doch klar“, erklärte er, aber genau das war auch nie gefragt. Bochum war immer ein Malocher-Club, und diese Identität wurde unter dem neuen Coach neu belebt. Kein Bundesliga-Team führte in dieser Saison mehr Zweikämpfe und beging mehr Fouls als der VfL – Kampfgeist ist zum Markenzeichen geworden. Die Bilanz spricht für sich: Seit Heckings Amtsübernahme holte Bochum Punkte wie eine solide Mittelfeldmannschaft – zuvor war es in neun Partien nur einer gewesen. In der „Hecking-Tabelle“ (seit dem zehnten Spieltag) würde Bochum auf Platz 13 stehen. Besonders eindrucksvoll war das spektakuläre 3:3 gegen RB Leipzig, als Myron Boadu innerhalb von 13 Minuten einen Hattrick erzielte – der erste eines Bochumer Spielers seit 38 Jahren.
Ein Erfolg, der auch Heckings Führungsstil unterstreicht. Zuvor hatte er Boadu öffentlich für dessen Trainingsleistungen kritisiert und ihn gegen St. Pauli über 90 Minuten auf der Bank gelassen. „Der Coach ist ein ehrlicher Kerl“, sagte Boadu später. „Ich wollte es ihm ein bisschen zeigen.“ Hecking stellte klar, dass es dabei nie um die Motivation des Spielers ging, sondern er einfach nur klarmachen wollte: „Wenn mich ein Spieler nervt, dann nervt er mich. Aber wenn er dann so eine Antwort gibt, dann nehme ich das natürlich gerne an.“ Gerade solche Entwicklungen zeigen, wie sehr der Coach seine Spieler emotional erreicht.

Auch die Abwehrarbeit hat sich merklich verbessert. Während der VfL in der Hinrunde noch regelmäßig hohe Niederlagen kassierte, steht die Defensive nun stabiler. Das zeigt sich nicht nur an der geringeren Anzahl der Gegentore, sondern auch an der besseren Organisation auf dem Platz. Hecking hat den Spielern das Vertrauen gegeben, ihre eigenen Fehler zu korrigieren, anstatt sie für individuelle Patzer zu bestrafen. Dies hat zu einem gestärkten Mannschaftsgeist geführt, der sich auf dem Spielfeld bemerkbar macht. Zudem: Der VfL versucht sich nicht nur über lange Bälle, sondern will auch spielerisch überzeugen.
Aber noch läuft nicht alles nach Plan. Zwar gab es zuletzt einige gute Resultate, doch die überflüssige 0:1-Niederlage zu Hause gegen die TSG Hoffenheim war ein herber Rückschlag. Doch mit denen kann man umgehen. „Wir sind voll konkurrenzfähig“, betonte Torhüter Timo Horn, der nach seinem Wechsel zur neuen Nummer eins avancierte. „Man hatte uns schon für tot erklärt, aber wir sind wieder voll da.“
Diesen Optimismus teilt auch der Trainer, mahnt aber gleichzeitig zur Vorsicht: „Der Weg ist noch nicht zu Ende. Wir müssen ihn weiter so konsequent gehen, dann kann es etwas werden. Aber wir dürfen keinen Deut nachlassen, weil es dann nichts werden wird.“ Ein entscheidender Faktor in der Bochumer Renaissance sind auch die Winterneuzugänge. Tom Krauß und Georgios Masouras haben der Mannschaft zusätzliche Qualität verliehen. Masouras, von Olympiakos Piräus ausgeliehen, erzielte in drei Bundesliga-Einsätzen bereits zwei Tore. Mit ihm auf dem Feld ist Bochum noch ungeschlagen. Auch Timo Horn lobte die Entwicklung: „Die Neuzugänge tun uns unheimlich gut, so sind wir deutlich besser.“
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg war die Neustrukturierung des Mittelfelds. Tom Krauß bringt Stabilität in die Zentrale, während Takuma Asano über die Flügel für Tempo sorgt. Auch Philipp Hofmann hat sich im Sturmzentrum als wichtiger Faktor etabliert. Die Balance zwischen Defensive und Offensive ist deutlich besser als noch in der Hinrunde, als Bochum oft zu passiv agierte und sich leicht aus dem Konzept bringen ließ.
Noch ist nichts entschieden, doch die Situation sieht deutlich besser aus als noch vor wenigen Monaten. „Wir können noch mal richtig angreifen und ein klares Zeichen an die Liga senden. Aber wir müssen dranbleiben, dürfen nicht lockerlassen“, sagt Horn kämpferisch. Dennoch bleibt der Weg steinig: Es warten schwere Spiele gegen den FC Bayern, Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen und den VfB Stuttgart. Gerade in diesen Partien wird sich zeigen, ob Bochum dem Druck standhalten kann. „Wir haben als Gruppe das Gefühl, es kann gelingen. Aber das wird Minimum bis zum 17. Mai gehen“, prognostiziert Hecking. Dann trifft der VfL am letzten Spieltag erneut auf den FC St. Pauli – diesmal auswärts. Ein echtes Endspiel? Gut möglich. Immerhin hat man durch den Erfolg gegen Union Berlin am „Grünen Tisch“ drei zusätzliche Punkte und steht trotz der Niederlage gegen Hoffenheim auf dem Relegationsplatz. Mit dem könnten sie derzeit wohl alle gut leben.
Vergleich mit dem Hamburger SV

Die Spieler des VfL haben mittlerweile verinnerlicht, was es bedeutet, um den Klassenerhalt zu kämpfen. Die defensive Stabilität hat sich verbessert, und die Mannschaft agiert deutlich einsatzfreudiger als noch in der Hinrunde. Das sieht auch der Trainer so: „Wir schenken Vertrauen, im Moment ist das eine tolle Begeisterung in der Truppe. Sie ärgern sich, wenn sie Punkte liegen lassen – das ist immer ein gutes Zeichen.“
Mit Hecking an der Seitenlinie hat sich der VfL von einem scheinbar sicheren Absteiger zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt entwickelt. Sollte der VfL Bochum diesen am Ende wirklich schaffen, hätte Hecking sich wohl unsterblich gemacht. Sein taktisches Geschick, seine unerschütterliche Ruhe und seine Fähigkeit, die Spieler zu Höchstleistungen zu motivieren, sind das Fundament dieser beeindruckenden Wende.
Ein Vergleich mit dem Hamburger SV drängt sich auf: Der einstige Bundesliga-Dino konnte sich 2013/14 und in der Folgesaison zweimal durch die Relegation retten und verschob den Abstieg bis 2018. Gelingt Bochum ein ähnlicher Coup? Hecking jedenfalls hat bewiesen, dass er Mannschaften stabilisieren kann.
Es bleibt abzuwarten, ob der Club ihn langfristig halten kann. Gelingt der Klassenerhalt, wird es schwer, an Hecking vorbeizukommen. Doch bis dahin gilt es, weiterzukämpfen. Malochen, rackern – und die Bundesliga halten. „Ich sehe jetzt nur den Klassenerhalt, dafür bin ich gekommen, aber ich weiß auch, dass ich mit meiner Entscheidung nicht bis Ende Mai warten kann. Ich habe gesagt: Wenn wir den Klassenerhalt schaffen, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit beim VfL bleiben. Ich sehe eine realistische Chance, die Relegation zu erreichen“, sagte er zuletzt.