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WAS MACHT EIGENTLICH...

1994: Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und seine Herausforderin im Landtagswahlkampf, Bayerns SPD-Chefin Renate Schmidt
Foto: picture alliance / Michael Jung

Renate Schmidt?

Sie gehörte für die SPD 18 Jahre dem deutschen Bundestag an, war zeitweise dessen Vizepräsidentin und ab 2002 Bundesfamilienministerin. Die heute 80-jährige „Erfinderin“ des Elterngeldes gründete den parteiübergreifenden Demokratie-Pakt „Zammrüggn“.

Im September des Vorjahres gründete Renate Schmidt nach einer Podiumsdiskussion in Nürnberg mit vier weiteren Teilnehmern spontan den Demokratie-Pakt „Zammrüggn“ (Zusammenrücken). Die Sozialdemokratin konnte die an der Diskussion beteiligten ehemaligen Politiker von SPD, CSU, Grünen und FDP in spätabendlichen Gesprächen dazu bewegen, sich parteiübergreifend für die Stärkung der Demokratie zu engagieren. „Einmal an einer Podiumsdiskussion mit Renate Schmidt teilgenommen und anschließend zehn Jahre beschäftigt“, scherzte die Grünen-Politikerin Brigitte Wellhöfer über das breite Betätigungsfeld für „Zammrüggn“, das mit den Wahlergebnissen in den östlichen Bundesländern nicht gerade kleiner geworden ist. 

Was anfangs wie eine nächtliche Laune ehemaliger Politiker aussah, hat sich seitdem rasant entwickelt: 115 Organisationen haben sich nach Schmidts Vorstoß innerhalb nur eines Jahres unter einem Dach zusammengeschlossen, um gemeinsam für den Erhalt der Demokratie zu kämpfen. „Trotz Geh-, Hör- und sonstiger Gebrechen“, so die Ex-Bundes-Familienministerin, werde sie nicht aufhören, für die Demokratie zu werben. Diese müsse wie ein Garten gepflegt werden, damit sie nicht verwildert. Bis zum Jahresende will „Zammrüggn“ mindestens 100.000 Unterschriften sammeln: „Für Gemeinsinn, gegen Extremisten von rechts oder links“. 

Immer noch streitbar

Renate Schmidt gründete den parteiübergreifenden Demokratie-Pakt „Zammrüggn“.
Renate Schmidt gründete den parteiübergreifenden Demokratie-Pakt „Zammrüggn“ - Foto: picture alliance/dpa

Die vielfach für ihr politisches und humanitäres Engagement ausgezeichnete Renate Schmidt lebt heute mit ihrem zweiten Mann, dem Sozialwissenschaftler und Maler Hasso von Hennings, in Nürnberg, wo sie 2014 die Ehrenbürgerwürde erhielt. Weil sie inzwischen auf Gehhilfen oder Rollator angewiesen ist, hat sie sich von vielen öffentlichen Tätigkeiten zurückgezogen, denn sie möchte sich körperlich nicht mehr überanstrengen und auch Platz für Jüngere machen. Trotzdem bleibt sie streitbar und mischt sich öfters auch in die aktuelle politische Debatte ein. So etwa kürzlich beim Erlanger Poetenfest, wo sie mit einigen „Hochkarätern“ über das Thema „Freiheit in Gefahr“ diskutierte, nicht ohne für eine ausschließende Unterschrift für ihren „Zammrüggn“-Pakt zu werben. 

Seit Schmidt sich 2009 aus dem Bundestag zurückgezogen hat, ist sie parteipolitisch nicht mehr aktiv und macht auch keinen Wahlkampf mehr für ihre SPD. Mit der „Ampel“ ist sie alles andere als rundum zufrieden, wenngleich sie die Schwierigkeiten anerkennt, dass drei sehr unterschiedliche Parteien zusammenarbeiten müssen: „Ich bin manchmal schon froh, dass ich heute nicht regieren muss“, gestand sie vor ein paar Monaten der „Bild“. Manche gute Idee der Ampel sei nicht besonders gut vorbereitet worden, etwa die Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus oder Robert Habecks „blödes“ Heizungsgesetz. Kanzler Scholz’ Bedachtsamkeit bei Waffenlieferungen an die Ukraine zollt Schmidt Respekt, weil so die Bevölkerung geschützt und Putins Reaktionspotenzial mitbedacht werde. Ihrer Meinung nach macht auch Verteidigungsminister Pistorius einen guten Job, obwohl sie seinen Begriff „Kriegstüchtigkeit“ lieber durch „Verteidigungsfähigkeit“ ersetzten würde. Finanzminister Lindner findet sie zu „parteipolitisch“ und zu beharrlich bei eigenen Positionen. Annalena Baerbock trage „an manchen Stellen die Monstranz einer moralischen Außenpolitik zu hoch“. Den derzeit hohen Zuspruch für AfD und BSW führt Schmidt darauf zurück, „dass sich zu viele Menschen nicht wirklich wahrgenommen und nicht richtig angesprochen fühlen“.

„Stimmrecht für junge Leute“

Immer noch hält sie an ihrer Forderung nach einem „Wahlrecht von Geburt an“ fest, was sie bereits 2013 in ihrem Buch „Lasst unsere Kinder wählen“ propagiert hatte. Sie könne nicht einsehen, dass 14-Jährige, die sich für den Erhalt der Umwelt einsetzten, nicht wählen dürfen, während demente Alte im Seniorenheim ihr Stimmrecht behalten, obwohl ihre Entscheidungen vor allem die Jüngeren betreffen. Die heutigen Politiker müssten auch viel mehr die sozialen Medien einbeziehen, um junge Menschen zu erreichen, da diese klassische Medien immer weniger nutzen und sich meist über TikTok informieren: „Und da sind bedauerlicherweise nicht diejenigen unterwegs, die die Demokratie hochhalten, sondern jene, die sie abschaffen wollen“, kritisierte Schmidt kürzlich in der Münchner „Abendzeitung“. Die AfD sei hier viel aktiver und habe ihre Bundestagsbüros fast wie TV-Studios ausgestattet, um dort „Filmchen zu drehen, mit denen sie Leute ködern wollen“.

Um die Akzeptanz der Politik zu steigern, fordert Schmidt von allen demokratischen Parteien eine optimistische Zukunftserzählung. „Wir müssen den Menschen klarmachen, dass die Herausforderungen, die wir im Moment erleben – angefangen bei den entsetzlichen Kriegen in der Ukraine, in Israel und Gaza bis hin zum Klimawandel – bewältigbar sind und dass es auch vor dem Hintergrund dieser Probleme eine Möglichkeit guten Lebens gibt“, sieht die fünffache Groß- und zweifache Urgroßmutter noch Chancen bei der Zurückgewinnung enttäuschter Wähler. 

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