Die Ampel operiert an der deutschen Rente – mit welchem Erfolg, wird sich zeigen. Geplant sind Entlastungen – eine Entscheidung, die die Arbeitgeberseite fassungslos zurücklässt. Trotzdem könnte der Beitragssatz steigen.
Das Wachstumschancengesetz ist beschlossen. Die milliardenschweren Steuersubventionen und der Bürokratieabbau sollen insbesondere der schwächelnden deutschen Wirtschaft auf die Beine helfen. Für Arbeitnehmer und Ruheständler stecken aber auch einige Entlastungen drin. Die Vereinigte Lohnsteuerhilfe (VLH) macht unter anderem auf zwei wichtige Punkte aufmerksam: Zum einen steigt der Besteuerungsanteil bei Renten langsamer. Wie viel Prozent seiner Rente ein Ruheständler versteuern muss, hängt maßgeblich davon ab, in welchem Jahr er in Rente geht. Der zu versteuernde Anteil der Rente steigt bislang Jahr für Jahr – allerdings mit Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes langsamer als ursprünglich geplant. Statt in Ein-Prozent-Schritten geht es ab 2023 nur noch in 0,5-Prozent-Schritten nach oben. Ruheständler, die 2023 in Rente gegangen sind, versteuern darum statt 83 Prozent nur 82,5 Prozent ihrer Rente. 2024 steigt der Besteuerungsanteil auf 83 Prozent. Komplett zu versteuern sind Renten durch die Änderung erst ab dem Renteneintrittsjahr 2058. Ursprünglich sollte das schon ab dem Renteneintritt im Jahr 2040 der Fall sein.
Besteuerungsanteil steigt langsamer
Zum anderen sinkt der Altersentlastungsbetrag weniger schnell. Von einem solchen Betrag profitieren alle Ruheständler, die mindestens 64 Jahre alt sind und neben ihrer Rente weitere Einkünfte – zum Beispiel Kapitalerträge, Mieteinnahmen oder Arbeitslohn – haben, automatisch. Durch den Entlastungsbetrag bleibt ein gewisser Teil der zusätzlichen Einnahmen von der Steuer befreit. Dank der Neuerung sinkt der Altersentlastungsbetrag ab 2023 mit jedem Jahr fortgeschrittenen Renteneintritts nur noch um 0,4 statt 0,8 Prozentpunkte ab. 2023 liegt er bei 14 Prozent, höchstens aber 665 Euro, 2024 bei 13,6 Prozent und maximal 646 Euro.
Die Arbeitgeberseite ist angesichts dieser Entwicklung konsterniert. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger übte gar fundamentale Kritik am Rentenpaket II der Regierung. Er sei „fassungslos, dass der Bundesarbeitsminister jetzt noch einmal massiv die Rentenausgaben erhöhen will, obwohl wir vor dem größten Alterungsschub stehen, den es jemals in Deutschland gegeben hat“, sagte Dulger der „Bild am Sonntag“. „Das Rentenpaket II sollte umgehend gestoppt werden. Es ist unfair und ungerecht, in den nächsten 20 Jahren 500 Milliarden Euro mehr für die Rente auszugeben.“ Angesichts der nun in Rente gehenden geburtenstarken Jahrgänge kommen deutliche Verschiebungen auf die Rente zu: Weniger Beitragszahler müssten dann mehr Ruheständler unterstützen, folglich müsste der Bundeszuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung steigen. Dieser betrug 2022 laut Bundesstatistik von Destatis 81 Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) zeigte sich entsetzt über die Äußerung von Dulger. „Das zeigt, wie weit der Arbeitgeberpräsident von der Lebenswirklichkeit der Mehrheit aller 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner entfernt ist“, erklärte der Verband. Mit solchen Aussagen werde die in der Umfrage deutlich gewordene Verunsicherung der Menschen noch befeuert. Die deutschen Sozialverbände fordern immer wieder eine höhere Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung von Beamten, Selbstständigen und Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung, um die Rentenfinanzen zu stabilisieren. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte, damit halte sie eine Finanzierung eines Rentenniveaus von 53 Prozent für möglich.
Die Deutsche Rentenversicherung jedoch sieht derzeit keinen Grund für Sorge bei den Rentenfinanzen. „Aktuell ist die Rentenversicherung finanziell sehr gut aufgestellt“, so Präsidentin Gundula Roßbach in der „Bild am Sonntag“. Um den Menschen weiterhin eine verlässliche Rente bieten zu können, werde der Beitragssatz und auch der Zuschuss des Bundes zur Rentenversicherung in den nächsten Jahren jedoch ansteigen müssen. Derzeit beträgt der Satz 18,6 Prozent des Bruttolohns, der Wert ist stabil seit 2018.
Die Bundesregierung will nun das Rentenniveau weiter stabilisieren und den erwarteten Anstieg der Rentenbeiträge abbremsen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten ein Reformpaket präsentiert, um das Rentenniveau von 48 Prozent dauerhaft zu sichern. Das Rentenniveau sagt aus, wie viel Prozent des aktuellen Durchschnittslohns jemand als Rente erhält, der exakt 45 Jahre lang immer zum Durchschnittslohn gearbeitet hat. Mit der Gründung eines milliardenschweren Kapitalstocks auf dem Aktienmarkt will die Regierung der Rentenversicherung eine neue Finanzierungsquelle erschließen. Verwalten soll den Fonds der „Kenfo“, der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung. Er sollte ursprünglich nur die Kosten für die Entsorgung radioaktiven Abfalls mit Anlagen am Kapitalmarkt finanziell abfedern – und das offenbar mit einer guten Rendite. Der Vorteil: Dieser Staatsfonds hat bereits Jahre an Erfahrung gesammelt, sodass das Generationenkapital dort sofort angelegt werden könnte. Bis 2035 soll ein Kapitalstock von 200 Milliarden Euro aufgebaut werden, finanziert über Schulden des Bundes.
Generationenkapital statt Beitragszahler
Der Kapitalstock hat allerdings wenig mit der Aktienrente zu tun, für die die FDP im Wahlkampf 2021 geworben hatte, denn Beitragsgelder sind nun dafür nicht vorgesehen. Damals wollte die FDP, dass zwei Prozent des Einkommens in eine kapitalgedeckte Vorsorge gesteckt werden – das „schwedische Modell“ gewissermaßen. Die Freidemokraten bekräftigten nun ihre Forderung, beim Rentenpaket nachzubessern, und warben erneut für das schwedische Vorbild einer Aktienrente mit individuellen Konten und Beiträgen sowie einem flexiblen Renteneintritt. Das soll das Rentensystem finanzierbarer halten und dafür sorgen, dass das Rentenniveau langfristig gar wieder steigt.
Dass die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben Jahre zu spät dran sein könnte, mahnen Experten schon länger an. Jetzt, wo die Babyboomer in Rente gehen, also weniger Leute Beiträge zahlen, müsste das Kapital längst vorhanden sein. Der Einwand ist berechtigt, der Ausblick allerdings weniger düster angesichts der Beschäftigtenzahlen des Statistischen Bundesamtes. Diese zeigen, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist – von 27,8 Millionen im Jahr 2020 auf 34,7 Millionen im Jahr 2023. Maßgeblich dafür verantwortlich: der Anteil ausländischer Beschäftigter, der im gleichen Zeitraum von 1,9 Millionen auf 5,3 Millionen stieg. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln prognostiziert bis 2026 einen jährlichen Anstieg um etwa 540.000 Beschäftigte. Laut dem Demografieportal des Bundes und der Länder aber steigt die Zahl der Rentner noch stärker. Schon jetzt kommen auf einen Rentner nur noch zwei Beitragszahler – genau hier soll das Generationenkapital ansetzen und das ausfallende Geld der Beitragszahler gewissermaßen ersetzen. Wohin sich der Arbeitsmarkt entwickelt, ist jedoch unklar. Der Fachkräftemangel aber zeigt, dass trotz steigender Beschäftigtenzahl es schon alleine für die Betriebe zu wenige Fachkräfte gibt, geschweige denn für stabile Rentenbeiträge. Ob der Fonds des Bundes dies ausgleichen kann, wird sich erst in einigen Jahren zeigen – dann, wenn er endlich das Volumen erreicht hat, um die Beiträge effektiv stabil zu halten.