Für viele Läufer sind Marathonrennen in New York, Boston, Chicago oder London die Endstation Sehnsucht. Das völlige Gegenteil zu den Spektakeln mit Tausenden von Teilnehmern ist am 14. Juni wieder der Spitzbergen-Marathon mit gerade einmal höchstens rund 100 Teilnehmern – mitten in der Arktis.

Der Tag vergeht und vergeht doch nicht. Im Juni scheint die Sonne 24 Stunden am Tag. Eine tiefdunkle Nacht – durch die Mitternachtssonne schlicht Fehlanzeige. Die Rede ist von Spitzbergen. Auf der Hauptinsel der von Norwegen verwalteten, aber staatenlosen Inselgruppe Svalbard in der Arktis findet seit 1995 jedes Jahr im Juni der nördlichste Straßenmarathon der Welt statt – am 14. Juni steht die nächste Auflage auf dem Programm.
Eine taugliche Laufstrecke in Spitzbergens kleinem Hauptort Longyearbyen zu finden, ist nicht leicht. Das Städtchen rühmt sich zwar mit seinem extrem beanspruchenden Laufevent, doch sein 40 Kilometer umfassendes Straßennetz ist für die 42,195 Kilometer lange Strecke schlicht nicht groß genug. Deshalb haben die Organisatoren nur noch 1200 Kilometer vom Nordpol entfernt in der Hocharktis einen Kurs für zwei Runden ausgetüftelt: Eine Umrundung entspricht genau einem Halbmarathon, der auch dieses Jahr wieder ausgetragen wird. Jeder Läufer, der das Ziel erreicht, kann ohne Übertreibung tatsächlich von sich sagen, jede Straße des Eilands zu kennen.
Eher geringes Interesse
Die Insel besteht größtenteils aus arktischer Steppe und ist deshalb recht karg. Fjorde und schneebedeckte Berge bieten einem aber ein schönes Winterpanorama. Eine weitere Besonderheit ist der „arktischer Tag“ genannte Zeitraum von mehreren Wochen mit durchaus wärmendem Sonnschein und Tageslicht wortwörtlich rund um die Uhr. Dennoch können zugleich starker Wind und niedrige Temperaturen etwas über dem Gefrierpunkt beim Rennen für widrige Umstände sorgen. Ein realistischer Extremfall indes ist bisher noch nicht eingetreten: ein Angriff von Eisbären auf die ungebetenen Besuchergruppen von Läufern aus aller Welt im natürlichen Lebensraum der Tiere. Viele Schilder entlang der Straßen warnen davor und zur Verhinderung solcher Attacken eskortieren bewaffnete Jeep- und Fahrradfahrer alljährlich das Rennen und halten Ausschau nach potenziellen Bedrohungen für die Teilnehmer des Rennens durch Eisbären.

Generell hält sich in Longyearbyen das öffentliche Interesse am Marathon, an dem keine sonst oft üblichen Tempomacher teilnehmen, trotz seiner Einzigartigkeit in Grenzen. Nur wenige Zuschauer stehen bei den Marathon- und Halbmarathon-Rennen sowie dem gleichzeitigen 10-Kilometer-Lauf am Straßenrand, manchmal verirrt sich außerdem auch das ein oder andere Rentier in die Nähe der Strecke.
Der erste Kilometer ist steil, doch dann geht es leicht bergab. Der Weg führt zunächst in einer Schleife um die Turnhalle des Ortes herum, ehe sich vor den Läufern der Sarkophagen erhebt – ein mächtiger und schneebedeckter Berg, der seinen Namen seiner charakteristischen Form verdankt. Am Berghang ragen etwa zwei Dutzend weiße Kreuze windschief aus dem grauen Geröllfeld – der alte Friedhof von Long-yearbyen. Mittlerweile darf niemand mehr auf Spitzbergen begraben werden.
Vergangene Bergbau-Ära
Im weiteren Verlauf der Strecke entlang des Fjords zum Wendepunkt am Flughafen sind hohe Holzmasten einer alten Grubenseilbahn zu erkennen, oben am Hang auch der Eingang zu einer stillgelegten Kohlenmine – und überall erinnern viele andere Relikte an die längst vergangene Bergbau-Ära der Insel. Der Schlussabschnitt in Richtung Longyearbyen ist ein teilweise steil ansteigender Schotterweg, er führt vom alten Kohlehafen und letztlich parallel zum Wasser in Richtung Ort zurück.

Die Ausstattung der Läufer unterscheidet sich in der unwirtlichen Umgebung praktisch nicht von Winterlaufkleidung in gemäßigteren Klimazonen. Ohne Sonnenstrahlen und durch stärkere Winde können Wetterumschwünge die Marathonis dennoch rasch frösteln lassen. Den Siegern winken trotz aller Bemühungen nicht mehr als symbolische Preise: die Anerkennung durch die anderen Läufer und die Steigerung des Selbstbewusstseins. In Ermangelung von Prämien sind bisher noch keine Topstars der Läuferszene auf Spitzbergen angetreten, das Starterfeld besteht stets ausschließlich aus Hobby- und ambitionierten Amateursportlern. Entsprechend liegen die Siegerzeiten in Longyearbyen durchschnittlich rund eine Stunde unter den regelmäßigen Bestmarken und Rekorden der Weltklasse-Läufer.
Der Spitzbergen-Marathon ist wohl allerdings nur die Extremveranstaltung unter mehreren bemerkenswerten Marathon-Veranstaltungen. In Deutschland ragen dabei der Inselmarathon im Steinhuder Meer in der Region Hannover mit 120 Runden auf einer Fläche von nur 100x100 Metern um die Festung Wilhelmstein sowie der Darmstädter Knastmarathon mit 24 Runden von Häftlingen und Besuchern auf dem Hofe der JVA Darmstadt heraus.
Die Aussicht auf Bestzeiten besteht jedes Jahr beim Zeittunnel-Marathon in Barfelde. Das Rennen in der Nähe von Hildesheim findet in der Nacht des Wechsels von Winter- auf Sommerzeit statt, beginnt noch vor der Umstellung und endet erst in der Sommerzeit.

Unabhängig von allen Wetterkapriolen ist der Merkerser Kristall-Marathon: In Eisenach laufen die Teilnehmer 500 Meter unter der Erde. Im Erlebnisbergwerk Eisenach gehören Helm und Stirnlampe mit zur Läuferausrüstung. 13 Runden unter Tage mit insgesamt 750 Höhenmetern müssen die Aktiven vor der Rückkehr ans Tageslicht absolvieren. International sorgen alljährlich mehrere Marathon-Läufe für Aufsehen. In der Wüste von Nevada findet der Full Moon Midnight Marathon aufgrund der Tageshitze in der Nacht statt – viele Läufer tragen dabei sinnvollerweise Stirnlampen. Beim „Great Wall“-Marathon auf der chinesischen Mauer sorgt das Flair des Neuzeit-Weltwunders für ein unvergessliches Erlebnis.
Die Strecke des Istanbul Marathons ist der einzige Kurs weltweit, der über zwei Kontinente führt. Gelaufen wird sowohl auf der europäischen als auch der asiatischen Seite des Bosporus – vorbei an Basaren, Moscheen und der alten Stadtmauer.