Regisseur Pedro Almodóvar hat mit Tilda Swinton und Julianne Moore für „The Room Next Door“ zwei Ikonen engagiert. Ihrer sensiblen und abgeklärten Performance ist es zu verdanken, dass der Film über den Freitod nicht in Kitsch und Sentimentalität abgleitet.
Ingrid (Julianne Moore) hat Angst vor dem Tod. Die gefeierte Autorin hat darüber sogar einen Bestseller geschrieben. Martha (Tilda Swinton), eine ehemalige Kriegskorrespondentin, hat Gebärmutterkrebs im Endstadium. Bei einer Signierstunde in einem New Yorker Buchladen erfährt Ingrid zufällig, dass ihre frühere Freundin im Krankenhaus liegt. Mit der Zeit hatten sich die beiden aus den Augen verloren. Vor vielen Jahren waren sie einmal Kolleginnen bei einem New Yorker Kult-Magazin und hatten sich damals auch den Lover Damian (John Turturro) geteilt. Ingrid besucht Martha im Krankenhaus. Und sofort ist da wieder diese Vertrautheit, dieses Verständnis füreinander. Ingrid beschließt, sich um Martha zu kümmern und ihr bei ihrer schweren Krankheit beizustehen. Noch hat sie keine Ahnung, was da auf sie zukommen wird.
Offener Umgang mit sehr heiklem Thema
Bei einem Besuch in Marthas luxuriösem Penthouse wird Ingrid mit einer schockierenden Nachricht konfrontiert: Martha hat sich im Darknet eine Pille besorgt, mit der sie ihrem Leben ein Ende setzen will. Und sie fragt Ingrid, ob sie sie solange begleiten will, bis sie die Sterbe-Pille genommen hat. Ingrid fällt aus allen Wolken, stimmt aber – trotz ihrer ungeheuren Angst vor dem Tod – schließlich zu. Gemeinsam fahren die beiden in eine Villa nahe Woodstock, zwei Autostunden von Manhattan entfernt. Dort will Martha selbstbestimmt ihren Tod herbeiführen.
Sie bezieht ein großes Schlafzimmer. Und Ingrid „the room next door“. Es wird abgemacht, dass die Tür zum Schlafzimmer immer auf bleibt. Sollte die Tür einmal zu sein, ist das das Zeichen, dass Martha die Pille genommen hat.
Pedro Almodóvar findet für dieses luxuriöse Sterbeszenario exzellent komponierte Momentaufnahmen, die wie Tableaus des großen amerikanischen Malers Edward Hopper aussehen. Wirkungsmächtige Bilder in starken Farben, wie nur Almodóvar sie auf der Kinoleinwand zum Leuchten bringen kann. Es ist ein kleines Wunder, dass sich die beiden Schauspielerinnen in diesem mondänen, hochgestylten Ambiente so natürlich bewegen. Das liegt auch daran, dass Martha mit ihrer Erkrankung sehr offen und direkt umgeht. Sie nimmt sie an – ohne zu verschleiern, wie schmerzhaft es ist. Und noch ist Zeit, um auf Spaziergängen und in langen Gesprächen die Vergangenheit Revue passieren zu lassen. So erfährt Ingrid auch, dass Martha den Kontakt zu ihrer Tochter so gut wie verloren hat. Während Martha am liebsten zu Hause bleibt, erkundet Ingrid die Gegend. Sie besucht ein Fitness-Studio und trifft sich sogar heimlich mit Damian, der in einem nahegelegenen College eine Vorlesung über die fatalen Folgen des Klimawandels hält. Wieder zurück, schauen sich die beiden Freundinnen am Abend, eng umschlungen auf dem Sofa, alte Filme im Fernsehen an. Doch Martha wird immer kraftloser und auch gleichgültiger gegenüber den Dingen des Lebens. Auch von Literatur und Musik will sie nichts mehr wissen. Ihr ist klar: Die Erlösung kann nur noch der Tod bringen. Und dann ist eines Tages die Tür zu Marthas Schlafzimmer zu …
Philosophisch und schroff zugleich
Die oft herbeigeredete Chemie zwischen Schauspielern ist ja meist nur eine Promotion-Mär. In diesem Fall trifft sie aber zu. Man spürt, wie sehr Tilda Swinton und Julianne Moore miteinander im Einklang sind. Wie sie aufeinander eingehen und sich gegenseitig beflügeln. Und Julianne Moore war ganz besonders glücklich, als ihr Almodóvar mitteilte, Tilda Swinton habe bereits für „The Room Next Door“ zugesagt. Swinton spielt die Rolle der eleganten Sterbenden mit einer Mischung aus philosophischer Abgeklärtheit und schroffer Emotion. Während Moore, als ihre Begleiterin, sich als sensible Zuhörerin erweist, die auch ohne ein einziges Wort zu sagen viel Empathie und Zärtlichkeit ausstrahlt.
„The Room Next Door“ (seit 24. Oktober im Kino), nach dem Roman „Was fehlt dir“ von Sigrid Nunez, ist Pedro Almodóvars 23. Kinofilm. Es ist offensichtlich, dass sich der 75-Jährige immer mehr mit der Vergänglichkeit des Lebens und der Sterblichkeit auseinandersetzt. Feierten seine Komödien aus den späten 80er-Jahren noch die hedonistische Lebens- und Liebeslust in den schrillsten Farben und bizarrsten Verwicklungen („Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“), reifte er mit der Zeit zu einem Regisseur, der immer öfter einen melancholisch-tragischen Ton anschlug („Leid und Herrlichkeit“). Almodóvar schließt so den Kreis zu seiner ganz persönlichen Sicht auf die Conditio humana. Und dann gelingen ihm ab und zu magische Momente: Martha schaut in ihrem New Yorker Apartment aus dem Fenster und sieht, wie rosa Schneeflocken sanft zur Erde fallen. Mit einem Lächeln auf den Lippen sagt sie: „Es musste doch auch etwas Gutes beim Klimawandel herauskommen. Und ich habe so lange gelebt, um das zu sehen.“