Vom 17. Dezember bis zum 12. Januar holt die Revue „Berlin Berlin“ die 20er-Jahre zurück in den Admiralspalast.
Die Party ist vorbei. Seit rund 90 Jahren. Vergessen ist sie nicht. Schließlich hat sie gut ein Jahrzehnt gedauert. Sie leben als Mythos weiter: die „Goldenen Zwanziger“. Wobei es nicht für alle Menschen, die damals in Berlin lebten, wirklich golden war. Die Jahre zwischen den beiden großen Kriegen, schreibt der amerikanische Autor Otto Friedrich in seinem 1972 in New York veröffentlichten Buch „Morgen ist Weltuntergang“, „brachten auch Inflation, Streiks und Aufruhr, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise und Straßenschlachten zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten“. Aber da war eben auch „eine Geisteshaltung, die von einem Gefühl für Freiheit und weltstädtischer Lebensart geprägt war“, wie Friedrich schreibt.
Das wilde und verruchte Berliner Nachtleben
„Weil dieses Berlin nach einer Blütezeit von weniger als 15 Jahren so restlos zerstört wurde, ist es zu einem Mythos geworden, zu einem verlorenen Paradies“, erklärt der amerikanische Autor. Dieser Mythos wird ab dem 17. Dezember an einem Ort gefeiert, der in den Goldenen Zwanzigern schon ein wichtiger Ort des Geschehens war: im Admiralspalast. Dort lädt bis zum 12. Januar die Revue „Berlin Berlin“ zum Tanz auf dem Vulkan ein.
Die ATG Touring, die die Revue veranstaltet, belebt den Mythos, wie wir ihn auch aus der „Babylon Berlin“-Serie kennen: eine pulsierende Welt-Metropole, eine Stadt, die niemals schläft. „Dabei ist Berlin voller Gegensätze: Glamour, Luxus und überbordende Lebensgier auf der einen Seite, Arbeitslosigkeit, Unterernährung und enge Mietskasernen auf der anderen Seite. Aus dem überschaubaren Ort des 19. Jahrhunderts wurde in rasendem Tempo die drittgrößte Stadt der Welt mit 3,9 Millionen Einwohnern. Und genau die wollen sich nun amüsieren“, beschreiben die Theatermacher das Szenario.
Nach dem Elend des Ersten Weltkrieges lockt das wilde und verruchte Berliner Nachtleben mit über 40 Theatern und 170 Varietés – darunter die großen Unterhaltungstempel wie der Admiralspalast, in dem Revue-König Haller residiert, das Haus Vaterland mit über 8.000 Sitzplätzen oder das Varietétheater Wintergarten. Während hier die großen Stars wie die Comedian Harmonists, Marlene Dietrich oder Josephine Baker auf der Bühne ihre Party feiern, amüsieren sich die Berlinerinnen und Berliner und die, die deswegen aus der Provinz angereist sind, in edlen Bars, Spelunken, Ballsälen, Cafés und mehr oder weniger üblen Nachtlokalen. „Im Berliner Nachtleben kann jeder nach seiner Fasson selig werden, egal welchen Geschlechts und egal welcher sexueller Orientierung. Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele Schwulen- und Lesbenlokale wie in Berlin. Die Möglichkeiten der Zerstreuung und Unterhaltung im Berlin der 20er-Jahre sind schier unendlich“, erklären die Revue-Veranstalter – und laden ein: „Willkommen in der spannendsten Stadt der Welt!“
Die „Roaring Twenties“ sind das wohl aufregendste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, fand auch der Amerikaner Otto Friedrich. Mode, Musik, Unterhaltung, Kunst, Kultur, technischer Fortschritt, gesellschaftliche Entwicklung. Die Menschen kommen nach Berlin, weil hier eine ungeahnte neue Freiheit verheißungsvoll alles verspricht. „Tollkühne Männer rasten mit mehr als 150 Sachen über die neue Avus. Damen in Abendkleidern begaben sich von der Theatervorstellung direkt ins Pandämonium der Sechstagerennen. Nirgends in Europa ging es so hemmungslos zu wie in den Nachtclubs von Berlin“, schreibt er in seinem Buch.
Die Revue-Leute beschreiben es ähnlich: „Tagsüber saust man mit dem neuen Automobil über die Berliner Avus, telefoniert sich zu abendlichen Verabredungen zusammen, lauscht den ersten Rundfunksendungen oder legt die neueste Schellackplatte auf das Grammophon.“ In Clubs, Nachtbars und Cabarets kann man zu Jazz, Swing und Charleston die Nächte durchmachen. Der Jazz schwappt aus den USA nach Europa: 1926 wird ein erstes Musical von Duke Ellington im Berliner Admiralspalast aufgeführt.
Lange bevor Berlin zur Techno-Metropole wurde, stimulierte sich die Party-Gemeinde mit Alkohol und anderen Drogen. Absinth war das Modegetränk der 20er-Jahre. „Revuegirls und Skandal-Tänzerinnen lassen ihre Hüllen fallen. Im Sog der Großstadt wird alles möglich: In der Liebe wird die Freiheit neu gedacht und Beziehungen über alle Geschlechtergrenzen weg offen gelebt. Travestielokale wie das Berliner El Dorado werden zu Hotspots der Nacht. Die Mode wird zum Ausdruck ihrer neu gelebten Freiheit: Bubikopf, knielange Kleider und auch mal Hosen sind bei den Damen angesagt. Männer sieht man in Anzügen oder in sportlich-legeren Kniebundhosen mit Hosenträgern auf den belebten Straßen flanieren – natürlich nie ohne Kappe oder Hut!“, beschreibt das Revue-Team die Zeit, die es auf die Bühne bringt.
Der Tanz auf dem Vulkan endete abrupt
Die Weltwirtschaftskrise und die Machtübernahme durch die Nazis beendeten die große Party. Auch die großen Zeiten des Admiralspalasts waren erst mal vorbei. Für ihn als Ort für „BerlinBerlin“ hat sich ATG Touring bewusst entschieden, denn: „Er war Badetempel, Eislaufparadies, Lichtspielhaus und vor allem die Heimat schillernder Revuen. Der Admiralspalast hatte viele Gesichter und strahlte in den 20er-Jahren als einer der großen Berliner Revuepaläste in die wilde Nacht hinein. Ab 1923 residierte der Revueadmiral Hermann Haller mit seinen schillernden Ausstattungsrevuen im Palast an der Friedrichstraße. Extravagante Dekorationen, große technische Umbauten, viel nackte Haut und langbeinige Tanzensembles wie die furiosen Tiller Girls lockten die Massen in das prunkvolle Haus. In seinen Foyers, Bars und Cafés tanzten Touristen, Intellektuelle, Angestellte, Ladenmädchen und Straßenjungs – schlicht die ganze Welt – als ob es kein Morgen gäbe.“
Nach dem Krieg wurde das Haus als Ausweichspielstätte der Staatsoper und als staatliche Bühne genutzt. Nach der Wende wiedereröffnet, knüpft der Admiralspalast seit 2011 an seine glorreichen Zeiten an. In der „Berlin Berlin“-Revue wird nun an die ganz großen Zeiten angeknüpft: „Stilikone Marlene Dietrich und die Femme fatale Anita Berber rasseln gehörig aneinander, die Skandaltänzerin Josephine Baker versetzt mit ihren ekstatischen Bewegungen Männer wie Frauen in helle Aufregung. Die Comedian Harmonists, erste Boyband der Republik, erinnern sich an ihren steinigen Weg zum Erfolg“, kündigen die Veranstalter an. Revuegirls tanzen, und das Orchester spielt die großen Nummern von „Bei mir bist du schön“, „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Puttin’ on the Ritz“ bis „Mackie Messer“.
Und auch das versprechen die Revue-Macher: „Der Tanz auf dem Vulkan endet abrupt. Der Mythos aber lebt weiter!“