Nicusor Dan hat verhindert, dass sich das strategisch wichtige Land Russland zuwendet. Dennoch: Fast jeder zweite Rumäne war bei der Präsidentenwahl bereit, die Macht in Bukarest einem rechtsextremen Kreml-Kandidaten zu übergeben.
Nachdem monatelang das Schreckgespenst eines beinharten Rechtsextremisten als Präsident von Rumänien umging, hat sich die Mehrheit des Ukraine-Nachbarlandes doch für einen Gemäßigten entschieden. Mit über 50 Prozent übernimmt der Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan das einflussreiche Amt.
Der als Favorit gehandelte Ultranationalist sowie Trump- und Putin-Bewunderer George Simion hatte das Nachsehen – somit bleibt Rumänien auf Westkurs. Dan folgt auf den glücklos abgetretenen Klaus Iohannis, einen deutschorientierten Siebenbürger. Der galt als selbstherrlich und volksfern.
Vertrauen in Politik ist erschüttert
Der knappe Sieg des charismatisch kaum nennenswerten Dan kann den Frust von Millionen Rumänen über die politische Führung nicht überdecken. Korruption, gebrochene Wahlversprechen und Postengeschacher haben das Vertrauen in die Demokratie erschüttert – das seit 1989 mühsam erkämpft worden war. Damals hatten Offiziere den gelernten Schuhmacher und späteren kommunistischen Despoten Nicolae Ceaușescu erschossen.
Ein Vierteljahrhundert später speist sich die Enttäuschung in Rumänien aus Missachtung, Stillstand und Machtmissbrauch der Politiker und Parteien. Der „Justizabbau“ der 2010er-Jahre empört bis heute. Versprochene Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen stocken. Immer wieder stehen Staatsdiener und Gewählte wegen Bereicherung oder Vetternwirtschaft vor Gericht.
Vor diesem Hintergrund empfinden viele die demokratischen Strukturen und ihre Führungsfiguren als korrupt und realitätsfern. Dazu kommt: Nicht wenige spüren nichts von den Segnungen des EU-Beitritts – vor allem auf dem Land. Während Bukarest boomt, ist die Infrastruktur in weiter entfernten Regionen trotz Milliardenhilfen marode. Städte wachsen, doch in ländlichen Gegenden herrschen teils prekäre Verhältnisse. Rentner, Kinder und Minderheiten profitieren kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung seit dem Beitritt zur EU im Jahre 2007, deren Vorgaben nur halbherzig umgesetzt werden. Bei solchen Zuständen ist es kein Wunder, dass das Vertrauen in Brüssel ebenso leidet wie der Optimismus über die Perspektive im eigenen Land. Laut Initiative „Junge Wähler“ glauben 68 Prozent der 18- bis 35-Jährigen, Rumänien entwickle sich in die falsche Richtung. „Wir sind eine im Verschwinden begriffene Nation“, beklagte Marian Hanganu, Geschäftsführer der Personalvermittlungsfirma Colorful, schon vor einiger Zeit.

Hunderttausende junge Menschen sind bereits ausgewandert – das ist klassischer Brain-Drain. Mehr als 3,5 Millionen Rumänen leben inzwischen im Ausland, viele gut ausgebildet. Darunter sind Ärzte. In Rumänien schlecht bezahlt, suchen sie einen auskömmlichen Lebensunterhalt. Sie fehlen in Dörfern, wo ein Arzt erst in der weit entfernten Stadt zu finden ist.
Man findet ausgewanderte Rumänen in westeuropäischen Zielen wie Italien, Spanien, Deutschland. Dort kommen sie meist gut zurecht, aber zuhause fehlen sie eben. Familien werden zerrissen, während die Bindung an die Heimat schwindet. Die rumänische Politik hat es bis heute nicht vermocht, mit echten Taten gegenzusteuern. Instabilität, Skandale und über 15 Regierungswechsel seit 1989 lähmen das Vertrauen in die Parteien. Die meisten Volksvertreter gelten als abgehoben und taub für die Sorgen der Menschen.
So wuchs der Nährboden für rechtsextreme Kräfte. Bei der Parlamentswahl im Dezember 2024 verdoppelte die Nationalistenpartei AUR ihren Stimmenanteil auf 18 Prozent. Die regierenden Sozialdemokraten (PSD) fielen auf 23 Prozent. Höhepunkt des rechten Aufwinds: Der pro-russische Rechtsextreme Călin Georgescu gewann im Dezember 2024 den ersten Wahlgang zur Präsidentschaft – ein Unbekannter, der mit viel Geld fast nur online auf der chinesischen Videoplattform Tiktok warb. Die Finanzierung seiner Kampagne mit einfachen Slogans und großen Versprechungen kam nach Ermittlungen der rumänischen Behörden aus dem Ausland. Das oberste Gericht annullierte die Wahl denn auch wegen „hybrider russischer Einflussnahme“.
Diese Wiederholung stärkte George Simion als Ersatzkandidat Georgescus. Dieser stilisierte sich als selbsternannter „Rächer der Enterbten“. Simion wetterte gegen Bukarest und Brüssel, träumte von einem Groß-Rumänien mit Moldau und Teilen der Ukraine. Er liebäugelte sogar mit Wiedereinführung der Monarchie, die 1947 gewaltsam beendet wurde.
„Unverzichtbarer Verbündeter“
Dass Simion beinahe Präsident wurde, ist ein Warnsignal für Rumänien, Europa und die Nato. Denn der Präsident bestimmt Außen- und Sicherheitspolitik, beruft die Regierung und kann Volksabstimmungen initiieren. Simion hätte Rumänien von EU und Nato lösen wollen. Mit der Wahl Dans ist Europa nur knapp einer politischen Katastrophe entgangen. Und das in einer sensiblen Region. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine dient das Schwarzmeer- und Karpatenland als Transitkorridor für militärische Hilfe. Mit US-Truppen und der Nato-Basis Mihail Kogălniceanu entsteht südlich von Constanța der größte Nato-Stützpunkt Europas – fast doppelt so groß wie Ramstein.
„Rumänien ist ein unverzichtbarer Verbündeter“, sagte der einstige Nato-Chef Jens Stoltenberg. Doch ausgerechnet hier war fast jeder zweite Wähler bereit, eine kremlfreundliche Präsidentschaft zu riskieren. Das ist ein Warnsignal an die rumänische Elite und an Europa: Der politische Frust in Rumänien ist existenziell. Also gibt es viel zu tun für den künftigen Präsidenten Nicușor Dan – aber das dürfte sich der einstige Mathematik-Professor wohl selbst ausgerechnet haben.