Inflation, schwächelnde Währung, hohe Rüstungsausgaben, zu wenige Fachkräfte: Russlands Wirtschaft überhitzt. Zahlreiche Indikatoren weisen darauf hin, dass ein weiteres Kriegsjahr das Land an seine ökonomischen Grenzen bringt.
Drei Jahre Krieg in der Ukraine, das sind gleichermaßen drei Jahre Sanktionen, die Russlands Kriegskosten in die Höhe treiben sollen. Immer wieder werden die Sanktionen nachgeschärft. Von außen betrachtet bleibt es jedoch schwierig, zu entscheiden, ob die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen fruchten. Klar ist: Die russische Wirtschaft erweist sich wegen einer klugen Geldpolitik der Zentralbank als robuster als angenommen, auch im dritten Jahr. Zwar wird ein deutliches Wachstum von über drei Prozent ausgewiesen – der Grund dafür ist jedoch keineswegs eine florierende Wirtschaft, sondern eine heißlaufende Kriegsproduktion. Der Eroberungskrieg gegen die Ukraine schafft auch in Russland keine dauerhaften Werte, sondern verschlingt immer mehr des russischen Haushaltes: Umgerechnet 145 Milliarden Dollar sind für das Haushaltsjahr dafür laut offiziellen russischen Quellen eingeplant. Das Defizit, der Unterschied zwischen Staatsausgaben und -einnahmen, liegt bei 34 Milliarden Dollar. Der Gesamthaushalt beläuft sich auf 436 Milliarden, 33 Prozent davon fließen also in den Krieg. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung Russlands sind dies zwischen sechs und sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zur Erinnerung: Die USA fordern von europäischen Nato-Partnern die Einhaltung des Zwei-Prozent-Zieles, 24 von ihnen haben im aktuellen Jahr das Ziel erreicht oder übertroffen. Spitzenreiter ist Polen mit 4,12 Prozent des BIP.
Fehlende Arbeitskräfte, hohe Preise
Die russische Wirtschaft schneidet sich mit dieser gigantischen Geldvernichtungsmaschine, die auch gleichzeitig die immer stärker steigenden Prämien für immer weniger Kriegsfreiwillige stemmen muss, ins eigene Fleisch. Der Rubel sinkt seit Wochen im Vergleich zum Dollar deutlich, selbst zum so wichtigen chinesischen Yuan hat die Währung 65 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Chinesische Importe werden damit teurer. Die russische Zentralbank hatte bereits die Zinsen in diesem Jahr in einer Hauruck-Aktion auf 21 Prozent angehoben, eine weitere Zinserhöhung angesichts des drohenden Währungsverfalls ist nicht ausgeschlossen. Die Folge: Kleinere Unternehmen können sich angesichts der Zinsen kaum noch Kredite leisten. Auf Dauer schwächt dies die Wirtschaft massiv, treibt sie in eine Rezession.
Schon jetzt sprechen russische Zeitungen angesichts der steigenden Preise bei schwacher Wirtschaftsleistung und einer gleichzeitig sinkenden Zahl von Arbeitnehmern, um die Betriebe, Militärapparat und die Rüstungsindustrie buhlen, von einer Stagflation. Im „militärisch-industriellen Komplex fehlen 400.000 Fachkräfte“, zitiert die russische Tageszeitung Moskowski Komsomolez einen Parlamentsabgeordneten. Das Wirtschaftsforschungsinstitut der finnischen Zentralbank, Bofit, spricht von Rekordbeschäftigung in Russland. Die Arbeitslosenquote liegt bei 2,4 Prozent. Soldaten und Angestellte in Rüstungsbetrieben verdienen mittlerweile, staatlich alimentiert, exorbitante Summen, die übrigen Wirtschaftszweige können da nicht mithalten. Im Mai 2024 betrug der durchschnittliche Monatslohn laut dem Institut 86.384 Rubel (etwa 920 Euro), ein Anstieg von 18 Prozent gegenüber Mai 2023. Der durchschnittliche reale Monatslohn (also unter Berücksichtigung der Verbraucherpreisinflation) stieg im Mai im Vergleich zum Vorjahr um fast neun Prozent. Andere Löhne werden gleichzeitig entwertet, die Inflationsrate liegt laut Zentralbankprognose bei acht Prozent, die Lebenshaltungskosten steigen teils dramatisch. Die Webseite „pricing.day“ sammelt die Preisanstiege russischer Nahrungsmittel, die im Jahresverlauf teurer wurden. Dazu gehörten Obst und Gemüse, Milchprodukte, Fleisch und Geflügel sowie Getreide. Im Durchschnitt ist der Preis dafür von September 2023 bis September 2024 um 14,4 Prozent gestiegen. Zu den Produkten mit den größten Preissteigerungen gehörten Kartoffeln, Kohl, Lammfleisch, Gurken und Eier, deren Preis im Jahresverlauf um 29 bis 49 Prozent anstieg.
Die Aussichten sind für die Zentralbank keinesfalls rosig: Mit hohen Zinsen, hoher Inflation und einer Wirtschaft, die im kommenden Jahr mangels Arbeitskräften allenfalls noch um ein Prozent wächst, sinken die Aussichten der Gegenfinanzierung eines kostspieligen Krieges weiter. Chinesische Banken stellen den Zahlungsverkehr mit russischen Banken ein, aus Sorge vor Sanktionen des Westens. Mit jeder Menge gesperrter Vermögenswerte im Ausland und dem Abkoppeln Russlands vom Rest des internationalen Finanzmarktes bleiben dem Kreml wenige Möglichkeiten, seine Haushaltslöcher zu stopfen. Einer davon: der Nationale Wohlstandsfonds. Er füllte sich in Zeiten vor dem Krieg durch gut laufende Ölgeschäfte, um die russischen Renten zu stabilisieren und um bei niedrigen Ölpreisen für schlechte Zeiten vorzusorgen. Jetzt werden daraus auch die Folgen des Krieges finanziert. Übrig sind nun nur noch etwa 55 Milliarden Dollar von einstmals 117 Milliarden Dollar an liquiden Mitteln im Jahr 2021, so der schwedische Wirtschaftswissenschaftler und Osteuropa-Experte Anders Åslund. Zusätzliches Geld entnimmt Russland unter anderem auch seinen vielfältigen Staatsbetrieben. Nachhaltig ist diese Ausgabenpolitik nicht – und abhängig von besseren Bedingungen im Jahr 2025, von einem stabilen Ölpreis bei über 70 Dollar pro Barrel, einer weiter möglichst ungehindert agierenden Schattenflotte an Öltankern, niedrigerer Inflation, stabilen und nicht weiter steigenden Militärausgaben.
Finanzielle Fassade beginnt zu bröckeln
Danach sieht es aber nicht aus, glaubt man Prognosen, die den Ölpreis eher bei 55 Dollar sehen, und Sanktionen des Westens, die zunehmend die Tankerflottille Russlands und mehr russische Großbanken ins Visier nehmen. Die Inflation bleibt hoch, sofern die Zentralbank nicht mit noch höheren Zinssätzen gegensteuert, und auch die Militärausgaben erhöhen sich 2025 erneut. Dem Kreml bleiben nur schlechte Optionen. Höhere Steuern würden das zu hohe Geldaufkommen verringern, aber gleichzeitig könnte dies den Unmut der Bevölkerung, die bislang folgsam stillhält, hervorrufen. Dennoch steigen nun die Körperschaftssteuern für Unternehmen, es wird leichte Einkommenssteuererhöhungen und höhere Umsatzsteuern geben. Frisches Geld für dringend notwendige Investitionsanreize würde die Balance des russischen Haushaltes weiter destabilisieren. Dennoch weist der vorläufige Haushaltsplan für die kommenden Jahre laut dem Bofit-Institut deutliche Mehrausgaben aus. Staatliche Ausgabenkürzungen kommen wahrscheinlich nicht in Betracht, da dies den sozialen Frieden im Land gefährden könnte. Die russische Zentralbank hat als direkte Maßnahme gegen den Wertverfall des Rubels mittlerweile den Kauf fremder Währungen komplett eingestellt. Finanziellen Spielraum für den Kreml gibt es also noch immer.
Russlands Tage der Kriegswirtschaft sind endlich, die Maßnahmen der Zentralbank haben das Siechtum der russischen Wirtschaft erfolgreich verzögert. Bis jetzt. Ein schneller Diktatfrieden in der Ukraine, der alle eroberten Regionen inklusive ihrer Bodenschätze unter russischer Herrschaft belässt, ein Ende der Sanktionen und eine folgende schnelle Wiederaufrüstung käme dem Putin-Regime gerade recht, jetzt, da die mühsam aufrechterhaltene Fassade wirtschaftlicher Normalität zu bröckeln beginnt. Damit sind aber die wirtschaftlichen Probleme nicht behoben. Der heimische Aktienmarkt liegt am Boden, die Schulden der heimischen Wirtschaft wachsen erheblich, es drohen mehr Insolvenzen. Angesichts einer völlig auf Kriegsgerät ausgerichteten, finanziell auf Kante genähten Wirtschaft, Hunderttausenden Kriegsheimkehrern, deren Lebenshaltung daheim immer teurer wird, wären selbst die ökonomischen Folgen eines schnellen Friedens für Russland riskant.