Das Bundesland will beim Strukturwandel Pilotregion werden. Das Ziel: ein nachhaltiger, CO2-neutraler Wirtschaftsstandort. Der Kanzler hat Unterstützung zugesagt.
Große Bühne für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Saarländischen Landesvertretung in Berlin Anfang September. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist mit ihren sechs Landesministern zur Kabinettssitzung in der Bundeshauptstadt angereist. Einen Termin mit Olaf Scholz zu bekommen ist nicht ganz einfach, aber offensichtlich ist ihm die außerordentliche Förderung von klimaneutralen Wirtschaftsprojekten in Deutschlands kleinstem Flächenland so wichtig, dass er nicht nur nachmittags zur Sitzung kommt, sondern am Abend auch noch für eine Stunde beim Spätsommerfest vorbeischaut. Nicht nur für Ministerpräsidentin Rehlinger keine Selbstverständlichkeit. Doch dahinter dürfte auch ein klein wenig politisches Kalkül des Kanzlers stecken. Er braucht in den kommenden Wochen die Länder für sein drittes und möglicherweise auch noch für ein viertes Entlastungspaket. Das jetzt beschlossene dritte Entlastungspaket soll immerhin zur Hälfte, also mit 33 Milliarden, durch die Länder mitfinanziert werden, da braucht er im Bundesrat jede Stimme.
Drittes oder viertes Entlastungspaket?
Für das Saarland geht es um eine große Transformation. Das Land ist wegen seiner Wirtschaftsstruktur stärker betroffen als jedes andere Bundesland. Ministerpräsidentin und Kanzler sind bemüht, zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Projekte oder gar Zahlen zu nennen. Vor allem geht es um Fördergelder der einzelnen Bundesministerien für einen erneuten massiven Strukturwandel. „Oberstes Ziel der Landesregierung ist es, bestehende Arbeitsplätze durch den Strukturwandel möglichst zu erhalten und zugleich neue zu schaffen. Wir im Saarland sind früher und härter davon betroffen als andere. Das bedeutet: Gelingt Strukturwandel im Saarland, sind wir ein Beispiel für andere Regionen. Das geht nicht ohne Berlin. Der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben klare Unterstützung signalisiert, das ist gut für das Saarland", bringt es die Ministerpräsidentin im FORUM-Gespräch auf den Punkt. Olaf Scholz ist grundsätzlich davon überzeugt: „Unser Auftrag ist, die Modernisierung unseres Landes, die Sicherung der Arbeitsplätze, die Sicherung der Zukunft jetzt mit noch größerem Tempo aufzugreifen. Themen, die zu den Modernisierungsperspektiven des Saarlandes dazu gehören, von denen ich weiß, dass hier daran gearbeitet wird. Da haken wir uns unter, und das Motto lautet: Jetzt erst recht, jetzt mit noch mehr Tempo", so der Bundeskanzler.
Konkretes ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu erfahren, aber es wird deutlich, dass hinter den Auftritten und Aussagen mehr als Floskeln bei einem Sommerfest stehen, sondern dass offenbar hinter den Kulissen intensiv gesprochen wird.
Dreh- und Angelpunkt ist natürlich die Energieversorgung, um die noch bestehenden Industriestandorte wirtschaftlich erhalten zu können. Alles dreht sich um Wasserstoff. Doch um grünen Wasserstoff selbst klimaneutral herstellen zu können, dazu ist das Saarland zu klein. Will man aber grünen Stahl produzieren, dann braucht man den Wasserstoff.
Den will, so der jüngste Vorstoß, die Bahn transportieren. Doch deren Gleis-Infrastruktur ist bereits jetzt am Limit. Zusätzliche Schienenstränge durchs Land zu ziehen, dürfte ein Unterfangen sein, das nicht nur vermutlich mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen, sondern auch Milliarden kosten würde. Darum, so die Strategie, sollen Forschungsprojekte für Künstliche Intelligenz (KI) oder Cybersicherheit gefördert werden. Doch damit wird man keine industriellen Arbeitsplätze an der Saar erhalten können.
Innovation und Finanzierung der Transformation, also der grundlegenden Umgestaltung, sind das eine, die Umsetzung das andere. Stichwort Fachkräfte: Die sind auch im Südwesten der Republik Mangelware. Mit diesem Problem steht das Saarland nicht allein. Gerade in den ostdeutschen Regionen hat das schon größere Industrieprojekte zu Fall gebracht. Die Chip-Fabrik bei Frankfurt/Oder ist eines davon. Das brandenburgische Vorzeigeprojekt Gigafactory von Tesla in Grünheide bei Berlin hat ebenfalls Probleme, seine geplanten Expansionspläne umzusetzen. Zwar wurde das brandenburgische Bau- oder Umweltrecht zugunsten des E-Auto-Bauers umgedeutet, doch ohne Fachkräfte funktioniert so ein Werk nun mal nicht. Eine ähnliche Situation könnte auch im Saarland eintreten.
Ministerpräsidentin Rehlinger ist dagegen zuversichtlich, sie hofft bei einer ähnlichen Zukunftsansiedlung auf einen Sogeffekt. Steht so eine Fabrik erst einmal, dann wird diese auch Fachkräfte anziehen, so die Erwartung. Rehlinger verweist auf die Erfahrungen im Saarland, das ja immer irgendwie im Umbruch ist. „Das Saarland ist immer im Strukturwandel. Das Leben geht weiter und wir haben das hinbekommen. Genau aus diesem Grund müssen wir vor dieser nun anstehenden Transformation auch keine Angst haben." Man dürfe nicht vergessen, dass es das Land in der Vergangenheit immer trotz klammer Kassen geschafft habe, bei wirtschaftlichen Umbrüchen mitzuspielen. „Darum glaube ich jetzt auch, dass sich diese Mentalität bei den Zukunftsaufgaben durchsetzen wird."
Finanzierung des Strukturwandels
Was das Geld angeht, steht dem Saarland vor der Finanzierung des Strukturwandels nun erst einmal die Finanzierung des dritten Entlastungspakets ins Haus. Gefragt ist da im Land vor allem Finanzminister Jakob von Weizsäcker. Schon das Beispiel der Finanzierung des angedachten 49-Euro-Tickets im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zeigt, wie schwierig so etwas bei einer angespannten Haushaltslage ist. Der Bund hat zwar 1,5 Milliarden für eine Nachfolge des 9-Euro-Tickets in Aussicht gestellt; den Rest müssten die Länder aufbringen, wenn es eine Anschlussregelung geben sollte. Das Saarland müsste für ein 49-Euro-Ticket knapp 20 Millionen Euro im kommenden Landeshaushalt freischaufeln. „Generell finde ich das ÖPNV-Roaming gut, aber da muss genau geschaut werden, ob bei der Bund-Länder-Finanzierung das Saarland nicht das Nachsehen hat. Finanziert werden müssten, hälftig durch Bund und Länder, drei Milliarden Euro. Nach dem Königsteiner Schlüssel wären das für das Saarland 20 Millionen Euro. Aber unsere Fahrgastzahlen sind ja viel geringer als die in Berlin, und das werden wir mit unseren Länderkollegen noch mal ganz genau besprechen", gibt Jakob von Weizsäcker zu bedenken. Allein dieses Beispiel zeigt, wie kompliziert schon die simple Finanzierung einer bundesweiten ÖPNV-Umweltmonatskarte ist. Will das Saarland mit Unterstützung durch Bundeshilfen zur Strukturwandel-Modellregion werden, geht es nicht mehr um Millionen, sondern Milliarden. Auch wenn der Bund mitspielt, wird dies ganz schnell die anderen Länder auf den Plan rufen, die dann selbstverständlich ähnliche Finanzierungen fordern. Es braucht also noch einiges Verhandlungsgeschick, vor allem aufseiten der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und ihres Finanzministers. Bundeskanzler Scholz allein hilft ihr da nicht weiter. Auch er hat Koalitionspartner. Aber sein Bekenntnis ist immerhin ein gewichtiges Pfund für die nächsten Schritte.