Wie sauber ist eigentlich unser Wasser? Dr. Katrin Schuhen, Geschäftsführerin der Wasser 3.0 gGmbH, spricht mit uns über Mikroplastik und andere Schadstoffe im Wasser und über ihre Erfindungen, die bereits im Einsatz gegen Mikroplastik sind. Außerdem verrät sie, zu welchem Trinkwasser man greifen sollte.

Frau Schuhen, warum wollten Sie ein Buch über das Wasser schreiben?
Wasser ist das Thema der Stunde. Wissenschaftlich belegt zeigen sich die Veränderungsprozesse bereits sehr stark. Aber wissenschaftliche Publikationen erreichen nur die Wissenschaftler. Die Medienberichte erreichen zwar tagesaktuell die ganz normale Leserschaft, lassen uns aber sehr häufig mit vielen Fragezeichen allein. Was tun mit den Horrormeldungen ums Wasser? Wie kann ich mich schützen? Wie kann ich helfen? Genau bei diesen Fragen setzt mein Buch an.
Viele Menschen nehmen es für selbstverständlich, dass jederzeit frisches Wasser aus dem Hahn läuft…
Betrachtet man den globalen Norden, würde ich sagen, dass jeder Mensch davon ausgeht, dass das Wasser aus dem Wasserhahn sauber und genießbar ist. Wir hinterfragen das nicht, solange nichts Außergewöhnliches passiert. Doch leider haben wir es mit einer trügerischen Sicherheit zu tun. Im vermeintlich sauberen Wasser stecken unter anderem das mit bloßem Auge nicht sichtbare Nanoplastik, dazu ein sich permanent ändernder Chemikalien-Cocktail, der teilweise analytisch noch gar nicht nachweisbar ist. Diesen verschiedenen gefährlichen Substanzen stehen unsere Kläranlagen derzeit ein stückweit hilflos gegenüber. Sie erreichen mehr und mehr ihre Limits.
Und wie groß ist das Problem mit dem Mikroplastik?

Mikroplastik und auch Mikroschadstoffe belasten unsere Gewässer, unsere Luft und unsere Böden. Sie zerstören das Gleichgewicht unserer Ökosysteme und sind ein enormes Risiko für unsere Gesundheit. Die Kunststoffpartikel mit einer Größe kleiner als fünf Millimeter wurden bereits vielfach gefunden – vom arktischen Eis bis in die Tiefsee, von der Donau bis zum Mount Everest, von Tieren bis hin zu menschlichem Darm, der Plazenta, Blut, Lunge und Muttermilch. Jeden Tag nimmt die Belastung unserer Ökosysteme und Körper mit Mikroplastik zu. Und zwar flächendeckend.
Welche gesundheitlichen Probleme können Mikroplastik und andere Mikroschadstoffe im Wasser bei uns hervorrufen, warum ist die Entfernung aus dem Wasser wichtig?
Mikroplastik in Böden, Sedimenten und Süßwasser könnte sich langfristig negativ auf Ökosysteme auswirken. Die Anreicherung und der Abbau von Kunststoffen im Boden variieren und hängen von der Art des verwendeten Kunststoffs sowie vom Auftreten einer Reihe klimatologischer, biologischer und anthropogener Faktoren (UV-Strahlung, Mikrobiota und Bodenbearbeitung) ab. Die Einnahme von Mikroplastik kann zu oxidativem Stress führen, welcher Entzündungsreaktionen und allergische Reaktionen auslösen und in sehr schweren Fällen zu Krebs oder Tod führen kann.
Verschiedene Untersuchungen konnten bereits zahlreiche schädliche Effekte von Mikroplastik auch auf den menschlichen Organismus nachweisen. Bisher fehlen fundierte Aussagen darüber, ab welcher Aufnahmemenge ein Gesundheitsrisiko für den Menschen besteht. Dabei muss neben verschiedenen Größen der Polymerpartikel auch ihre chemische Zusammensetzung und deren Verhalten im Körper/Organismus betrachtet werden.
Warum haben Sie sich ausgerechnet dem Thema „Mikroplastik“ gewidmet? Gab es hier für Sie ein Aha-Erlebnis?
Es war weniger ein Aha-, sondern ein Oha-Erlebnis. Als ich 2012 im Rahmen meiner Tätigkeit als Juniorprofessorin das Thema Wasser auf meine persönliche Forschungs- und Bildungsagenda setzte, wurde schnell klar, dass es an vielen Ecken und Enden viel zu tun gibt. Also begann die Pionierarbeit – in der Optimierung der Datenbeschaffung und in der Entwicklung zukunftsfähiger Entfernungstechnologien. Die Aha-Erlebnisse kamen mit dem Wissenstransfer, und zwar auf allen Ebenen. Von der Wissenschaft über die Industrie bis hin zur Politik und Gesellschaft, in die Schulen, zu jedem nach Hause.

Wie funktioniert Ihre Erfindung?
Im Prinzip handelt es sich um drei Erfindungen. Zum einen haben wir es geschafft, die Mikroplastik-Analytik zu revolutionieren. Während lange Zeit auf teure analytische Geräte gesetzt wurde und es bisweilen sehr lange dauerte, bis die Ergebnisse vorlagen, haben wir die Nachweismethode durch die Neuentwicklung innovativer Fluoreszenzmarker vereinfacht, in den Kosten reduziert, den gesamten Prozess von der Probennahme bis zum Ergebnis schneller gemacht und können seither nicht nur Zustände beschreiben, sondern auch Prozesse und Einträge von Mikroplastik in die Umwelt überwachen.
An den Hotspots der Mikroplastik-Belastungen – das sind vor allem industrielle und kommunale Abwässer – setzen wir dann mit unserer Technologie an. Der Clou liegt in der Einfachheit. Kurz gesagt: Wir verklumpen Mikroplastik und trennen es ab, daher auch der Name der Clump-and-Skim-Technologie. Zuerst wird das belastete Abwasser in einen Reaktor gepumpt, ein Rührer sorgt für die Bildung einer Trombe. Hier sammeln sich die vielen winzigen Mikroplastik-Partikel. Eine Hybridkiesel-Mischung, die passgenau für die Anwendung zusammengestellt wird, sorgt für das Verklumpen der vielen Kleinstpartikel zu wenigen großen Partikeln. Diese sogenannten Mikroplastik-Agglomerate treiben an die Wasseroberfläche, können einfach abgetrennt werden und gehen in die Wiederverwertung.
Welche Auswirkungen könnte Ihr Ansatz haben?

Mit unserer „detect | remove | reuse“-Strategie ermöglichen wir Einsparungen bei den Prozesskosten und gleichzeitig langfristigen Umweltschutz. Wenn Sie so wollen, ein Win-win in allen Bereichen. Möglich macht es die kreislaufwirtschaftliche und passgenaue Prozessführung. Weil wir an jedem möglichen Punkt im Prozess Ressourcen sparen, Energiebedarfe reduzieren und gereinigtes Abwasser und Abfall – insbesondere in den industriellen Anwendungen – wiederverwerten, erhalten wir messbaren Impact auf allen Ebenen: ökologisch, ökonomisch und sozial.
Wo ist die Wasser-3.0-Anlage bereits im Einsatz?
Eine ist fest in der Kläranlage in Landau installiert, wo wir in einer Kooperation auch permanent Analysen durchführen, um über Belastungssituationen im Wasser zu informieren. Dazu kommen mittlerweile über 15 Machbarkeitsstudien mit der Industrie und zahlreiche andere Projekte. Es könnten aber gern mehr werden. Gerade bei Industrien, die viel mit Kunststoffen arbeiten, sowie bei den Recyclingunternehmen, sehen wir großes Potenzial. Hier wird viel klein geschredderter Plastikmüll verarbeitet, auch Wasser ist da immer mit im Spiel. Unsere Lösung ist da, wir führen viele Gespräche, viele nicken, aber es wird immer noch zu wenig implementiert. Wir könnten schneller sein.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen?
Eine der größten Herausforderungen ist, dass diejenigen, die die Gamechanger sein könnten, nicht ins Machen kommen (wollen). Und das liegt daran, dass die Gesetzgebung hinterherhinkt und proaktives Handeln in der aktuellen Situation immer weniger stattfindet. Denn: Die Implementierung eines neuen Prozesses kostet Geld.
Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung wird nach wie vor rein ökonomisch ausgelegt. Langfristigkeit im Handeln und der Mehrwert für die Zukunft des Planeten spielt in den meisten Köpfen der Entscheiderinnen und Entscheider immer noch eine untergeordnete Rolle.
Man hat das Gefühl, dass die Vielzahl von Themen und Krisen zu einer Überforderung geführt hat. Das Problem von Mikroplastik in der Umwelt und damit die Wasserverschmutzung wird jedoch nachweislich jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde mehr. Die Herausforderungen werden demnach nicht weniger.

Warum wird Ihr Verfahren nicht häufiger eingesetzt? Woran scheitert es aktuell?
Wie in vielen Bereichen begegnen wir auch beim Thema Wasserverschmutzung der Langsamkeit des Seins und Handelns. Natürlich können wir noch 25, 30 Jahre mit der Implementierung von Lösungen warten und uns das wachsende Umweltproblem genauer anschauen, Biodiversitätseinschnitte dokumentieren, Prognosen zur Wasserqualität anstellen, KI-Modelle erstellen und vieles mehr. Oder wir können ein, zwei, drei Schritte weitergehen und uns nicht nur mit der Problembeschreibung begnügen, sondern endlich in die Problemlösung kommen. Und das am besten sofort.
Was motiviert Sie?
Ich glaube fest an den Moment, dass es zeitnah an entscheidenden Stellen „Klick“ macht und wir aus dem Hinterherrennen und Reagieren auch beim Thema Wasser ins proaktive Handeln kommen.
Wenn die Gesellschaft mithilft, die Zukunft unseres Wassers neben Klima und Biodiversität auf die Top Drei der gesamtpolitischen Agenda zu setzen, wenn endlich auch technologieoffen diskutiert, gefördert und viel mehr transparent kommuniziert wird, dann habe ich durchaus noch immer die Hoffnung, dass wir den Turnaround schaffen und uns nicht weiter selbst zerstören.
Wie erreichen Sie Menschen außerhalb der wissenschaftlichen Blase?
Neben Forschungs- und Entwicklungsarbeit gehört Bildung und Kommunikation zu einem meiner Steckenpferde. Ich versuche hier den Bogen zu spannen und die Menschen, insbesondere die Kinder und Jugendlichen für das Thema Wasser und die Mitarbeit in unseren Projekten zu begeistern.
Mit unserer Bildungsplattform „WASoMI“ – eine Abkürzung für „Wasser ohne Mikroplastik“ – und der Wasser-3.0-App schaffen wir digitale und reale Räume zum Mitmachen.
Jeder kann bei uns Teil der Lösung für Wasser ohne Mikroplastik werden, bei der Datenbeschaffung helfen, unsere Arbeiten unterstützen.
Was war der Auslöser für die Gründung einer gemeinnützigen GmbH?

Die Gründung einer gemeinnützigen GmbH ist die perfekte Kombination aus Haltung, Werten und vor allem einer klaren Sichtweise auf das Thema Wasser. Der Zugang zu sauberem und sicherem Wasser ist ein Menschenrecht. Wasser ist eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen. Eine rein kommerzielle Ausrichtung ist aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang nicht zielführend und angemessen.
Die Ergänzung von Wissenschaft und Technologie mit Bildung und Aufklärung sind wichtige Hebel für die Erhöhung von Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit gegenüber einem globalen Umweltproblem. Die Gemeinnützigkeit ist hierfür der geeignete Rahmen.
Gemeinnützige GmbH bedeutet, dass wir mit unternehmerischem Geist forschen, entwickeln und handeln, aber unsere Gewinne unmittelbar in weitere Forschungs- und Bildungsprojekte reinvestieren. Derzeit werden diese hauptsächlich durch Spenden und Sponsoring ermöglicht.
Was wünschen Sie sich von der Politik? Hat sich hier aus Ihrer Sicht schon etwas getan?
Von der Politik wünsche ich mir maximale Offenheit, ministerienübergreifende Arbeit und viel mehr Handlungsschnelligkeit. Es dauert alles viel zu lang. Hinzu kommt, dass in den Konferenzen und den Gremien immer die gleichen Menschen am Tisch sitzen. Wir begrenzen unseren Wissenszuwachs, weil wir immer auf die gleichen Impulsgeber und Meinungsbildner setzen, die es richten sollen – oftmals Menschen mit historisch gewachsenen Einstellungen.
Aber es geht nicht um Meinungen beim Umweltschutz, sondern um datenbasiertes Entscheiden. Frischer Wind, ein gesunder Diskurs und neue, an der Lösung orientiere Ausrichtungen würden sicherlich allen Themen guttun. Es geht nicht um Regieren und Verhindern, sondern um Technologieoffenheit und Wirkungsbeschleunigung.
Was wünschen Sie sich von den Verbrauchern?
Wir, die Verbraucherinnen und Verbraucher, sind das Herzstück des Umweltschutzes. Wir haben die Chance und die Hebel, um echtes Umdenken und Handeln zu forcieren, indem wir nachfragen, indem wir selbst oder gemeinsam mit gemeinnützigen Organisationen aktiv werden.
Dazu können wir auf allen Ebenen Transparenz, Klarheit in der Kommunikation und beim Handeln einfordern. Wir können wählen gehen oder durch Veränderungen im Konsumverhalten Angebot und Nachfrage im Wirtschaftssystem mitbestimmen und gerade Plastikprodukte – von Verpackungen bis hin zu Kunstfasertextilien – meiden.
Das Gemeinsam macht den Unterschied.

Wie sieht es eigentlich mit unserem Leitungswasser aus – wie bedenklich ist dieses? Und ist Mineralwasser auch belastet?
Unser Leitungwasser ist eines der am besten überwachten Lebensmittel in Deutschland. Sobald man jedoch dieses Leitungswasser weiterverarbeitet, wie zum Beispiel in Flaschen füllt, können Fremdstoffe das Wasser verschmutzen. Auch Mikroplastik kann so in die Flaschen gelangen. Wird in PET-Flaschen abgefüllt, kann Mikroplastik zusätzlich entstehen, indem Partikel aus der Flasche ins Wasser übergehen. Bei Mehrwegflaschen ist die Flaschenwaschmaschine das „Bottle neck“. Denn durch das Waschwasser können wiederum Partikel und andere Substanzen ins abgefüllte Wasser gelangen. Somit gibt es einen ganz klaren Daumen hoch für den Konsum von Leitungswasser. Unaufbereitet, ohne zusätzliche Behandlung mit kunststoffhaltigen Filtern, in denen sich zusätzlich auch noch Mikroorganismen tummeln können.