Dass Essig weitaus mehr sein kann als „nur“ ein Würzmittel zum Verfeinern von Salaten oder Speisen, kann man auf dem „Doktorenhof“ in Venningen eindrucksvoll erleben. Unser Autor war mit der VHS Saarbrücken auf Exkursion.
Vor vielen Jahren war ich einmal zum Essen in der Pfalz. Als Aperitif gab es damals keinen Champagner oder Wein und auch kein Bier, sondern Essig vom „Doktorenhof“. Ich war ziemlich überrascht und habe mir vorgenommen, diesen irgendwann einmal zu besuchen. Kürzlich wurde ich daran erinnert, als ich beim Durchblättern des Programms der Volkshochschule des Regionalverbandes Saarbrücken auf etwas Besonderes stieß: eine Fahrt zum Weinessiggut „Doktorenhof“ nach Venningen in der Pfalz. Kurzentschlossen meldete ich mich an.
Unter Leitung der früheren VHS-Direktorin und heutigen Regionalverbandsdirektorin Carolin Lehberger machte sich eine Gruppe von 20 Interessierten auf zu einer Exkursion, um Neues zu erleben. Und es war eine besondere Tour mit sehr vielen interessanten Eindrücken. Schauen Sie sich mal das Programm der Volkshochschule für 2025 an, darin sind auch wieder interessante Programmpunkte zu finden. Etwa zum Thema Wein.
Nahezu 100 Prozent Handarbeit
Den Stellenwert, den die Wein- und Getränkekultur im Saarland genießt, unterstreicht die VHS Regionalverband Saarbrücken mit einem vielfältigen Seminarangebot und auch Weinlehrfahrten. Landeskundliche und geschichtliche Themen sowie qualitätsorientierte Verbraucherberatung sind Aspekte und Bestandteile des breitgefächerten Programms.
Aber zurück zum eigentlichen Thema und auf zum „Doktorenhof“. Los ging es an der Schlossmauer in Saarbrücken, nach etwa 90 Minuten Fahrt hatten wir Venningen erreicht. Im Hof des „Doktorenhofs“ ging es gleich mit etwas los, was wir an diesem Nachmittag häufiger erleben sollten: mit dem Inhalieren von Essig.
Der „Doktorenhof“ wird betrieben von Familie Wiedemann. Begleitet wurden wir durch das Anwesen von der freundlichen und sehr kompetenten Mitarbeiterin Frau Boltze. Die Wiedemanns sind Pfälzer und seit Generationen hier heimisch. Schaut man zurück in die Geschichte, erfährt man, dass die Vorväter schon seit Generationen Winzer und Bauern waren. Der Name „Doktorenhof“ kommt übrigens von seiner Lage, seit 859 gibt es hier den „Venniger Doktor“. Die älteste schriftliche Erwähnung von Venningen ist 1.150 Jahre alt. Noch heute findet man Überreste aus der Zeit der Römer, Kelten und Merowinger bei Grabungen, aber auch bei der Bewirtschaftung der Felder.
Im „Doktorenhof“ ist alles Essig. Eigene Weinberge sind der Grundstock der fleißigen Menschen, die hier arbeiten. Doch was sie unterscheidet von anderen Weinbaubetreibern ist, dass sie keinen Wein zum Verkauf daraus machen. Hier entstehen vielmehr edle Essigprodukte, die mittlerweile in die ganze Welt verkauft werden. Der „Doktorenhof“ ist eine sehr edle Essigmanufaktur, denn fast zu 100 Prozent wird die Arbeit von Hand ausgeführt. Vom naturnahen Ausbau reifer, dichter Grundweine über das behutsame Ausbauen der Essige in der Essigstube bis hin zu dem, was auch alle Winzer tun: füllen, verkorken, binden, wachsen und sorgsam verpacken in Flaschen und Flakons. Jeder Essig ist ein Unikat, vom Anfang bis zum Ende.
Nachdem wir die wirklich schönen Verkaufsräume durchquert hatten, ging es unter Tage. Das ist aber ja für Saarländer nichts Neues. Die Eindrücke waren so vielfältig, dass ich Carolin Lehberger gut verstand, als sie mir erzählte, sie sei heute bereits zum dritten Mal mit der VHS da. Wir besichtigten die heiligen Hallen des „Doktorenhofs“. Vorher zogen wir schwere, dunkle Roben an. Anfangs dachte ich, das gehöre zur Werbung. Doch Frau Boltze erzählte, dass in solchen Roben früher Ärzte mit Essig die Pest bekämpften. Dazu trugen sie noch eine Gesichtsmaske, um sich nicht anzustecken.
Besondere Schätze tief im Keller
Hier lagern die alten Weine, die Essigmutter und hier findet man die Kräuterkammer. Wir kamen zur Probierstube und erhielten einen lehrreichen Eindruck beim Kosten, was man hier unter Essig versteht. Dazu immer wieder ein wohltuendes Durchatmen im Untergrund. Hildegard von Bingen etwa begann jeden Tag mit einem Glas Essig und dem Inhalieren desselben.
Als erstes ging es zum Allerheiligsten im Pfälzer Kellergewölbe, zur Essigmutter, dem größten Schatz des „Doktorenhofs“. Sehr schön präsentiert, unter einem Baldachin. Es ist ein gallertartiger Klumpen, der in einer Flüssigkeit schwimmt und schön umrahmt wird von stimmungsvollem Kerzenlicht. Die Essigmutter ist eine 300 Jahre alte Bakterienkultur, ohne die hier in den Hunderten von Barriquefässern nichts läuft.
Alleine der vielfältigen und außergewöhnlichen Eindrücke wegen lohnt sich ein Besuch des „Doktorenhofs“. Anschließend ging es noch tiefer in den Keller, in dem alte Weine in Barriquefässern lagern. Sie wisse nicht genau, was Schorsch Wiedemann noch damit vorhabe, erklärt unsere Begleiterin. Ohne Zweifel muss es etwas Besonderes sein, denn bei genauerem Hinsehen sah ich ein Fass, auf dem stand: Eiswein 1992. Ich kann nicht sagen, was dieser Wein wert ist. Jedenfalls dürfte er sehr viel sein. Was der Essig aus diesem Wein dann wert sein wird, mag ich mir gar nicht vorstellen.
Eigener Safrananbau
Weiter ging es in die Kräuterkammer. Hier werden unzählige Kräuter aufbewahrt. Bei unserem Besuch hatte der „Doktorenhof“ etwa 40 unterschiedliche Essige vorrätig. Ich las Lindenblüte und Johanniskraut. „Wir bauen hier in der Umgebung sogar Safran an für unsere Safranessige“, erzählte unsere Führerin. „Der Safran wird auf dem Feld angebaut und im Herbst geerntet. Das ist ein violetter Krokus und aus jedem Krokus hängen drei Fäden heraus. Man braucht etwa 150.000 bis 200.000 davon, um ein Kilo Safran herstellen zu können. Safran hat seinen eigenen Geschmack, und der Essig schmeckt dann nach Safran.“
Das hatte ich wahrlich nicht erwartet. Welche Besonderheiten der „Doktorenhof“ sonst noch zu bieten hat, davon konnten wir uns einen kleinen Eindruck beim Verkosten im Probierkeller machen. Uns wurden drei verschiedene Aperitif-Essige, ein Digestif-Essig, ein Essig für das Wohlbefinden – also die tägliche Ration – und eine Essigpraline kredenzt. Wie ich beobachten konnte, war unsere gesamte Gruppe von der Vielfalt schwer beeindruckt. Hier werden wirklich Essige erschaffen, die unvergleichlich sind! Dazu sind sie bekömmlich und gesund.
Mir hatte es vor allem die Essigpraline angetan, die ich mir später auch noch kaufte. Nicht eine Praline, sondern Pralinen. Und die letzte habe ich mir gerade eben beim Schreiben in den Mund gesteckt. Das Spiel von Süße und Säure – fantastisch und überraschend.
Das war wirklich ein ganz besonderer vorweihnachtlicher Trip zum „Doktorenhof“. Was als Schauspiel begann, endete mit Genuss grenzenlos. Viele aus unserer Gruppe deckten sich wie ich vor der Weiterfahrt noch mit den außergewöhnlichen Spezialitäten hier ein.
Übrigens: In einem der schönsten alten Fachwerkhäuser Venningens haben sie ein „Doktorenhof-Essig-Appartement“ in einer ehemaligen Gesindewohnung eingerichtet. Diese alte Gesindekammer ist im Original erhalten und birgt manch kleine Wohlfühlüberraschung. Gäste können diese 90 Quadratmeter für ein paar Tage mieten und die Langsamkeit in diesem alten Winzerhaus erleben. Es gibt auch einen Aperitif-Essig-Ofen und zahlreiche Doktorenhof-Essige zur freien Verkostung. Zudem eine Flasche von bestem Pfälzer Wein. Probieren Sie es doch einmal aus!