Jim Morrison gilt als eine der herausragenden Figuren der Popkultur. Selbst mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ist der ehemalige Sänger der Band The Doors noch immer der Posterboy der Rebellion. Am 8. Dezember wäre er 80 Jahre alt geworden.
Wallende Locken, weißes Hemd, sexy Posen in Lederhosen, das Mikrofon mit beiden Händen umfasst, die Augen halb geschlossen – das war Jim Morrison. Von seinen rauschhaften Auftritten und mystischen Texten geht noch heute ein Zauber aus. Manche glauben sogar, er würde noch leben – und zwar unter neuer Identität auf den Seychellen.
James Douglas Morrison wird am 8. Dezember 1943 in Melbourne an der Ostküste Floridas geboren, einer tief religiösen Kleinstadt. Sein gestrenger Vater George, ein Konteradmiral der US-Marine, schenkt ihm Bücher, um ihn im präzisen Ausdruck zu schulen. Schnell begreift der Heranwachsende Sprache als mächtiges Werkzeug, um sich gegen Autoritäten aufzulehnen. Mit 21 beginnt Jim in Los Angeles ein Studium an der UCLA Graduate School of Film.
Begegnung des Schicksals
Im Juli 1965 kommt es am Strand von Venice zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen ihm und Ray Manzarek. Morrison singt dem acht Jahre älteren klassischen Pianisten sein Gedicht „Moonlight Drive“ vor. Dieser ist sofort Feuer und Flamme – und löst seine eigene Band auf, um mit dem charismatischen Morrison, dem virtuosen Flamenco-Gitarristen Robby Krieger von den Psychedelic Rangers und dem Jazz-Schlagzeuger John Densmore The Doors zu gründen. Zu dem Namen lassen sie sich von Aldous Huxleys Drogen-Essay „The Doors of Perception“ (deutsch: „Die Pforten der Wahrnehmung“) inspirieren.
Zu der Zeit lernt Jim Morrison auch Pamela Courson kennen. Das Model wird zu seiner „kosmischen Gefährtin“ und Muse. Diese stürmische Beziehung mit Sex und LSD, Meskalin und Amphetaminen öffnet dem jungen Mann neue Türen. Im Rauschzustand schreibt er zahlreiche Texte.
Jim Morrison will mit der Stimme Frank Sinatras Blues singen und verehrt Elvis Presley. Sein zeitweiliger Mitbewohner und Mitstreiter Robby Krieger (mittlerweile 77) glaubt aber nicht, dass irgendjemand ihm dabei geholfen hat, seine eigene Stimme zu finden: „Jim war von Anfang an ein Individualist. Er hat nie jemanden kopiert, sondern aus eigener Kraft eine ganz spezielle Ausdrucksform entwickelt. Dafür brauchte er nicht einmal einen Gesangslehrer.“
Morrisons düstere Poesie in Verbindung mit neuartigem Rock macht die Doors zur aufregendsten amerikanischen Band der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre. Zu ihrem Psychedelic Rock mit behutsam gesetzten Orgelakkorden in schwärzestem Moll, wehmütigen Gitarren, stilvoller Rhythmik und fiebrigem, dunklem Gesang mischen sich Einflüsse aus Country, Blues und Jazz. Eine eigenwillige, aber perfekte Symbiose.
Im Sommer 1966 werden The Doors zur Hausband des Clubs „Whisky a Go Go“ auf dem Sunset Strip. Der übermäßige Drogenkonsum des Frontmanns und anstößige Zeilen wie „Father I want to kill you, mother I want to fuck you“ aus „The End“ sorgen für ein vorzeitiges Ende des Gastspiels. Doch der Siegeszug der Gruppe ist nicht mehr zu stoppen.
Im Januar 1967 erscheint das Debütalbum „The Doors“ mit dem berühmten Song „Light My Fire“. Das eindeutige Statement zugunsten freier Sexualität wird zur Erkennungsmelodie der Gruppe und entwickelt sich trotz Radioboykotts zu einem Nummer-Eins-Hit in den eigentlich prüden USA. Der US-Autohersteller Buick bietet der Band später 75.000 Dollar für die Rechte an „Light My Fire“ an – im Rahmen eines TV-Werbespots für einen Opel. Das treibt Jim Morrison auf die Barrikaden: Im Falle einer Ausstrahlung des Werbespots werde er im Fernsehen einen Opel mit einem Vorschlaghammer zerschmettern.
„Er meinte das wirklich ernst“, erinnert sich Robby Krieger im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen. „Lustig, nicht wahr? Denn es war ja nicht mal sein eigener Song. ‚Light My Fire‘ habe ich ganz allein geschrieben. Aber wir hatten den Beschluss gefasst, dass wir immer alles durch vier teilen. Dass ich eine Nummer für die Doors geschrieben hatte, bedeutete noch lange nicht, dass ich allein darüber entscheiden durfte.“
Skandal-Superstar schlechthin
Jim Morrisons „unzüchtiges“ Verhalten und seine Obszönitäten führen immer wieder zu Konflikten mit den Gesetzeshütern. Ende 1967 wird der provokative Schamanentänzer vor den Augen seiner Fans verhaftet. Im März 1969 eskaliert die Situation, als ihn Ordnungshüter von der Bühne des „Dinner Key Auditorium“ (heute „Coconut Grove Convention Center“) in Miami holen. Der Sänger hatte im Rausch Konzertbesucher verbal attackiert, die Nummer „Rock Is Dead“ spontan gerappt und dazu eindeutige Bewegungen gemacht. Ob er dabei wirklich den Schlitz seiner Lederhose geöffnet und seinen Penis gezeigt hat, konnte nie bewiesen werden. Laut Doors-Organist Ray Manzarek ist die Schweinerei nur in der Fantasie der Menge passiert.
1970 steht Jim Morrison wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses und Gotteslästerung“ vor Gericht. Das FBI legt eine Akte über ihn an. Der Sänger, der privat als schüchtern gilt, ist zu dem Skandal-Superstar schlechthin geworden und heizt die schwelenden Studentenunruhen immer wieder an. Robby Krieger hat viel darüber nachgedacht, ob Drogen die Kreativität seines Freundes beförderten oder eher hemmten. Sein Fazit: „Zuerst halfen sie ihm, seine Ideen aus sich herauszukitzeln. LSD und Marihuana. Aber als er dann anfing, auch noch literweise Alkohol in sich hineinzuschütten, war das überhaupt nicht mehr hilfreich. Aber wer weiß?“
Das Verhältnis zwischen dem Sänger und dem Rest der Band bekommt allmählich Risse. Denn das gemeinsame Leben findet ausschließlich zu Jim Morrisons Bedingungen statt. Er kommt und geht, wann er will, bleibt oft tage- und vor allem nächtelang weg. „Er war nicht der Mann, der auf Moralpredigten etwas gab“, erzählt Krieger. „Natürlich sagten wir ihm, dass er dabei ist, sich zugrunde zu richten, jeder würde das tun. Wir haben ihm die Flaschen weggenommen, aber er besorgte sich neue. Er war ein Genie, aber ein tragisches. Jim kämpfte gegen seine inneren Dämonen.“
Manzarek „wie ein College-Professor“
„Obwohl Morrison allmählich zum Alkoholiker wurde, wusste er interessanterweise beim Singen intuitiv, dass das bleiben wird, was wir da gerade aufnehmen“, erinnert sich Doors-Schlagzeuger John Densmore (gerade 80 geworden). „Jim hat sich immer den Anforderungen der Studioaufnahmen gestellt, besonders bei dem Album ‚L.A. Woman‘. Nur ab und zu mussten wir nach Hause gehen, weil er zu voll war. Paul Rothchild, unser Produzent, brachte uns bei, wie man Platten macht. Aber irgendwann hatte er einfach die Nase voll von Jims Drogenmissbrauch.“
Der Rockfotograf Henry Diltz (85), der das Cover des berühmten Doors-Albums „Morrison Hotel“ aufgenommen hat, hat Jim Morrison ganz anders in Erinnerung. Nämlich als einen sehr introspektiven, ruhigen Zeitgenossen. „Er war wie ein Dichter. Er kam nie von selbst auf die Idee, Geschichten zu erzählen. Die anderen Jungs in der Gruppe redeten viel. Keyboarder Ray Manzarek zum Beispiel war wie ein College-Professor. Er redete so schön und war voller Ideen. Aber Jim stand nur still da und hörte zu. Das war sehr interessant.“
Am 8. Dezember 1970, seinem 27. Geburtstag, nimmt Morrison im Studio The Village in West Los Angeles mit seiner angenehm tiefen Stimme zwei Dutzend Gedichte auf, die erst 1978 unter dem Titel „An American Prayer“ erscheinen sollen – als letztes Doors-Album. Darüber hinaus schreibt er eine Liste mit dem Titel „Plan for Book“, in der er seine Gedanken zu einer Sammlung seiner Gedichte, Songtexte und anderer Arbeiten festhält. Sie sollen erst 50 Jahre später in dem fast 600 Seiten starken Buch „The Collected Works of Jim Morrison“ erscheinen.
Kate Moss tanzte auf dem Grab
Der Tod ereilt das aufgedunsene Idol im Sommer 1971 in Paris. Am frühen Morgen des 3. Juli findet ihn seine Ehefrau Pamela leblos in der Badewanne. Jim soll Blut gehustet und die Musik der Doors gehört haben, aber die genauen Umstände seines Todes konnten nie geklärt werden. Morrisons letzte Ruhestätte auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise ist bis heute Wallfahrtsort für Fans aus der ganzen Welt. Pamela stirbt 1974 in Hollywood an einer Überdosis Heroin. Sie wird wie Jim nur 27 Jahre alt.
Jahrzehnte später bietet sich der französischen Polizei ein seltsames Bild auf dem Pariser Promi-Friedhof: Supermodel Kate Moss tanzt auf dem mit Graffiti verzierten Grab des Doors-Sängers und intoniert dabei laut den „Alabama Song“. Gut zu wissen, dass Jim Morrisons revolutionärer Geist noch immer unter uns weilt.