In Deutschlands erster Schlittenhundeschule in Frauenau können Anfänger wie Fortgeschrittene lernen, wie man Huskys begegnet, sie füttert, motiviert – und ein Gespann sicher durch den Bayerischen Wald lenkt. Am Ende des Wochenkurses steht der Erwerb des Musher-Führerscheins.
Das „Haus Waldschrat“ in Flanitzmühle liegt herrlich abgelegen. Himmlische Ruhe mitten im Wald. Bis wir auf den Plan treten. Genau genommen: das Geländetor hinter uns schließen. Auf einmal heult und bellt, wuselt und hechelt es überall. Dutzende Schlittenhunde in allen Farben und Größen laufen in weitläufigen Gehegen an langen Leinen hin und her. Auch aus dem Wohnhaus und der Scheune nebenan kläfft es. Menschen? Keine in Sicht. Bis nach ein paar Minuten doch einer um die Ecke stapft. Rauschebart, Zauselhaar, Minigläserbrille, verschmitztes Lachen: Das muss Thomas Gut sein, der Chef! Der ist in der Region bekannt wie ein – sorry für das Wortspiel – bunter Hund. Wegen seiner rund 50 Alaskan Huskys, aber auch aufgrund seiner Erscheinung, die dem 61-Jährigen den Spitznamen „Waldschrat“ eingebracht hat. Selbst beim Einkaufen im nahen Frauenau, erzählt man sich, soll er barfuß unterwegs sein. Nach dem begrüßenden Blick in die Augen der Blick nach unten in den Schnee: Heute trägt Thomas Schuhe. Was er noch trägt: zwei Eimer, aus denen es streng duftet. „Ein Mix aus Lachs, Rind, Schwein und viel warmem Wasser!“, strahlt Thomas. All das hat er gerade in einem Betonmischer verquirlt. Think big! Schließlich müssen für das große Fressen Unmengen verarbeitet werden.
Mit dieser „Morgensuppe“, wie es Thomas nennt, zieht er los. Aber nicht allein. Zwei weitere Kursteilnehmer, Monika und Klaus, sind auch munitioniert und mir drückt er ebenfalls einen Kübel in die Hand. Dann geht es, unter extra lautem Gejohle, durch das Gatter zu den weiblichen Hunden ins „Kloster“. Jedes Tier ist an einer Leine gehalten, die nach oben an ein rund drei Meter langes Seil führt. Das ermöglicht kleine Runden, bis zu einer Hütte samt Topf davor. In den bekommt nun jede eine volle Kelle vom Gebräu. Doch nicht einfach so! Vorher muss man das Tier mit Namen ansprechen – dieser steht auf dem Schild über dem Verschlag –, dazu den Finger heben und „Sitz!“ sagen. Klappt das, folgt das Kommando „Auf geht’s!“ und zwei Sekunden später wird geschlabbert.
Erst waren es sechs, dann über 50 Huskys
Bei den Männchen nebenan das gleiche Spiel. Nachdem auch hier der größte Hunger gestillt ist, geht es um Bonding: kraulen, kuscheln, Beziehung aufbauen. Die anfangs so wild wirkenden Hunde sind teils richtig verschmust. Angenehm auch, dass längst viel weniger Dezi-Bell herrschen. Zeit, etwas über Thomas’ Husky-Karriere zu erfahren. Die nahm 1988 mit seinem Umzug in den Bayerischen Wald Fahrt auf. Aus anfangs sechs wurden über 50 Huskys, aus dem Start-up entwickelte sich eine deutschlandweit einmalige Institution. Mal von den Corona-Zwangspausen abgesehen, läuft es richtig rund. Und das rund ums Jahr. „Im Sommer – oder wenn zu wenig Schnee liegt, was kaum vorkommt – schnallen wir einfach Rollen unter die Schlitten“, erzählt der Wahl-Waidler. „Der Schwerpunkt aber freilich liegt im Winter, von November bis Ostern.“ Den Programmschwerpunkt bilden, neben Schnupperwochenenden, Wochenkurse. Der Clou: Nach sechs Tagen winkt der Erwerb eines Musher-Führerscheins, wenngleich Oberfahrlehrer Thomas klarstellt: „Das ist eher ein Gag, im Gegensatz zum echten Führerschein hat das keine Bedeutung.“ Ein Alleinstellungsmerkmal stellt das „Diplom“ dennoch dar. Und dafür kommen Gäste aus ganz Bayern, Deutschland, Europa, gar aus Übersee. Klaus sagt, warum: „Um die Kunst der Schlittenführung zu lernen von einem Profi, der sich im Schlittenhundesport als Ausbilder sowie als Autor einen Namen gemacht hat.“
Die Teilnahmebedingungen skizziert Thomas so: „Tierliebe, a bisserl Kondition und Bereitschaft zur Teamarbeit“. Monika bringt das, aber kaum andere Vorkenntnisse mit, Klaus hingegen sein eigenes Husky-Quartett. Mit dem schläft er sogar im Wohnmobil. In der Regel aber übernachten Teilnehmer im Haus, wo auch Frühstück und Abendessen serviert werden und das Rahmenprogramm stattfindet. „Der Ablauf des Kurses ist immer gleich“, sagt Thomas: „Sonntags reisen die Gäste – in der Regel ein bis zwei – an. Abends wird eine persönliche Zugleine gespleist und sich kennengelernt.“ Am Montag – den kriegen wir also mit – geht es in die Hundepraxis, mit Fütterung, Kontaktaufbau, Pflege und erster Ausfahrt. „Das ist echt das Besondere, dass es so schnell raus geht in die Natur“, sagt Monika. Davor steht die Frage, wer mit wem. Dazu zückt Thomas eine abgegriffene Holztafel, auf der die Hundeteams mit Namensschildern aufgeführt sind. Gemäß ihren jeweiligen Stärken und Fähigkeiten werden die Hunde eingeteilt. „Musher-iPad“ nennt das der Trainer. Dann ruft er die Hundenamen auf und die Auserwählten kommen angeschossen. Voller Elan springen sie in die Einzelkojen des bereitstehenden Spezialtrucks. Juhu, Klassenausflug! Wir noch auf den Rücksitz – und ab!
Die Kommandos müssen sitzen
Nach vier, fünf Radiosongs stellen wir das „Husky-Mobil“ auf einem Parkplatz am Waldrand ab, heben vier Schlitten vom Dach und präparieren diese mit allerlei Leinen. Die Hunde müssen sich noch gedulden. Erst mal „trocken“ lenken! „Huskys sind miserable Autofahrer und schneiden gern die Kurven. Schlecht, wenn dann der Hänger hinten hängen bleibt. Daher übrigens der Name“, witzelt Thomas. Wir üben das, indem wir die Hunde mimen und den Schlitten ziehen. Der Musher, also Gespann-Lenker, übt dabei die Gewichtsverlagerung und das Mitlaufen, Fachausdruck: Pedalen. Thomas rät zu „laaaangen Schwüngen! Für die Entlastung viel besser als so hektische Tippler“. Dann lernen wir noch einiges über Seile, Hundegeschirr und die Kommandos „Gee“ – sprich: tschi – für „rechts“ und „Haw“ – ho – für links. „Go“ und „Stop“ erklären sich von selbst.
Die Hunde werden ungeduldig. Doch sind die mal draußen, muss es schnell gehen. Kaum habe ich meine „fantastischen Vier“ – Sopherl und Falter vorne, dahinter Flou und die junge Neele – eingespannt, sind sie nur noch schwer zu bändigen. Die Ankerkralle, eine Art Handbremse, ist schon gelöst. Nun heißt es, mit beiden Füßen auf dem Bremsteppich zu bleiben, um den Schlitten im Zaum zu halten. Nur kurz, denn als Thomas vorne losfährt, gibt es kein Halten mehr: schnell die Füße rüber auf die Kufen, denn die Huskys zischen los. Klar, die flitzen ihrem Herrchen hinterher, denke ich. Doch gerade, als ich in einen passiven Fahrgeschäftmodus zu verfallen drohe und auf dem manchmal etwas abschüssigen Waldweg zur Hanglage neige, wird mir klar, dass ich die Zügel mehr in die Hand nehmen muss. Konzentration! Kontakt zu den Hunden! Also lobe ich, dirigiere, verbreite Chefstimmung. Gut so, denn der Trail führt mal rauf, mal runter, mal nach links und mal nach rechts. Einmal gerate ich fast aus der Bahn und in eine Schneeanhöhe. Akute Umkippgefahr! Gerade noch kann ich gegensteuern. Ein anderes Mal, als die Hunde mit Tempo die Steigung emporhecheln, will ich pedalen. Doch als ich beherzt in den Boden treten will, versinkt mein Schuh im unerwartet tiefen Schnee. Schon wieder so ein Wackelmoment. Der nächste kündigt sich an, als ich Thomas erblicke, seine Hunde neben sich geparkt. Was will er? Mich anfeuern! „Schieb an!“ Gehört, getan. Runter von den Kufen und, die Hände stets am Schlitten, in der Außenkurve mitlaufend. Ich hab Puls, weil es bergan geht und – huch, was ist das hinter der Kurve? – durch einen Bach! Den Huskys ist’s egal. Ich mit nassen Schuhen und nasser Stirn wieder rauf auf die Kufen. Kaum Tempoverlust! Aaah!
Eine warme Mahlzeit nach der Fahrt
Der leicht gespurte Weg führt weiter durch den einsamen Wald bergauf. Die Schneedecke an den Seiten wird immer höher, je höher wir gelangen. Auf einer Lichtung Pause, bis alle da sind. Lang darf sie nicht sein. Die Hunde wollen rennen, rennen, rennen. Und sie jaulen, jaulen, jaulen, wenn sie das nicht dürfen. Also weiter, die 600 Höhenmeter wieder runter. Jetzt nicht zu schnell werden! Ich bleibe auf dem (Brems-)Teppich, unter dem sich gern Schneeklumpen ballen, aber das Wichtigste ist: Spur halten. Damit tut sich Monika zuweilen schwer, zweimal testet sie die Qualität ihrer Outdoor-Klamotten im nassen Schnee. Dazu lärmende Hunde, die weiter wollen. Und nicht nur ihre. Auch meine, die notgedrungen in der Warteschleife hängen, Überholen ist nicht.
Mit gehörigem Abstand heißt es dann: laufen lassen! Vorausschauendes Lenken, vor allem um verengten Kurvenradius zu vermeiden, ist Gold wert. Dann kommen wir mit strahlendem Gesicht respektive hechelnder Zunge nach 15 Kilometern wieder am Truck an. Alle freuen sich, die Hunde über rohes Fleisch – und Suppe aus Thermoskannen (damit sie nicht so viel Schnee fressen). Irre, wie ruhig die Energiebündel von eben sein können. Schmusen und heben brav die Pfoten. Verletzungen müssten mit Salbe kuriert werden, aber alles gut. „Im Umgang mit den Huskys geht mir einfach das Herz auf“, seufzt Thomas. „Du kannst gar nicht anders, als alles Unnötige zu vergessen.“
Nötig ist, alles zusammenzupacken. Die Hunde hüpfen in ihre Kojen, heim geht’s. Dort hat Thomas’ Frau Anke schon gekocht. Es gibt Suppe – diesmal Gemüse! – in der ofenwarmen Privatstube. Auch sechs Huskys ballen sich zwischen Herd und Tisch, plus zwei Katzen. Für mein Gefühl wäre eine Tierpause mal nicht schlecht gewesen, aber sei’s drum. Beim Hauptgang erzählt Thomas über die verschiedenen Rassen von den Samojeden bis zu den Siberian Huskys (die mit den eisblauen Augen, aber geringerer Laufenergie, wie wir an Klaus’ Hunden merkten). Was alle eint: „Es gibt in jedem Rudel eine Rangordnung, inklusive Chef. Die Jüngeren respektieren das.“ Und bei der „Erziehung“ gehe es genau darum: dass der Musher als Chef anerkannt wird. Wie lautet ein Sprichwort: „Trainierst du die Hunde nicht richtig, trainieren sie dich – aber richtig!“
Die kommenden Kurstage kriegen wir nicht mehr live mit, aber wir erfahren: Jeden Tag wird das Verhältnis zu den Hunden inniger, die Ausfahrten zwischen Großem Arber und Großem Falkenstein länger, das Selbstbewusstsein größer. Dazu tragen auch ein Videoabend und tiefe Gespräche bei, über Hundepsychologie, Erkrankungen, Trainingsmethoden – und Skandinavien. Dorthin fahren Thomas und Anke, die sich übrigens bei einem Musher-Grundkurs kennen- und lieben lernten, traditionell nach der Wintersaison: „So geht für uns Urlaub: Mit dem Truck und 20 Hunden nach Lappland, um mal richtig Strecke zu machen.“