Krisen inmitten einer Transformation – diese bekommt vor allem die Stahlbranche zu spüren. Für Stefan Rauber, Vorstandsvorsitzender des drittgrößten deutschen Stahlherstellers Dillinger Saarstahl, bietet sich im Konzern ein zwiespältiges Bild. Von der Politik fordert er klare Entscheidungen.
Herr Rauber, woran merken Sie einen Abschwung in Deutschland?
Unsere Situation ist zweigeteilt. Dillinger ist in einer sehr guten konjunkturellen Lage. Bei Saarstahl spüren wir den konjunkturellen Abschwung deutlicher. Dort sind wir in Kurzarbeit. Die Schwierigkeiten in der Automobilindustrie und der Bauindustrie wirken sich auf uns aus, Konsequenz ist Kurzarbeit bei Saarstahl. Es gibt aber dennoch Bereiche, die derzeit gut aufgestellt sind, beispielsweise die Massivumformung. Ein Problem, das uns in diesem Zusammenhang immer beschäftigt, ist der Strompreis.
Warum?
Der Strompreis drückt alle energieintensiven Branchen – also auch uns. Er ist das wesentliche Thema, das Saarstahl derzeit massiv schadet. Ich halte daher einen Industriestrompreis, wie er im Augenblick diskutiert wird, für zwingend erforderlich. Wir liegen mit den Strompreisen in Deutschland derzeit am oberen Ende der Skala. Was der ein oder andere vielleicht nicht verstehen will: Europa ist keine Insel. Daher wollen wir einen Strompreis, der wettbewerbsfähig im Vergleich mit anderen Ländern ist. Die Realitäten sind nun mal so, wie sie sind – und damit muss sich auch die Bundesregierung und die EU auseinandersetzen: Wenn ich erkenne, dass der Strompreis in anderen Ländern günstiger ist, muss ich handeln. Dabei wird es aber nicht bleiben. Wenn wir auf Elektrolichtbogenöfen umstellen, um die CO2-Emissionen unserer Produktion zu senken, werden wir den Stromverbrauch des Saarlandes ordentlich in die Höhe treiben, wir rechnen mit 12,7 Terawattstunden. Der Strom, den wir dafür brauchen, muss international wettbewerbsfähig sein, sonst kann das alles nicht funktionieren.
Sie stellen nicht nur Stahl für Offshore-Windräder her, sondern beziehen künftig auch Strom offshore. Ein erster Schritt, um regenerative Energie einzukaufen?
Wir haben nun mit Iberdrola Deutschland, die den Offshore Windpark Baltic Eagle betreiben, einen Vertrag über 15 Jahre abgeschlossen. Dieser deckt derzeit einen Bedarf von 200 Gigawattstunden. Das heißt, wir helfen generell beim Ausbau von Windparks, indem wir Gründungsstrukturen, die Monopiles, liefern, und es kann zudem Bestandteil von Vertragsverhandlungen sein, dass wir auch Strom abnehmen. Wind ist eines unserer Zukunftsthemen, in denen wir sehr gut aufgestellt sind. Wir sind Weltmarktführer in der Produktion von Stählen für Offshore-Windräder. Es wird aufgrund von Genehmigungsengpässen seitens der Behörden zum Aufstellen von neuen Windrädern in nächster Zeit ein leichtes Absinken des Marktes geben, daran können wir nichts ändern. Aber danach wird es rasch wieder bergauf gehen. Wir sind mit vielen Betreibern im Gespräch und daher zuversichtlich, auch in Zukunft in dem für uns wichtigen Marktsegment für grünen Strom zu sorgen und grünen Strom zu beziehen.
Gewinnen Sie trotz dieser Risiken genügend Fachkräfte nach dem Abbau von Arbeitsplätzen in den vergangenen Jahren?
Wir haben 220 neue Auszubildende eingestellt und damit die Einstellungszahlen des vergangenen Jahres verdoppelt. Es war etwas schwieriger als vorher, die richtigen Leute zu finden. Derzeit brauchen wir viele Techniker und Ingenieure. Diese suchen wir dann auch schon mal international. Das funktioniert, denn wir sind noch immer einer der attraktivsten Arbeitgeber in der gesamten Großregion, der größte Ausbildungsbetrieb der Region, der drittgrößte Stahlhersteller in Deutschland, kurz, wir sind bekannt – eine exzellente Marke. Trotzdem stellen wir fest, der Kampf um die besten Köpfe wird schwieriger, also müssen wir mehr tun, um die Attraktivität der Unternehmen weiter zu unterstreichen. Wir werden uns also nicht darauf ausruhen.
Kann denn die Transformation eines Stahlunternehmens als Imageträger für eine als sehr traditionell geltende Industrie fungieren?
Auf jeden Fall. Der Stahlindustrie haftet sicherlich das Image des Traditionellen an. In Wahrheit sind wir allerdings ein Hightech-Unternehmen. Gemessen an der Zahl unserer ITler gehören wir sicherlich mittlerweile zu den größten IT-Betrieben im Saarland. Und wir wissen genau: Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Riesenthemen bei unseren Nachwuchskräften. Und die kleben sich nirgendwo fest – sie „machen“ Klimaschutz. Jeder, der sich genau dafür interessiert und dabei mithelfen will, die Industrie nachhaltiger zu gestalten, ist bei uns herzlich eingeladen mitzuwirken und sich bei uns zu bewerben. Dazu gehört auch ein hoher Digitalisierungsgrad. Wenn Sie unsere Leitstände sehen, sehen diese fast wie ein Raumschiff aus.
Welche Rolle spielen Methoden der Industrie 4.0 wie etwa digitale Zwillinge?
Derzeit simulieren wir den Hochlauf, die Inbetriebnahme unserer Elektrolichtbogenöfen, die noch nicht einmal gebaut sind, mithilfe digitaler Zwillinge. Für unsere Fachkräfte, die diese Anlagen künftig bedienen sollen, ist dies eine hervorragende Möglichkeit, sich schon jetzt damit auseinandersetzen zu können. Das heißt, das Digitale ist bei uns schon sehr weit, aber unser Anspruch bleibt, auch hier ständig unsere Grenzen zu verschieben. Dafür arbeiten wir mit vielen Instituten und Hochschulen zusammen und ändern auch dahingehend unsere Ausbildungskonzepte.
Inwiefern?
Die Ausbildung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. Wir bereiten die jungen Leute auf die Industrie 4.0 vor, und vermitteln auch den schon vorhandenen Fachkräften in der Weiterbildung einzelne Elemente der Industrie-4.0-Themen. Das ist Teil unserer Qualifizierungsoffensive. Künstliche Intelligenz war ein Nischenthema, heute ist es in aller Munde und Grundlage von digitalen Zwillingen. Da wir aber in Zukunft der größte Wasserstoffverbraucher in der Region sein werden, müssen unsere Leute auch damit umzugehen lernen. Gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer entwickeln wir zum Beispiel ein neues Weiterbildungskonzept: die Industriefachkraft für Wasserstofftechnik.
Der Stahlproduktion mithilfe von Wasserstoff geht ja das Einschmelzen von Schrott in Elektrolichtbogenöfen im Sinne der Kreislaufwirtschaft voraus. Erweitern Dillinger und Saarstahl damit ihr Geschäftsmodell?
Sowohl Saarstahl als auch Dillinger sind in ihren Bereichen Weltspitze. Was gerade passiert, ist, dass sich die Unternehmen rasch verändern müssen. Schneller als je zuvor. Dazu gehört auch, dass wir unsere Geschäftsmodelle prüfen, ja. Dafür benötigen wir jedoch grüne Leitmärkte. Märkte, die es erlauben, dass Kunden gewonnen werden, die teureren grünen Stahl einkaufen. Uns wäre ja schon geholfen, wenn es andere Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen als nur den billigsten Preis geben würde. Zum Beispiel das Kriterium, wie klimaschonend das Produkt ist, das eingekauft wird.
Kann das Lieferkettengesetz dabei hilfreich sein?
Ja, es wird wichtiger denn je, woher die Rohstoffe für Produkte kommen. Diese Nachweise leisten wir schon heute, die Nachfrage steigt und wird in Zukunft noch mehr. Und wir können schon heute damit punkten, dass wir beispielsweise in unseren Werken in Frankreich grüne Schienen herstellen. Diese ermöglichen eine nachhaltige Mobilität. Darüber hinaus sind wir diejenigen, die 70 Prozent ihrer Produktion umstellen werden. Wir machen damit mehr als alle anderen Wettbewerber in Europa und sind damit sicherlich interessant für all diejenigen, die darauf schauen. Aber klar ist eines: Qualitativ hochwertiger Stahl, CO2-neutral in Europa hergestellt, wird in Zukunft teurer werden.
Ab Oktober soll die CBAM-Regulierung* in der EU Einzug halten – eine sinnvolle Maßnahme, um „grünen Stahl“ vor Dumping und „schwarzem Stahl“ zu schützen?
[CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism oder CO2-Grenzanpassungsmechanismus, ist eine Preisanpassung, die auf Importe in die EU für bestimmte Waren auf der Grundlage ihrer CO2-Emissionen im Produktionsprozess außerhalb der EU angewendet wird; Anm. d. Red.]
CBAM halte ich für schwierig, weil es einen enormen bürokratischen Aufwand erfordert. Wir werden es brauchen, keine Frage. An anderen Orten der Welt werden Stahl und Aluminium aufgrund der Energiepreise und der zur Verfügung stehenden Energie billiger und klimaschonend hergestellt. Damit muss sich die EU auseinandersetzen. Sie sollte für die europäische Industrie keine Verfahren verkomplizieren, sondern vereinfachen und die heimische Industrie aktiv unterstützen. Gleichermaßen sollte die deutsche Bundesregierung für die deutsche Industrie in Brüssel eintreten und sich nicht wegducken, wenn es kompliziert wird. Was wir brauchen, sind schnelle, klare, verlässliche Entscheidungen in der Politik.