Schulhunde sind in Deutschland noch immer eine Seltenheit. Dabei können sie Ängste abbauen und gute Laune verbreiten. So wie Golden Retriever Willi am Gymnasium August-Dicke-Schule in Solingen.
Für Willi beginnt der Schultag um 10.30 Uhr. Gemütlich trabt er in den Klassenraum, schlängelt durch Sitzreihen, beschnüffelt Tische, Regale und Schülerbeine. Auch die Sportbeutel riechen verlockend. Als er schließlich die Hundedecke neben dem Lehrerpult ansteuert, beginnt die Verwandlung: Die Klasse, die eben noch getobt, gelacht und gequatscht hat, wird wie auf Kommando still. Willi hat sich hingelegt, also geht’s los.
Bestandteil des Unterrichts
Willi ist nicht irgendein Hund – er ist Schulhund. Wenn Frauchen Katharina Schöwe (32) die neusten Erdkunde-Aufgaben durchgeht, bildet der zweijährige Golden Retriever einen festen Bestandteil des Unterrichts. „Und dreh!“, ruft Schöwe, damit Willi per Pfote ein Glücksrad betätigt. Die Zahl, auf der es zum Stehen kommt, liest die Lehrerin als Aufgabe vor: Wie wird die äußere Schicht der Erde bezeichnet? Welche Linien verlaufen vom Nordpol zum Südpol?
Während die Füller kritzeln, fährt die Hundenase über den Boden – und wird fündig. „Frau Schöwe, Willi hat einen Kaugummi gefressen!“, ruft eine Schülerin. Die Lehrerin lacht. „Da müsst ihr wohl besser putzen.“ Ein kurzes Streicheln, dann sind alle wieder bei Erdkrusten und Längenkreisen. „Das waren mir ein bisschen zu viele Fehler“, sagt die Lehrerin, und erklärt die Begriffe noch mal. Willi bekommt davon nicht mehr viel mit. Je länger die Stunde voranschreitet, desto tiefer fällt er in den Schlaf. Als es klingelt, hat sich ein kleiner Sabberfleck auf dem Boden gebildet.
Hunde im Unterricht? Das ist noch immer ein seltenes Phänomen in Deutschland. Anders als Begleit- und Assistenzhunde, die behinderte Kinder und Jugendliche unterstützen, sind Schulhunde für alle gleichermaßen da. Sie sollen das soziale Miteinander fördern und mehr Ruhe in den Alltag bringen. „Die Schüler wissen, dass der Hund zehnmal besser hört als wir“, sagt Katharina Schöwe. „Das hilft deutlich besser, als wenn ich ihnen sage, dass es mir zu laut ist.“ Seit Willi dabei ist, habe sich die Stimmung wesentlich verbessert. „Die Schüler kommen nach Hause und haben mindestens einmal am Tag gelacht. Das war vor allem während der Coronazeit wichtig.“
An der August-Dicke-Schule, einem städtischen Gymnasium in Solingen, gibt es gleich zwei Schulhunde. Da wäre zum einen Willi, der Golden Retriever. Zum anderen Cookie, ein portugiesischer Wasserhund. Auch er gehört einer Lehrerin und kommt zwei- bis dreimal pro Woche für jeweils zwei bis drei Stunden mit in den Unterricht. „Wir kannten Schulhunde aus unseren Referendariaten“, erzählt Schöwe. „Warum sollte das nicht also auch an unserer Schule klappen?“ Bevor sich die Lehrerinnen nach geeigneten Vierbeinern umschauen konnten, stand aber zunächst die größte Hürde an: die Zusage des Direktors.
Stefan Trenner, Schulleiter der August-Dicke-Schule, kann sich noch gut erinnern, wie die beiden Frauen ihr Anliegen vortrugen. „Natürlich habe ich mich erst mal gefragt, was das soll“, räumt Trenner ein. „Aber dann hielten sie eine Dreiviertelstunde lang eine Präsentation mit allen wissenschaftlichen Daten und Fakten. Das hat mich überzeugt.“ Am wichtigsten, sagt Trenner, sei es, die gesamte Gemeinschaft einzubinden: Wer hat Angst vor Hunden, wer reagiert allergisch? In solchen Klassen kommen Willie und Cookie nicht zum Einsatz. „Zum Glück betrifft das nur eine von 840 Schülerinnen und Schülern“, sagt Trenner. Doch auch ganz banale Dinge müssten geklärt werden: Welche Lehrerinnen und Lehrer haben Lust, in ihren Freistunden rauszugehen? Wo dürfen sich die Tiere aufhalten? Was, wenn doch mal einer zuschnappt?
Die beiden Schulhunde haben ein „Hundebüro“
Die August-Dicke-Schule hat solche Punkte in einem sechsseitigen Schulhund-Konzept aufgegriffen. „Das Bürsten […] der Hundehaare erfolgt außerhalb der Schule“, heißt es darin. Oder: „Die Hunde haben keinen Zugang zur Küche und Mensa.“ Auch eine fachgerechte Ausbildung und eine spezielle Hundehaftpflicht-Versicherung waren eine Notwendigkeit; die Schule hat die Kosten dafür übernommen. Die Kinder und Jugendlichen wiederum müssen sich an die „ADS-Hunderegeln“ halten: Nicht rufen, nicht füttern, nicht hochheben. Streicheln nur nach Erlaubnis – und danach die Hände waschen.
Als die Erdkundestunde vorbei ist, wacht Willi wieder auf. Die Mädchen der 7c umringen den Golden Retriever, um ihn zum Abschied zu streicheln. Danach geht es ins „Hundebüro“, ein mit bunten Pfoten bemalter Raum, den die Hunde-AG gestaltet hat. Dort können sich Willi und Cookie zwischen ihren Einsätzen ausruhen, genau wie ihre Frauchen. „Manche Kollegen wollten am Anfang nicht, dass er ins Lehrerzimmer darf“, erzählt Katharina Schöwe. Andere hätten Angst vor zusätzlicher Arbeit gehabt. „Inzwischen haben sich die Wogen aber geglättet“, sagt Schöwe. „Wir finden immer genügend Freiwillige zum Gassigehen.“
Natürlich gibt’s hin und wieder Probleme. So wie Willis gebrochene Schulter – er hatte in der Pause zu wild mit einem Labrador getobt. Auch die Frage, ob ein Schulhund zu besseren Noten führt, lässt sich bislang nicht valide beantworten. „Das Ganze darf nicht in animalische Träumerei ausarten“, sagt Schulleiter Trenner. „Wir sind ja kein Streichelzoo.“ Unterm Strich möchte aber auch er die Vierbeiner keinesfalls missen. „Fürsorglich sein, Verantwortung zeigen, Rücksicht nehmen: Genau das brauchen die jungen Leute.“ Er habe seine Schüler im Scherz schon gewarnt: „Wenn ihr keine Hausaufgaben macht, schaffe ich einen Rottweiler an.“