Breslau (polnisch Wroclaw) blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bei einem Rundgang durch die Stadt taucht der Besucher ein in beeindruckende alte Architektur, lebendige Stadtviertel und begegnet einer nicht mehr zu überblickenden Anzahl an frechen Zwergen.

Beim Schreiben des Textes stellt sich automatisch die Frage, mit welchem Namen soll die Oder-Metropole, in der sich seit über 1.000 Jahren Ost und West treffen, genannt werden? Die Piasten nannten sie Wrotizla, unter böhmischer Hoheit war der Name Vretslaw gebräuchlich. Die Habsburger nannten die aufstrebende Stadt Presslaw, und bei den Preußen wurde Bresslau, später Breslau, daraus. Seit 1945 lautet der polnische Name Wroclaw. Egal, wie die Großstadt an der Oder genannt wird, sie ist sehenswert, lebensfroh, kulturell einzigartig und äußerst liberal.
Welch enorme Aufbauleistung in Wroclaw erfolgt ist, zeigt sich beim Bummel über den Rynek (Markt). Im Mittelpunkt steht das Rathaus mit der ältesten Gaststätte Polens, die es seit 1273 gibt. Der Keller ist gerade renoviert worden, und hat ein modernes „Gesicht“ bekommen. Jedes der kunstvoll restaurierten Häuser ist ein Paradebeispiel polnischer Handwerkskunst. Restaurierung statt Neubau war die Devise nach Kriegsende. Die Absicht war, den neuen polnischen Bewohnern, die aus den von Stalin annektierten Gebieten im Osten kamen, die Identität zu erleichtern. Unter Ihnen die geistige Elite der Stadt Lemberg (heute Lviv/Ukraine). Vertreibung beziehungsweise Umsiedlung ist daher vielen Bewohnern aus eigener oder familiärer Erfahrung bekannt.
Viele Häuser haben eigene Geschichte

Das ehemalige Kaufhaus der Gebrüder Barasch (heute Feniks) im Jugendstil, war das größte seiner Art und trug eine beleuchtete Kristallkugel, die durch Blitzeinschlag 1929 zerstört wurde. Es schließt sich der Plac Solny (Salzmarkt) mit zahlreichen Blumenverkaufsständen an.
Sehenswert ist die „Alte Börse“, die den Charme eines italienischen Schlosses der Renaissance widerspiegelt. Auf dem Markt wurde früher nicht nur mit Salz gehandelt, sondern auch mit Honig, Fellen und Seilen.
Der nächste Hingucker: „Hänsel und Gretel“. Zwei durch ein Bogentor miteinander verbundene Häuser aus dem 15. Jahrhundert. Heute wird das Ensemble von einem Künstler genutzt. Nach ein paar Schritten steht man vor der Kirche St. Elisabeth, einer gotischen Basilika. Die ursprünglich katholische Kirche wechselte 1525 durch ein verlorenes Kartenspiel den Besitzer. Der Legende nach verlor Erhard Scultetus, Meister der Kreuzherren von St. Mathias, das Gotteshaus an die Protestanten. Wer sportlich fit ist, kann 300 steile Stufen in den Turm steigen, um einen prachtvollen Ausblick zu genießen.
In der Innenstadt hat fast jedes Haus seine eigene Geschichte. So auch die „Gasse der Metzger“ (Nähe Odrzanska). Ab 1266 fand hier der Handel mit Fleisch statt – eine oft blutige Angelegenheit. Heute haben Künstler die Gasse übernommen, und Bronzefiguren von Tieren erinnern an die handwerklichen Traditionen.
Der nächste Stopp, der früher für einige mit einem längeren Aufenthalt verbunden war, ist das im 16. Jahrhundert gebaute Stadtgefängnis. (Ul. Wiezienna). Vorher gab es nur einen Kerker im Rathaus. Der hier seit Langem einsitzende Zwerg ist ein verurteilter Dieb – der sich an Esswaren aus dem Zwergeneigentum vergriffen hatte. Keiner erinnert sich an seinen richtigen Namen, jeder kennt ihn als Wiezien. Riesigen Hunger hat er weiterhin, und sein Lieblingsessen ist Kuchen, gern mit einer eingebackenen Feile. Viele andere dieser Zwerge begegnen dem Besucher an einigen Stellen der Stadt. Sie sind klein, etwa 30 Zentimeter groß, sie sind provokativ, frech, fröhlich und überall in der Stadt zu finden. Sie klettern auf Laternen, sie betrinken sich, sitzen hinter Gittern oder machen sich über die Obrigkeit lustig und weisen auf Missstände hin. Begonnen hatte die Oppositionsbewegung „Orange Alternative“ in den 1980er-Jahren mit spontanen Demonstrationen im Zwergenkostüm und hat so Kritik am kommunistischen Regime geübt. 2004 wurde der Künstler Tomasz Moczek beauftragt zwölf Gnome zu fertigen. Das war der Startschuss zu einer nicht enden wollenden Aktion. Heute gibt es über 800 Zwerge, und die Zahl steigt ständig. Aber warum eigentlich Zwerge? Dem polnischen Volksglauben nach sind sie Schutzgeister, die Wohlstand und Ordnung symbolisieren.
Schon einige Nobel-Preisträger

Sehenswert ist auch das Jesuitenkolleg „Leopoldina“, das Kaiser Leopold 1702 gründen ließ, der Beginn der Universität. Das barocke Hauptgebäude entstand von 1728 bis 1743. Heute tummeln sich 140.000 Studenten in der Stadt, es herrscht eine gelebte Internationalität. Die Liste der ehemaligen Hochschullehrer enthält viele bekannte Namen von Nobelpreisträgern. Apropos Nobelpreis –zwischen 1905 und 1918 wurden sechs Persönlichkeiten aus Breslau mit dem prestigeträchtigen schwedischen Preis ausgezeichnet.
Vor dem Hauptgebäude der Uni steht ein Brunnen mit einem unbekleideten Mann. Die Legende berichtet, dass der Künstler – Hugo Lederer – auch der Abgebildete ist. Er hatte beim Kartenspiel Geld und Garderobe verloren. Die Kameraden ließen ihm das Schwert, als Symbol für Noblesse und Ehre. Seitdem passiert immer wieder Ungeheuerliches, es wird versucht ihm das Schwert zu stehlen. Ostrow Tumski, das uralte Wort für „Insel im Fluss“, wird als das historische Herz der Stadt bezeichnet. Hier wurde nicht nur die erste Burg errichtet, sondern auch die erste Kirche gebaut. Zum „Geburtsort“ gelangt man über die Salzinsel. Der Fußweg ermöglicht den Blick auf die Oder und das beeindruckende Panorama der Dominsel. Dass die Dominsel schon längst keine Insel mehr ist, wird einfach mal ausgeblendet. Die Dombrücke war die Grenze der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Wer von 1504 bis 1810 die Grenze übertrat, war für die weltliche Rechtsprechung unerreichbar. Sieben Kirchen warten auf beiden Inseln darauf, besichtigt zu werden. Sehenswert ist auch der Palast des Erzbischofs von Wroclaw, umgeben von einem gepflegten Park. Während des von 1981 bis 1983 verhängten Kriegsrechts durch die kommunistischen Machthabers, war der Bischof ein Verteidiger der „Solidarnosc“. Er bot Dissidenten Unterschlupf und soll 90 Millionen polnische Zloty versteckt haben. Das Geld hatte die Gewerkschaft von ihrem Konto abgehoben, um einer Beschlagnahmung zuvorzukommen.
„Vier Tempel Viertel“ ist Party-Hotspot
Ein Tipp: den historischen Ort kurz vor Sonnenuntergang besuchen. Dann trifft man den Laternenanzünder, der wie vor 150 Jahren seine Arbeit an den Gaslaternen verrichtet. Ein besonderer Stadtteil Wroclaws hat mehrere Namen. Man nennt ihn „Toleranzviertel“ aber auch „Vier Tempel Viertel“. Er ist stadtnah, beliebt, und es ist immer was los. Vier Gebetshäuser bilden den Mittelpunkt. Die orthodoxe Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert, die von 1525 bis 1945 protestantisch war. Die evangelische Kirche der göttlichen Versuchung aus dem 18. Jahrhundert. Die katholische Antoniuskirche aus dem 17. Jahrhundert und die Synagoge „Zum weißen Storch“, die als einzige den Krieg überlebt hat. 1925 lebten circa 23.240 Juden im damaligen Breslau, heute hat die kleine Gemeinde 300 Familien zu betreuen. Die Gotteshäuser liegen nur fünf Minuten voneinander entfernt. Abends ist Party angesagt, das Viertel gilt als „Hotspot“ des Nachtlebens. Gesehen haben muss man den Pokoyhof, aufwendig und schön restauriert. Vergleichbar mit den „Hackeschen Höfen“ in Berlin Mitte. Und die Neon Galerie, Ruska 46c (Hinterhof). Hier gehen abends die Lichter an. Präziser gesagt, Reklametafeln erstrahlen im alten Glanz. 2005 begann ein Privatmann mit der Sammlung, heute ist es ein Treffpunkt für Künstler und Freunde der Kunst.

Um bei der Kunst zu bleiben: Das 1841 erbaute Stadttheater – heute Oper Wroclaw – wurde von Karl Friedrich Langhans 1837 entworfen. Es wurde mittlerweile zweimal, nach Bränden, wieder aufgebaut. Umgeben ist der stattliche Bau von drei Kirchen und dem legendären „Hotel Monopol“. In dem mittlerweile denkmalgeschützten Haus logierten unter anderem Marlene Dietrich, Pablo Picasso, Arthur Schnitzler und Joachim Ringelnatz.
Ein weiteres Wahrzeichen der Stadt ist die Grunwaldbrücke, eine Hängebrücke in malerischer Lage. Sie wurde 1910 in Betrieb genommen – am Jahrestag der Schlacht bei Grunwald 500 Jahre zuvor. Alt ist auch das Nadodrze Viertel, ein Arbeiterviertel, das von den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschont blieb. Ein Vorzeigeobjekt war es lange nicht, dann wurde es zu einem alternativen Stadtteil und ist heute der Ort für Kunst und Kultur. Auch wenn der Putz bröckelt, die Szene hat sich mit Wandmalereien, Biobäckereien, Delikatessenläden und ausgefallenen Bars einen Namen gemacht. Spielbergs Film „Bridge of Spys“, der die Glienicker Brücke in Potsdam in den Mittelpunkt stellte, wurde teilweise im Nadodrze Viertel gedreht.