Pflanzen ragen nicht nur stumm aus ihrem jeweiligen Wachstumsfeld hervor. Das konnten israelische Wissenschaftler nun nachweisen. Vor allem unter Stress können sie kräftige Laute im Ultraschallbereich produzieren.
Für begeisterte Leser der Harry-Potter-Buchreihe dürften schreiende Pflanzen nichts Neues sein. Die Schöpferin der britischen Kinder- und Jugendroman-Serie, Joanne K. Rowling, hatte darin den alten Aberglauben aufgegriffen, dass die Alraune markerschütternde, schlimmstenfalls sogar für Menschen tödliche Schreie ausstoßen kann, sofern jemand auf die lebensgefährliche Idee kommt, sie aus dem Erdreich zu ziehen.
Dass Pflanzen – neben den schon bekannten Fähigkeiten zum Aussenden visueller, chemischer und taktiler Signale, indem sie etwa ihre Farbe verändern oder flüchtige organische Substanzen als Duftstoffe ausstoßen – tatsächlich dazu in der Lage sind, auch Laute zu produzieren, war erstmals Ende 2019 von israelischen Forschern der Universität Tel Aviv unter Federführung von Itzhak Khait nachgewiesen worden. Die Wissenschaftler hatten ihre Untersuchungen an Tomaten- und Tabakpflanzen durchgeführt, die sie innerhalb schalldichter Container durch Wassermangel oder Einschneiden des Stammes unter Stress gesetzt hatten. Die Forscher wollten überprüfen, ob die Pflanzen in ihrer näheren Umgebung akustisch wahrnehmbare Laute erzeugen konnten und nicht nur Geräusche, die lediglich auf ihr Inneres beschränkt bleiben, wie es bei früheren Untersuchungen mit künstlich unter Stress gesetzten Pflanzen durch die direkte Anbringung spezieller Mikrofone an Stängeln und Stielen bereits nachgewiesen werden konnte.
Im Umkreis von fünf Metern hörbar
Tatsächlich konnte das Khait-Team ploppende Töne im Ultraschallbereich von 20 bis 100 Kilohertz mithilfe von Mikrofonen messen, die in zehn Zentimetern Entfernung zu den Pflanzen platziert worden waren. Laut den Forschern können diese Laute von anderen Organismen wie Tieren mit der Fähigkeit zum Hören im Ultraschallbereich in einem Umkreis von bis zu fünf Metern wahrgenommen werden. Am meisten litten die durch die herbeigeführte Trockenheit gestressten Tomatenpflanzen, die pro Stunde rund 35 Plopp-Geräusche produziert hatten. Bei den angeschnittenen Exemplaren waren es stündlich 25 Plopps. Bei den Tabakpflanzen war die Laut-Produktion bei den angeschnittenen Pflanzen mit 15 Tönen pro Stunde am höchsten, während sich die austrocknenden Pflanzen auf elf Töne beschränkt hatten. In einer Kontrollgruppe mit Pflanzen ohne künstlich herbeigeführten Stress konnte maximal ein einziges Ploppen pro Stunde registriert werden. Die Wissenschaftler wiesen auf den praktischen Nutzen ihrer Erkenntnisse hin, weil diese Landwirten künftig dabei helfen könnten, den Gesundheitszustand ihrer Pflanzen besser einzuschätzen. Wobei natürlich erst einmal die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssten, um auf freiem Feld trotz der vielfältigen Nebengeräusche die Lautabsonderungen der Pflanzen registrieren zu können.
Die Lautstärke der Pflanzengeräusche entspricht in etwa dem Schallpegel eines menschlichen Gesprächs. Zu dieser Erkenntnis kommen Wissenschaftler der Tel Aviv University unter Leitung der Evolutionsbiologin Prof. Lilach Hadany in einer Ende März im Fachmagazin „Cell“ publizierten Studie mit ähnlichem Versuchsaufbau wie bei der früheren israelischen Untersuchung. Wir können diese Geräusche mit unserem beschränkten Gehör nicht wahrnehmen – viele Säugetiere und Insekten, die im Ultraschallbereich hören, aber sehr wohl.
Laut den Vermutungen der israelischen Forschenden handelt es sich um das Phänomen der sogenannten Kavitation, bei der unter Stress gesetzte Pflanzen Luftblasen in ihrem Gefäßsystem zu bilden beginnen. Diese dehnen sich aus und fallen schließlich, eine Luftvibration erzeugend, wieder zusammen. Dabei setzen sie Töne frei, die dem Knallen von geröstetem Popcorn oder dem Ploppen von Luftpolsterfolien ähneln. „Die Geräusche im Ultraschallbereich können aus einer Entfernung von drei bis fünf Metern von vielen Säugetieren und Insekten wahrgenommen werden“, so die Wissenschaftler.
Der genaue Mechanismus, der dem Entstehen dieser Kavitation zugrunde liegt, ist zwar noch nicht bekannt. Auch nicht, ob Geräusche passiv oder aktiv reguliert sind. Doch aus evolutionärer Perspektive betrachtet ist es laut Prof. Hadany für die Pflanzen äußerst sinnvoll und profitabel, selbst Geräusche produzieren, aussenden und womöglich sogar wahrnehmen zu können – auch wenn noch unklar sei, ob die Pflanzen die Töne erzeugen, um mit anderen Organismen kommunizieren zu können. Es wäre laut den Forschenden eine faszinierende Fähigkeit, wenn durch Austrocknung gefährdete Pflanzen ihren benachbarten Artgenossen durch Lautmitteilung eine Warnung zukommen lassen könnten, damit diese den eigenen Wasserverlust durch Schließen der Blattsporen eindämmen können. Allerdings hätten frühere Studien schon bewiesen, dass Pflanzen als Reaktion auf Geräusche von Bestäubern beispielsweise die Zuckerkonzentration in ihrem Nektar erhöhen können.
Erkenntnisse nützlich für Landwirtschaft
Auch die Land- und Nahrungsmittelwirtschaft könnte in Zeiten des Klimawandels von den neuen Erkenntnissen profitieren. Durch die Entwicklung entsprechender Sensoren könnte man schon frühzeitig erkennen, ab wann Pflanzen schwerwiegend von Trockenheit oder auch Krankheiten gefährdet sind.
„Das Design der Studie ist gut“, so das Urteil des nicht an der Studie beteiligten Molekularbiologen Mvon der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Man könne nun anhand der Töne schnell verstehen, wenn die Pflanzen etwa nicht richtig bewässert werden. Bei zukünftigen Studien müssten aber neben Tomaten und Tabak auch andere Pflanzenarten ausführlich untersucht werden.
„Jetzt, da wir wissen, dass Pflanzen Schallemissionen von sich geben, ist die nächste Frage: Wer könnte ihnen zuhören?“, so Prof. Hadany. „Wir sind zurzeit dabei, die Reaktionen anderer Organismen – Tiere und Pflanzen – auf diese Laute zu untersuchen.“ Außerdem hat sich das israelische Team die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, die Laute von verschiedenen Pflanzen auch im Freiland zu messen und zu unterscheiden, nachdem dies im Gewächshaus dank KI-Software schon gelungen war.