In Malawi werden junge Afrikanerinnen und Afrikaner zu Drohnen-Experten. An einer einzigartigen Akademie lernen sie, die Fluggeräte zu bauen, zu programmieren und zu fliegen. Mit Technik und KI wollen sie den Herausforderungen ihres Kontinents begegnen.
Mervis Namakhwa wirkt angespannt, ihre Augen springen von rechts nach links, während sie telefoniert „Was meinst du, wo wir die Propeller anbringen sollten?“, fragt sie und legt ein Metalllineal an den Flügel aus weißem Kunststoffschaum, der vor ihr liegt. Ein Ventilator wirbelt warme Luft durch den Raum. Von der Werkbank neben ihr piept es, Computerstimmen quaken. Teams aus jungen Frauen und Männern tippen Programmierungen in Laptops, stecken Stromkabel um, kontrollieren Joystick und Sender an Flugkörpern.
„Wenn ich mir euer Design anschaue, wäre es bei etwa 18 Zentimetern gut“, krächzt die Stimme des Freundes aus ihrem Handy, den sie um Hilfe gebeten hat. Es ist elf Uhr vormittags, und Namakhwa ahnt: Es wird ein langer Arbeitstag. Morgen muss sie mit dem Bau ihrer Drohne fertig sein, zum Abschluss ihrer Ausbildung an der „Africa Drone and Data Acadamy“ (ADDA), Teil der Technischen Universität von Thyolo im Süden Malawis.
Hilfe bei Flutkatastrophen
2020 hat die Akademie eröffnet, als erste und einzige ihrer Art in Afrika. Studentinnen und Studenten aus allen Teilen des Kontinents lernen hier, Drohnen zu fliegen, sie zu entwerfen und zu programmieren und ihre Daten zu analysieren. Gleichzeitig sammeln sie Ideen, für welche humanitären Zwecke sich die Drohnen nutzen lassen. Ihr Ehrgeiz ist, eine Geschichte Afrikas zu schreiben, die nicht von Armut, Krisen und mangelnden Chancen erzählt, sondern zeigt, wie sich mit Technik, KI und Drohnen die Probleme ihres Kontinents lösen lassen.
Die 25-jährige Namakhwa ist in der Hauptstadt Malawis, in Lilongwe, geboren, als älteste von drei Geschwistern. Ihre Mutter arbeitet als Grundschullehrerin, ihr Vater bei den Vereinten Nationen. Namakhwa studierte Bauingenieurswesen, verdingte sich danach als Expertin für Infrastrukturprojekte. „Einmal nutzten wir Drohnen, um den Bau eines Damms zu überwachen“, erzählt sie. „Das fand ich revolutionär.“ Sie wollte mehr über die Technologie erfahren und bewarb sich an der Akademie. Elf Wochen dauert ihre Ausbildung. Nach einem Grundlagenkurs, der online stattfand, ist sie nun für sechs Wochen in Thyolo. Als Abschlussprojekt bauen die Studierenden eine eigene Drohne. „Wir wollen Menschen bei Flutkatastrophen helfen“, sagt Namakhwa. Immer häufiger werden Teile ihrer Heimat überschwemmt. Menschen und Tiere ertrinken, Flutwellen reißen Häuser und Dörfer ins Verderben. 2015 spülte eine Flut die gesamte Maisernte von Namakhwas Familie vom Feld. „Tag und Nacht hatte es geregnet“, erinnert sie sich. Erst kurz zuvor hatten sie teuren Dünger gestreut. „Wir verloren alles“. Mit ihrer Drohne könnten in solchen Situationen schnell die betroffenen Regionen überflogen und ein Überblick gewonnen werden. Mit Infrarot-Sensoren ließen sich selbst nachts Vermisste entdecken. „Per Megafon könnten wir sie über sichere Fluchtwege informieren oder beruhigen“, sagt Sharon Omoja, eine Geografin aus Nairobi, die mit Namakhwa und zwei jungen Frauen aus Gambia und Namibia ein Team bildet.
Unabhängigkeit vom Ausland
Nicht nur im Katastrophenfall hülfe ihre Drohne. Schon zuvor könnte sie von potenziell gefährdeten Gebieten mithilfe von Kameras sowie Farb- und Infrarot-Sensoren Bilder und Karten mit Höhenprofilen erstellen. Dabei ließe sich dokumentieren, wo besonders viele Menschen leben und sich auf Märkten treffen, oder wo sich Fluchtrouten in den dicht besiedelten Gebieten öffnen. „Diese Daten dienen Regierungen oder Hilfsorganisationen, die Bevölkerung über Risiken zu informieren, oder für Such- und Rettungseinsätze“, erklärt die 27-jährige Sharon Omoja. Doch bevor ihre Wünsche Wirklichkeit werden, müssen es die Frauen schaffen, ihren Prototypen zu montieren. Mervis Namakhwa legt das Handy zur Seite, bindet sich ihre Dreadlocks aus dem Gesicht und beugt sich über die Werkbank. Mit schwarzem Filzstift markiert sie die Stellen auf den 1,6 Meter langen Flügeln der Drohne, an denen sie die vier Propeller befestigen möchte. Wie ein Hubschrauber wird ihre Drohne damit in die Luft steigen und wieder landen. „So können wir auch von kleinen Flächen aus starten“, erklärt Namakhwa. „Das ist besonders wichtig, wenn alles überschwemmt ist.“ Einmal in der Luft macht sich die Drohne die Aerodynamik der Flügel zunutze, indem sie wie ein Segelflieger gleitet. Das spart Batterieleistung und ermöglicht ihr, längere Strecken zu fliegen. Mit der Drohne lassen sich zudem schwere Kameras, Sensoren, Rettungswesten und Medikamente transportieren.
Aus der Werkstatt ertönt Applaus. „Eure Drohne kombiniert das Beste von allem“, ruft Chefausbilder Alexander Mtambo dem Frauenteam zu, das ihm, anderen Dozenten und Kommilitonen am Nachmittag sein Modell präsentiert hat. Als Vorbereitung für ihren Vortrag bei der Abschlussfeier.
Drohnen wie die von Namakhwa und ihrem Team liefern bisher nur ausländische Unternehmen. Kostenpunkt: mehrere Tausend Euro. „Ihr schafft das mit euren Bordmitteln viel günstiger“, sagt Mtambo. „Eure Drohne ist unsere Zukunft.“ Die Zukunft Afrikas, sie versammelt sich in diesem Klassenraum: Mit Mervis Namakhwa und Sharon Omoja sitzen dort 16 junge Luftfahrttechnikerinnen, Bergbauexperten, Geoinformatikerinnen, Softwareingenieure aus Kamerun, Nigeria, Ruanda und Malawi. Knapp zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Um Mädchen in technischen Berufen zu fördern, bekommen sie bevorzugt einen Studienplatz an der Akademie. „Das ist so wichtig“, sagt Sharon Omoja, die bisher in ihrer Heimat Kenia ein Projekt zu Geoinformatik leitete und sich damit für Frauenrechte einsetzte. In frei zugänglichen Onlinekarten markierten sie und Kolleginnen wichtige Anlaufstellen speziell für Mädchen und Frauen: gynäkologische Stationen, Zentren für reproduktive Gesundheit und Frauenhäuser. Omoja war Mentorin und Vorbild für viele Mitstreiterinnen. Und für ihre jüngere Schwester, die Cybersicherheit studiert. „Ich habe ihr immer gezeigt, wie viel Spaß Technik macht und sie ermutigt, dass sie es schafft“, sagt Omoja.
Knapp 700 haben den Kurs bisher gemacht
Das nächste Team ist an der Reihe: Agness Rosemary Mmina tritt vor die Klasse. Die 23-jährige Agrarwirtin trägt Jeans und T-Shirt, eine braune Schleife im Haar und ihren Quadrokopter im Arm. Die Inspiration für ihre Drohne habe ihr die Arbeit für einen großen malawischen Zuckerproduzenten vermittelt, als sie sah, wie Flugzeuge Pestizide und Dünger über Tausende Hektar Zuckerrohr verteilten. „Das ist pure Verschwendung“, sagt sie. „Und gefährdet Menschen, die in der Nähe leben.“ Ihre Drohne soll das verhindern. Per Kamera und Künstlicher Intelligenz erkennt sie schwächelnde oder von Schädlingen befallene Pflanzen und besprüht sie auf den Punkt genau. Die Software gibt es bereits, in den vergangenen Tagen entwickelte ihre Gruppe den Prototyp einer Sprüh-Drohne, deren Behälter aus einer abgeschnittenen Plastikflasche besteht. „Wir werden die Landwirtschaft mit unserer Drohne auf das nächste Level heben“, schwärmt Mmina. „Ihr Einsatz spart Geld und erzielt höhere Erträge.“
Der Landwirtschaft helfen, Leben in Naturkatastrophen retten, Abholzung und Wilderei überwachen, aber auch Unfälle verhindern, indem mit Drohnen und Software Schlaglöcher oder andere Schäden entdeckt und Straßen rechtzeitig gesperrt und repariert werden: Ideen für ihre Drohnen bekommen die Studierenden in ihrem Alltag. „Wir alle erleben die Herausforderungen Afrikas täglich“, sagt Sharon Omoja. „Schon darum finden wir selbst die besten Lösungen.“
Die Regierung von Malawi setzt schon länger auf das Potenzial der Drohnen. 2017 ließ sie im Zentrum des Landes einen mehr als 5.000 Quadratkilometer großen Flugkorridor einrichten, in dem Drohnen für humanitäre Einsätze getestet werden. Ein Beispiel dafür bietet sich im Gesundheitssektor. 80 Prozent der rund 20 Millionen Malawier leben in ländlichen Regionen. Viele Dörfer sind schwer zu erreichen, besonders während der Regenzeit. Über den Luftkorridor transportieren Hilfsorganisationen Medikamente per Drohne zu entlegenen Krankenstationen, Impfstoffe in Dörfer und Blutproben zu Laboren. Da lange Zeit afrikanische Pilotinnen, Piloten und Drohnen-Experten fehlten, riefen die Behörden die ADDA ins Leben. Unicef finanziert sie. Den Lehrplan entwickelte die Virginia Tech Universität. Zu Beginn lehrten die amerikanischen Dozenten und Dozentinnen, doch Namakhwas Jahrgang ist der erste, der ausschließlich von Lehrkräften aus Malawi, selbst ADDA-Alumni, durchgeführt wird. Nach und nach möchte sich auch Unicef aus der Finanzierung zurückziehen, die Universität in Thyolo soll übernehmen.
Knapp 700 Studierende haben den Kurs bisher absolviert, arbeiten als Drohnen-Piloten, unterrichten Schulkinder über KI und Drohnen-Technologie, beraten Regierungen. Einige gründeten Start-ups, etwa um die Flugkörper zu reparieren oder sie kostengünstig per 3D-Drucker herzustellen. Die modernen Techniken schufen in Malawi und anderen afrikanischen Ländern Arbeitsplätze, wo es an Perspektiven für junge, gut ausgebildete Menschen mangelt. Daher soll die ADDA nicht die einzige Drohnen-Akademie auf dem Kontinent bleiben. Äthiopien wird als Standort diskutiert. Ein zweites Ausbildungszentrum war im Niger geplant, wurde jedoch nach dem Militärputsch aufgeschoben. Schwerpunkt bleibt die Akademie in Thyolo.
Der letzte Tag ist angebrochen, die Abschlussprüfungen beginnen. Es ist 7.30 Uhr. Agness Rosemary Mmina steht in Warnweste auf einem Sportfeld am Rande des Universitätsgeländes. Behutsam platziert sie die Drohne auf dem Rasen. Ihre Teammitglieder und zwei Ausbilder treten einen Schritt zurück. Langsam hebt die Drohne ab. Surrend fliegt sie in die Höhe. Mminas Kommilitonin drückt eine Taste des Controllers: Die Drohne sprüht Wasser über die trockene Wiese. Niemand bewegt sich, niemand spricht. Erst als der Quadrokopter sicher gelandet ist, springt das Team in die Höhe „Geschafft!“, rufen sie und fallen einander in die Arme.
Wenig später wirft sich Mmina die lange Robe über ihr rotes Kleid, stöckelt in Stilettos zur Aula. Vor dem Eingang posiert das Frauenteam um Mervis Namakhwa mit der Drohne für Erinnerungsfotos. Gleich werden sie sich verabschieden – als Freunde, Drohnen-Expertinnen und Hoffnungsträgerinnen ihres Kontinents.